Ein New Yorker im Ruhrgebiet – ein Recklinghäuser in New Work: Stefan Bauer und sein neues Album „Voyage West“

Der Vibrafonist Stefan Bauer ist mit Leib und Seele ein New Yorker, genauer gesagt ein Musiker aus Brooklyn, aber ebenso ein bekennender, aus Recklinghausen stammender Ruhrgebietsmusiker, der regelmäßig zu seinen vielbeachteten „Heimspielen“ viele Jazzgrößen aus NRW mobilisiert. Und Bauer ist in bestem Sinne ein musikalischer Reisender. In dieser Hinsicht betreibt er seit Jahren seine international besetzte Band „Voyage“ als einen überaus flexiblen Melting Pot unterschiedlicher Einflüsse. Der neuesten Wurf dieser Band, das Album „Voyage West“ featured vor allem die israelische Sängerin Tammy Scheffer. Üblicherweise agiert diese Vokalkünstlerin als gleichberechtigtes „Instrument“ in der Band, sticht aber auf dem neuen Album durch besonders ausgiebige Bravourparts hervor, derweil ihr die Bandmitglieder mit umgemein flexibler Spielfreude den roten Teppich ausrollen. Scheffer, der es vor allem nahöstliche und indische Musikstile angetan haben, verwebt auf den langen Stücken eine weit ausgedehnte Melismatik mit den Jazzimprovisationen ihrer Band, wobei es vor allem immer wieder zu aufregenden unisono-Parforecitten kommt. Das neue Album eröffnet in dieser Hinsicht erfrischende, neue Inspirationsquellen, etwa traditionelle nordische Melodien oder musikalische Themen, die wie alte englische Folktunes wirken. Gemeinsam schöpft die Band daraus ein aufregend variantenreiches Farbspektrum. Vor allem …

Weiterlesen

Peter Evans „Pulverize the Sound“ beim Krefelder Jazzherbst

Von Stefan Pieper. Ungestümer Spielwitz im Livekonzert deutet darauf hin, dass es Musikern, die solchen auf der Bühne ausleben, auch im „realen“ Leben nicht daran mangelt. So ergötzte sich der New Yorker Bassist Tim Dahl erst mal ausgiebig über das deutsche Wort „Schweinshaxe“, was sich in amerikanischem Zungenschlag ja auch sehr lustig anhört. Eine solche war den dreien vom fürsorglichen Catering zur Stärkung für den Auftritt beim Krefelder Jazzherbst kredenzt worden. Zu Recht, denn Peter Evans, Trompete, Tim Dahl am Bass und Schlagzeuger Mike Pride brauchten im Glasfoyer des Krefelder Theaters viel Energie – für nichts geringeres als den Sound zu „pulverisieren“. So will es der Bandname dieses neuen Trios aus der New Yorker Downtown-Szene. Peter Evans, der spielbesessene, freigeistige Hochgeschwindigkeitstrompeter, dem immer der Schalk im Nacken zu sitzen scheint, ist in Europa kein Unbekannter mehr. Vor allem Peter Evans bisherige Band „Mostly other People do the killing“ gehörte über Jahre beim Moers-Festival zu den Publikumslieblingen mit einem postmodernen Postbop-Dekonstruktivismus. Entsprechend zuverlässig werden im gemütlichen Wohnzimmerflair des Krefelder Glasfoyers Erwartungshaltungen in bestem Sinne „pulverisiert“. Das neue Trio agiert viel unmittelbarer, un-konzeptioneller. Also direkter und freejazziger, wenn …

