Charisma des Protests: Pussy Riot im Dortmunder domicil

Immer wieder wachrütteln „Freiheit gibt es nur so lange, wie man für Freiheit kämpft“, war nur einer der vielen Sätze, mit dem das Publikum klar kommen musste, als die legendären Provokateurinnen von Pussy Riot im Dortmund domicil ihre Musikrevolution entfesselten. Diana Burkot, Marija Aljochina, Olga Borisova und Alina Petrova, die die aktuelle Besetzung bildeten, protokollierten in ihrer etwa einstündigen Show das erlebte Absterben von Bürgerrechten, zerstörten die Heuchelei der Propaganda und riefen zum Widerstand auf. Natürlich gedachten sie auch dem mutmaßlich vom russischen Regime getöteten Dissidenten Alexey Nawalny, ebenso galt Pussy Riot´s solidarisches Mitgefühl den Menschen in der angegriffenen Ukraine. Man könnte sich fragen, warum die vier Performerinnen so viele Wasserflaschen auf der Bühne stehen hatten, aber dazu später. Vom ersten Moment an liegt Entschlossenheit und Rebellion in der Luft. Brachiale Beats aus dem Schlagzeug von Diana Burkot und dystopische Sirenenklänge von Alina Petrovas elektrischer Violine ziehen in eine ruhelos treibende Fusion aus Musik und Aktivismus hinein, die die Grenzen des Sagbaren und Machbaren auch im Dortmunder domicil herausfordern sollte. Auch musikalisch sehr bewegt Es sind nicht nur die Elektrobeats und anklagenden Wortsalven in russischer …

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Bedeutungsvoll und empathisch: Lucia Cadotsch und AKI im Dortmunder domicil

Text und Fotos: Stefan Pieper. Lucia Cadotsch, in Berlin lebende Schweizer Sängerin und Komponistin mit einer rätselhaften Art von Empathie und Emotion, betörte das Publikum im Dortmunder domicil. Ihre Songs, voller Mystik und Melancholie, entführen in eine Welt voller Metaphern. AKI Der energetischen Interaktion mit ihrer Band AKI tut so etwa keinen Abbruch – im Gegenteil! Aki, so heißt auch Lucia Cadotschs zehntes Album, ist ein „non-binärer“ Name – in Finnland heißen Jungen so, in Japan ist er für Mädchen gebräuchlich. Diese Art von Doppeldeutigkeit ist Programm für Lucia Cadotsch – eben weil strikte Zuordnungen nicht ihre Sache sind – egal wo. Anstelle von Kit Downs, der auf dem Album die Tasten bedient, macht im domicil : Jozef Dumoulin  seine Sache genauso engagiert. Leif Berger hat am Schlagzeug Platz genommen – auf wie viel explosives Temperament man sich in den folgenden 75 Minuten einlassen konnte, hat wohl mancher zu Beginn des Live-Sets noch nicht erahnt. Als fantasievolles Bindeglied – und damit auch als weitere starke Inspirationsquelle für Lucia Cadotsch – waltet Bassist Phil Donkin. Tiefste Tiefe Cadotsch singt ihre Songs, die aus tiefster Tiefe oder …

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Heinrich von Kalnein: Möbius Strip

Jeder ausübende Musiker kennt Etüdenbücher: Jene systematisch aufbauenden Sammlungen, in denen in meist kleinen, reduzierten Stücken bestimmte spielerische Probleme angegangen werden. Aber wenn große Komponisten am Werk sind, gehen solche „Versuchsanordnungen“ über das rein technische weit hinaus und es entstehen große künstlerische Schöpfungen für die Ewigkeit. Jazz als freiere, improvisierte Praxis emanzipiert sich von jeder rigiden Systematik, wo es ums unmittelbare Spielen geht. Auf der neuen Doppel-CD des Saxofonisten Heinrich von Kalnein drängen sich solche Gedanken dennoch auf. Nicht falsch verstehen: Der in Graz lebende Saxofonist, Bandleader, Komponist und Pädagoge würde wohl nie schnöde Techniketüden veröffentlichen. Aber das neue Release leistet sich eine fast schon enzyklopädische Bandbreite, um die Vielfalt an musikalischen Möglichkeiten im Jazz zu bilanzieren. Volume 1 stellt die Individualität von Instrument und Musikerpersönlichkeit heraus. Bemerkenswert ist der Entstehungsprozess dieser lupenrein klingenden Aufnahmen. Heinrich von Kalnein improvisierte nämlich die meisten dieser Stücke zunächst allein für sich im Studio von Joachim Kühn auf Ibiza, übrigens auf persönliche Einladung des berühmten Pianisten hin. Die Bassistin Gina Schwarz und der Drummer Lukas König spielten später ihre eigenen Tracks dazu. Der Prolog ist ein einladendes Rezitativ. Stück …

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Jugend jazzt 2019 zurück in Dortmund

2019 kehrt das bundesweite Jazz-Förderprojekt des Deutschen Musikrates in die Revierstadt zurück: Vom 30. Mai bis 1. Juni wird die Bundesbegegnung Jugend jazzt in Dortmund ausgetragen. Drei Tage lang finden im Fritz-Henßler-Haus und im domicil spannende Wertungsrunden und ein attraktives Rahmenprogramm statt. 13 Bands aus 13 Bundesländern haben sich für den Wettbewerb qualifiziert. Seit 1997 treffen sich alle zwei Jahre die besten Nachwuchs-Combos Deutschlands zur Bundesbegegnung Jugend jazzt. Talentierte junge Jazzmusiker, vom Duo bis zum Tentett, erhalten hier die Chance, ihr Können vor einer Fachjury und einem größeren Publikum zu präsentieren. Zugelassen sind jeweils die ersten Preisträger der vorausgehenden Landesbegegnungen. Alle Bürgerinnen und Bürger Dortmunds und Umgebung sind eingeladen, die herausragenden Talente als Publikum zu begleiten. Der Eintritt zu den Wertungsspielen ist öffentlich und frei. Bereits 2011 war Dortmund Ausrichter einer erfolgreichen Bundesbegegnungen Jugend jazzt. „Aufgrund der sehr positiven Resonanz aller Beteiligten auf die Bundesbegegnung in Dortmund 2011 hat der Deutsche Musikrat entschieden, Dortmund 2019 erneut auszuwählen. Bundesweit wird Dortmund, das sich als „westfälisches Gegenstück“ zu Köln mittlerweile einen exzellenten Ruf in puncto Jugendjazzförderung erworben hat, nun erneut im Fokus der Jazzszene stehen“, so Thomas …

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Fusion konsequent ins Heute weitergedacht: Mark Guilianas „Beat Music“ im Dortmunder domicil

Der New Yorker Mark Guiliana gehört zurzeit zu den gefragtesten Schlagzeugern: Er trommelt bei Avishai Cohen und bildet ein Duo mit Brad Mehldau. Vor allem: Sein Schlagzeugpart ist auf David Bowies – verblüffend jazzaffinen – letzten Album „Blackstar“ verewigt. Mark Guilianas Konzert im Dortmunder domicil bereicherte die Konzertreihe anlässlich des 50jährigen Bestehens des Dortmunder Jazzclubs – und wurde dem hohen Anspruch bestens gerecht! Wenn Guiliana mit einer eigenen Band auf Solopfaden wandelt, braucht dieser vielseitige Weltklasse-Rhythmiker keine eitle Selbstdarstellung. Umso mehr ist beim aktuellen „Beat Music“-Projekt das stringente greifbare Thema das Herzensanliegen: Um „Fusion“ geht es, diese zeitlose Verschmelzung von Jazz mit Rock und elektronischer Musik. Und wie eine solche Praxis wie ein aufnahmefähiger Schwamm alle Sounds und Trends vorzugsweise aus einem elektronischen Universum aufzusaugen in der Lage ist… Im Dortmunder domicil gibt Guilianas komprimiertes, von jeder virtuoser Eitelkeit befreites Schlagzeugspiel einer solchen Klangwelt den mächtigen, facettenreich ausdifferenzierten Puls. Also darf im Kollektiv in entrückte Galaxien abgehoben werden, was vor allem die beiden Keyboarder sicherstellen. Sam Crowe und Nicholas Semrad degradieren nicht etwa ihre Synthesizer zum „Werkzeug“ oder Füllmittel, sondern spielen diese Geräte als das, …

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„Joachim, willst Du mit uns spielen?“