Weiterlesen

Erklärung zur Gleichstellung von Frauen im Jazz ruft zur Mitzeichnung auf

Anlässlich ihres 24. Jazzforums, das am 11. und 12. Oktober 2018 im Kulturzentrum Pavillon in Hannover stattfindet,  hat die Union Deutscher Jazz-Musiker/-innen gemeinsam mit zahlreichen Erstunterzeichner/-innen die „Gemeinsame Erklärung zur Gleichstellung von Frauen im Jazz“ veröffentlicht. Wie es in der vierseitigen Erklärung heißt, ist die Jazzszene Deutschlands „nach wie vor maßgeblich von Männern geprägt. Frauen machen laut der Jazzstudie 2016 nur ein Fünftel der Jazzmusiker/-innen in Deutschland aus.“ Obwohl mehr Mädchen als Jungen an Musikschulen Unterricht nehmen, finden weniger Frauen anschließend in Bands und Ensembles; auch bei weiterer Professionalisierung etwa als Dozent/in nimmt der Anteil der Frauen ab. Um diese Umstände zu ändern, fordert die Erklärung für eine Gleichstellung der Frauen im Jazz nicht nur die Sensiblisierung für das Thema, sondern steht im Weiteren für eine geschlechtergerechte Sprache ein. Außerdem verlangt die Darlegung „eine geschlechterbewusste Unterrichtspädagogik in der musikalischen Bildung“ sowie Kopplung öffentlicher Geldmittel an eine angemesse Beteiligung von Frauen. Überdies sollen Frauen bewusst bei der Vergabe von Ämtern und Funktionär/-innentätigkeiten berücksichtig werden, wozu auf Quotenregelungen gedrängt wird. Die von rund 80 Personen und Institutionen unterzeichnete Erklärung soll zum Abschluss des UDJ-Jazzforums am 12. Oktober …

Weiterlesen

Lokalmatadore und Weltklasse: „Jazz an einem Sommerabend“ ist ein Ort der Begegnung

Der Jazzclub Krefeld hat vier Jahrzehnte einiges richtig gemacht, wenn es um kulturelle Nachhaltigkeit und überregionale Ausstrahlung geht. Und so hat auch das leidenschafliche Engagement vieler Ehrenamtlicher das große Festival auf der malerischen Burg Linn zu dem werden lassen, was es ist: „Jazz an einem Sommerabend“ ist ein wirkliches „Jazz-Fest“, ein Ort der Begegnung. Das heißt auch, dass man hier nicht von einem Überangebot erschlagen wird. Auch können die Bands nach Herzenslust lange Sets inclusive Zugaben spielen. Die Programmauswahl bildet die Pluralität im Jazz ab: Es gibt die Lokalmatadoren, welche zum Gepräge einer Stadtkultur beitragen, es werden hoffnungsvolle europäische Newcomer-Formation präsentiert – und es gibt die Sternstunden, in denen Weltklasse zu erleben ist! Genau diese Ausgewogenheit stellte auch in diesem Jahr der künstlerische Leiter Florian Funke sicher. Auch die fünf Musiker vom „Horst Hansen Trio“ gehen aus dem Umfeld des Krefelder Jazzclubs hervor. Richtig verstanden: Fünfköpfige Trios dürften in der Jazzwelt Seltenheitswert beanspruchen – ein solcher Bandname deutet auf viel Humor bei der eigenen Sache hin, und der stieß auch bei den Anmoderationen vorm Krefelder Publikum auf fruchtbaren Boden. Aber Lukas Weber (Saxofon), Tobias Foller …

Weiterlesen

Fotografische Eindrücke vom mœrs festival 2018

Das mœrs festival ist eine echte Festival-Institution in Deutschlands. Jedes Jahr lässt man drei Tage lang die improvisierte Musik und Kreativität hochleben. Das Festival, das jede Saison einen oder eine improviser in residence beheimatet, empfing 2017 35.000 Besucher. Am vergangenen Pfingstwochenende (18. bis 21. Mai 2018) ging es in eine neue Runde und bot ein vielseitiges und beeindruckendes Programm an vielen verschiedenen Schauplätzen. Stefan Pieper war für die Jazzzeitung vor Ort und hat einige Eindrücke fotografisch festgehalten. Einen ausführlichen Bericht finden Sie demnächst unter www.nmz.de. Titelbild: Spazzfrica Ehd bei der dritten mœrs session, die die Herzstücke des Festivals sind.

Weiterlesen

Maxime Bender: Universal Sky

Die typisch luxemburgische Namensgebung lautet „französischer Vorname plus deutsch klingender Familienname“. Also liegen die Dinge wohl auch klar bei Maxime Bender, einem hochmotivierten Saxofonspieler, der den europäischen Jazzhimmel bereichert. Klug aus dem Miteinander von Sprachen und Stileinflüssen zu schöpfen, das gehört zum Leben in Luxemburg, und das zeichnet Maxime Benders verschiedene Projekte allemal aus. Im nahen Frankreich ist der kosmopolitische Saxofonist für seine jüngste Band (eine von insgesamt dreien! ) „Universal Sky“ fündig geworden. Sie besteht aus dem Gitarristen Manu Codja, einem Hammondorgelspieler namens Jean-Yves Jung und dem Schlagzeuger Jerome Klein. Lassen wir die Musik für sich sprechen, denn diese ist auf dem „Universal Sky“ – Album regelrecht selbsterklärend: Ein funkiges Lick eröffnet die erste Nummer, der Kommentar folgt sofort. Die Hammondorgel lädt das Klangbild druckvoll auf. Aber bevor der Drive der Rhythmusgruppe ins Schleudern gerät, holt die Musik in wohldosierten Art Ruhepolen. Um dann wieder alle Charakterdarsteller von der Leine zu lassen, um die Kunst des Diskurses, aber auch des Umspielens zu pflegen. Zu Beginn des Stückes „Movement of the Unknown“ bläst Maxime Bender ein langes Sopransolo – nicht nur hier blitzen diese starken …

Weiterlesen

Ein echtes „Bunker-Kind“: Luise Volkmann kam mit großer Band in ihre Bielefelder „Heimstätte“ zurück

Der Bunker Ulmenwall wurde in diesem Jahr einmal mehr mit dem Spielstättenpreis für seine Programmplanungen ausgezeichnet. Und dies zu Recht, markiert diese Örtlichkeit doch seit Jahrzehnten eine prägende Institution – nicht zuletzt für den ambitionierten MusikerInnen-Nachwuchs: Entsprechend wäre auch die rasante Laufbahn der gebürtigen Bielefelderin Luise Volkmann – einer hochkreativen Bandleaderin, Saxofonistin und Komponistin – ohne den Bunker wohl kaum denkbar! Die heute 25-jährige hat bereits ein Studium in Leipzig absolviert, danach folgte ein Erasus-Stipendium in Paris. Dorthin zieht es sie nach wie vor immer noch regelmäßig, um die Energie einer internationalen Musikmetropole begierig aufzusaugen und sich sozial-künstlerisch bestens zu vernetzen. Also durfte man Großes erwarten, als sie mit einer 12-köpfigen Truppe zum „Heimspiel“ zurück in den Bunker Ulmenwall kam. Und doch übertraf die in bestem Sinne „un-erhörte“, von ihr komponierte und arrangierte Musik alle Erwartungen. Luise Volkmann will es wissen, so viel ist klar! Ihre bescheiden wirkenden Ansagen versprechen „Songs“, in denen sie auf musikalische Weise von persönlichen Beziehungen erzählt. Aber dann eröffnen sich grenzenlose Weiten, in denen sie mit ihrer Band Ideen und Klänge bestechend kreativ zu verflechten weiß. Sie macht gerne das …

Weiterlesen

Dogmatiker unter Dauerbeschuss: Künstlerische Konsequenz und viel Humor beim Essener JOE-Festival

Beim Festival der Jazzoffensive Essen geht es um alles andere, nur nicht um das risikoscheue Aufpolieren des längst Bekannten und Gefälligen. Entsprechend viel mutige Konsequenz wiederspiegelte die aktuelle Festival-Ausgabe – zumal die künstlerischen Ansätze von Musikern aus der Gegenwart keine Grenzen zu kennen scheinen!  Da zelebrieren der Berliner Niko Meinhold und der Amerikener Christopher Williams alles erdenkliche, was eben nicht zum „normalen“ Musizieren Kontrabass und Konzertflügel gehört. Im zarten Miteinander oder Gegeneinander werden zarte, oft geräuschhafte Aspekte ausgekostet – aber auf Anhieb wird klar, dass diese beiden Künstler mit so etwas eine höhere Daseinsebene im Sinn haben. Ja, die gestenhafte Rhetorik, zu der auch Textfragmente und das immer wieder eingestreute Klackern von drei Würfeln gehören, lassen fast so etwas wie ein imaginäres absurdes Theaterstück assoziieren. Niko Meinhold greift auf einschlägige Quellen zurück für solche Performance-Kunst: So partizipiert er regelmäßig im westafrikanischen Gabun an nur scheinbar archaischen, aber im Kern doch hochkomplexen Meditationsritualen. Sie bestätigen einmal mehr das, was auch Albert Schweitzer an diesem Ort erfuhr und weitergab: Musik als Kraftquelle, die Humanität spendet. So etwas übersetzen Niko Meinhold und Christopher Williams in ein eigenwilliges, subtiles …