Der Pianist Joachim Kühn traf im Dortmunder Jazzclub domicil auf die Ruhrgebiets-Kollektivband „The Dorf.“ Es braucht eigentlich kaum einer Erwähung: Auch der Pianist Joachim Kühn ist schon oft im Dortmunder Jazzclub domicil aufgetreten: „Es dürfte ungefähr im Jahr 1970 gewesen sein – und ich fand den Keller damals auch sehr schön“ erinnert sich der heute 75jährige Pianist an die alte Spielstätte des Jazzclubs in einem Keller an der Leopoldstraße. Später zog das domicil ins ehemalige Hansa-Theater und ist heute als regelmäßiger Aufführungsort für Jazz und anderes im Ruhrgebiet nicht wegzudenken. Seit der Gründung dürften hier etwa 3600 Livekonzerte über die gegangen sein – getragen von öffentlicher Förderung und noch mehr mehr bürgerschaftlichem Engagement, geadelt durch etliche Spielstättenpreise und immer wieder neu bestätigt durch eine kontinuierlich hohe Publikumsnachfrage. Das Auftaktkonzert einer ganzen Reihe zum runden Jubiläum demonstrierte, worum es in einem guten Jazzclub geht: Mit einem Soloauftritt von Joachim Kühn einen der besten internationalen Musiker auf der Höhe der Zeit nach hierhin zu holen. Zugleich mit einem Gig der Ruhrgebeitsformation „The Dorf“ am Puls der regionalen Musikszene zu sein. Im Idealfall berührt sich dies und reagiert …

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Jugend Jazzt Wertungsspiele in Potsdam. Foto: Hufner - Tierisch (Hamburg)

Preisträgerkonzert des Wettbewerbs „Jugend jazzt“ im domicil in Dortmund

Am 16. Februar 2018 um 19.30 Uhr zeichnen Staatssekretär Klaus Kaiser (Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW) und Bürgermeister Manfred Sauer (Stadt Dortmund) im Jazzclub „domicil“ die Preisträger des diesjährigen Wettbewerbs „Jugend jazzt“ aus. Beide überreichen die Urkunden im Rahmen eines Konzerts in der traditionsreichen Jazzspielstätte. Für den ersten Konzertteil treten die Solisten des Wettbewerbs miteinander und mit Musikern aus der Rhythmusgruppe des Jugendjazzorchesters NRW zu Bands zusammen, die nicht nur ihre Virtuosität, sondern auch ihre spontane Freude am Zusammenspiel unter Beweis stellen. Den zweiten Teil des Konzerts gestaltet das Jugendjazzorchester NRW mit Höhepunkten aus seinem aktuellen Programm. Ausgezeichnet werden als bestes Jazzorchester des Wettbewerbs die Nachwuchs-Big Band der Kunst- und Musikschule Brühl unter Leitung von Elmar Frey und Jan Schreiner. Für die besten solistischen Leistungen in einer Big Band werden Björn Beier (Posaune und Komposition, „JazZination“, Gesamtschule Iserlohn) und Marc Hewitt (Sousaphon, „Footprints SL“, Musikschule Lüdenscheid) geehrt. Den Förderpreis der „Werner Richard – Dr. Carl Dörken Stiftung“ erhält die Big Band-Klasse der 6. Jahrgangsstufe der Gesamtschule Iserlohn unter Leitung von Hermann Dörnen, die jüngste Band des Wettbewerbs. Einen Sonderpreis erhält der Posaunensatz der Big …

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Präzision und Himmelsstürme: John-Dennis Renkens Band „Tribe“ im Dortmunder „domicil“