Weiterlesen
VIP: Pierre Audétat / Vinz Vonlanthen.

Frisch durchgehört – neue CDs: Musikalischer Freigeist

Stefan Pieper hört CDs frisch durch. Norbert Stein & Pata Messengers: We are! Wenn sich Musik frei gebärdet und scheinbar gewohnte Ordnungssysteme fehlen, darf sich der Hörer um so mehr auf neues Forschungsterrain mitnehmen lassen. In dieser Hinsicht wird gerade in den freien Randbereichen diesseits und vor allem jenseits der Musikrichtung mit den vier Buchstaben mannigfaltige Grundlagenforschung betrieben. Frisch gehört wurden kurz vor Jahresende ein paar neue CDs, in denen solch ein Geist spürbar ist. (pata music 2017) Christopher Dell: Monodosis II Viel beflügelnde Musikalität bündelt Norbert Stein zusammen mit den Pata Messengers, der langjährig gewachsenen Band mit dem Pianisten Philipp Oubek, Joscha Oetz am Kontrabass sowie Etienne Nillesen an den Percussions. Sie bleiben auf ihrem neuen Album einem konsequent gepflegten schmalen Grat zwischen formaler Strenge und frei improvisierter Expression treu. Denn eine gewisse Strenge haben die hochpräzisen Tonskalen, die jedem neuen Stück ihre Grundfarbe geben, allemal. Aber aus dem komprimierten Unisono mäandern mannigfaltige Ideenströme der einzelnen Spieler, die es in keinem Moment an Charakterfülle mangeln lassen. Es gehört zum bemerkenswerten Stil dieser Band, mit so etwas verblüffend dichte Emotionen zu erzeugen. Logik ist Sache …

Weiterlesen

Bericht: Gerd Dudek spielte sich ins 80. Lebensjahr hinein

Das Recklinghäuser Szenelokal Altstadtschmiede mit ihren wöchentlichen Sessions steht für eine hohe Beständigkeit im Jazz, wie sie auch und gerade jenseits der großen Bühnen lebt. Vorausgesetzt man pflegt sie mit so viel Herzblut wie der Gitarrist Ingo Marmulla, der vor Jahrzehnten diese Reihe ins Leben rief – und heute über genug Kontakt in der Szene verfügt, um jede Woche aufs Neue die kleine Bühne voll zu bekommen. Auffällig ist, dass hier auch viel junges Publikum das Klischee von der in Würde ergrauenden Jazzgemeinde fröhlich konterkariert. Erwartungsgemäß voll wurde es, als hier mal wieder ein legendärer Spieler auf der Bühne stand: Der Saxofonist Gerd Dudek improvisierte und solierte sich abendfüllend in sein 80. Lebensjahr hinein. An seiner Seite agierte eine große, spontan zusammengewürftelte Band, und auch die vereint jung und alt in ihren Reihen! Am untersten Ende der Altersskala der groß besetzten Combo auf der kleinen Bühne rangiert Jerry Lu, der „jugend jazzt“ und „jugend musiziert“ erfolgreich meisterte und jetzt in Köln Jazzpiano studiert. Durch nichts lässt sich dessen ruhig pulsierendes Spiel aus der Ruhe bringen. Das beweist er bei dieser improvisierten Spontan-Combo wie sonst auch …

Weiterlesen