Ausgiebig Gelegenheit, sich seine Lieblingsmusiker auszusuchen, hatte der Essener Trompeter John-Dennis Renken während seiner Zeit als Improvisor in Residence in Moers, die im Januar zu Ende ging. Also erweiterte er „seine“ langjährig bestehendes „Zodiak Trio“ um die Saxophonistin Angelika Niescier (übrigens die aktuelle Preisträgerin des Albert-Mangelsdorff-Preises) und die australische Ausnahmeposaunistin Shannon Barnett – das funktionierte so gut, dass seitdem unter dem Namen „Tribe“ eine neue feste Band ins Leben gerufen worden ist! – Text und Fotos von Stefan Pieper Die druckvoll-progressive, gerne auch breakbeatlastige Jazzrock-Mischung des Zodiak-Trios erfährt hier eine plausible Erweiterung in Richtung komplexer, manchmal fast bigbandartiger Bläsersätze. Und es weitet sich immens die Spielwiese für solistische Höhenflüge! Diese Jazzmusiker von heute, die sich schon lange kennen und alle auf vielfältige Weise international vernetzt sind, vereinen Tugenden, die die Gegenwart braucht: Dezidierte kompositorische Ideen liefern die Plattform für ausschweifenden Freigeist. Und bei allem ist höchste Intuition im Spiel. Es geht einiges an diesem Abend im Dortmunder Jazzclub domicil: Herrlich feingliedrig „zerlegt“ Bernd Oeszevim auf dem Schlagzeug filigranste rhytmische Mikrostrukturen und baut trotzdem mächtig Druck dabei auf. Der bewusste Verzicht auf einen Bass in dieser …

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APPLAUS 2016 – Auszeichnungen und Förderungen für 64 herausragende Livemusikprogramme aus 13 Bundesländern

Hauptpreise gehen an Stadtgarten in Köln, Golden Pudel Club in Hamburg und „biegungen im ausland“ in Berlin Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters: „Mit ihren ambitionierten und innovativen Programmen, die sie oft mit erheblichem finanziellem Risiko realisieren, sind sie es, die für eine vielfältige Musik- und Clublandschaft in Deutschland sorgen.“ Unabhängige Musikclubs und Veranstaltungsreihen werden ausgezeichnet und mit insgesamt 900.000 Euro gefördert Dieter Gorny, Juryvorsitzender APPLAUS: „Die Auszeichnung macht von der Bundesebene deutlich, dass die Clubs für ein kulturell hochwertiges Programm stehen.“ Im Rahmen von APPLAUS – kurz für „Auszeichnung der Programmplanung unabhängiger Spielstätten“ – prämiert Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters heute zum vierten Mal herausragende Livemusikprogramme von unabhängigen Musikclubs und Veranstaltungsreihen. Von dem Förderpreis der Initiative Musik profitieren 64 Preisträger aus 13 Bundesländern. Damit verbunden sind Programmförderungen in Höhe von insgesamt 900.000 Euro, die APPLAUS erneut zum höchstdotierten Bundesmusikpreis Deutschlands machen. Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters: „Für viele Clubbetreiberinnen und Clubbetreiber ist Musik ein Lebenselixier, weil sie die Leidenschaft für Musik jeden Tag antreibt. Mit ihren ambitionierten und innovativen Programmen, die sie oft mit erheblichem finanziellem Risiko realisieren, sind sie es, die für eine vielfältige Musik- und Clublandschaft …

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Dieser Applaus ist Geld wert

Am gestrigen Abend zeichnete Kulturstaatsministerin Monika Grütters zum dritten Mal herausragende Livemusikprogramme mit dem sogenannten Spielstättenprogrammpreis der Initiative Musik aus. Dieser firmiert erstmals unter dem neuen Namen APPLAUS – ein Kürzel für ‚Auszeichnung der Programmplanung unabhängiger Spielstätten‘. Mit der Verleihung des bundesweiten Preises sind Förderungen in Höhe von 905.000 Euro verbunden. Die Veranstaltung fand dieses Jahr in Kooperation mit dem Kulturreferat München sowie dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie in der Münchener Muffathalle statt. „What’s a Muffat“ – diese Frage stellte sich der eine oder andere auswärtige Künstler beim Rundgang und Empfang durch das Muffatwerk, einem ehemaligen Wasserwerk am Isarufer. Georg Muffat – diese kleine Abschweifung muss sein – war ein Komponist und Organist des Barock und wirkte unter anderem im nahegelegenen Passau am Hof des Bischofs Johann Philipp von Lamberg als Kapellmeister und Hofmeister der Edelknaben als Kapellmeister. Damals war man noch am Hofe angestellt, heute ist man unabhängig und schlank im Budget. Zahlreiche Spielstätten, das wurde bei den Laudationes der Moderatorin Nina Sonneberg immer wieder deutlich, sind ohne Ehrenamt und Selbstausbeutung nicht denkbar. Der APPLAUS 2015 zeichnete 64 herausragende …

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