Festivalland NRW: Die Livekultur ist wieder da!

Wenn es um Jazz geht, dann ist NRW ein Festivalland. Vor allem jenseits der Jazzmetropole Köln sind sie ein starker Imageträger und verschaffen oft kleinen oder strukturschwachen Städten eine überregionale Ausstrahlung. Das Moers-Festival ist hier das prominenteste Beispiel. Immerhin fanden zu Pfingsten im Moerser Freizeitpark die allerersten Konzerte vor Publikum wieder statt. Der „echte“ Neustart einer Live-Kultur auf breiter Ebene ist erst jetzt im ausgehenden Sommer erfolgt – aber damit lässt sich die Friedhofsruhe der Lockdown-Zeit umso nachhaltiger bekämpfen. Jazzjestivals in NRW sind durch sehr diverse Historien, Konzepte und Milieus geprägt. Kreativ und hartnäckig und mit viel privater und öffentlicher Unterstützung haben die Veranstalter ihre Events für die aktuelle Situation passend gemacht und damit auch so manche gute Idee für die Zukunft aus der Taufe gehoben. Platzhirsch-Festival Duisburg Zum Beispiel in Duisburg, was nach außen nicht unbedingt als Kulturmetropole wahrgenommen wird: Das Platzhirsch-Festival belegt, dass hier viele kulturaffine Mennschen an einem Strang ziehen. In diesem Jahr profitierte das Festival vom Duisburger Kultursommer, der in einem großen Zelt im Kantpark den verschiedenen Kultursparten ein Forum liefert und hier natürlich auch der Platzhirsch (deswegen heißt er ja …

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41. Jazzfestival Saalfelden: Experimente mit den Rändern des Genres

Neuauflage des Saalfelder Jazzfestivals setzt auf Kommunikationsfähigkeit und wechselnde Formationen In der Kunst geht es auch darum, was sein kann, nicht zwangsläufig, was sein darf. „Ich halte mich da an Roscoe Mitchell“, meint Craig Taborn im Gespräch. „Seine Frage lautet: ‚Worin besteht dein Beitrag?‘“ Um das zu erkunden, wagt er Experimente, stellte sich mit Fender Rhodes in den Wald, begab sich mit Christian Lillinger und Elias Stemeseder auf die Nexus-Bühne oder spielte im Trio mit Tomeka Reid und Ches Smith auf der Main Stage des Kongresszentrums von Saalfelden mit der Dramaturgie der improvisierenden Gruppenenergie. Das passte gut zum Gesamtbild, denn die Neuauflage des international renommierten Jazzfestivals (16. bis 22. August) nach der pandemiebedingten Weekender-Kleinform im vergangenen Jahr setzte unter anderem auf die Kommunikationsfähigkeit einiger zentraler Musiker:innen, die in wechselnden Formationen mit den Rändern der Genres experimentierten. Modulierende Besetzungen Der Vokalist, Schauspieler und Dadaist Christian Reiner zum Beispiel war als Artist in Residence an fünf verschiedenen Projekten beteiligt, von einer mehr textorientierten Waldrezitation über ein wild expressives frei agierendes Quintett mit dem Namen „Fünf“ und semantisch helikopternden Wortfragmenten bis hin zur Spontan-Vertonung eines 16 Meter langen …

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Entspannte Stimmung trotz Regen beim 29. Ausburger Jazzsommer

Der Augsburger Jazzsommer ging dieses Jahr in die 29. Runde. Nachdem letztes Jahr Corona bedingt nur ein schmales Programm stattfinden konnte, ging es dieses Jahr endlich wieder in die Vollen! Als Kurator des Augsburger Jazzsommers ist Tilman Herpichböhm nun seit zwei Jahren in der Verantwortung. Was nach 2019 mit Elan und Engagement begann, wurde letztes Jahr pandemiebedingt fast komplett ausgebremst. Allerdings hat sich das seinerzeit aufgestellte Hygienekonzept bewährt. So konnte man dieses Jahr endlich wieder ein komplettes, internationales Programm auf die Beine stellen das sich sehen lassen und, dank der aktuellen Situation, vor bis zu 500 Personen im Botanischen Garten, stattfinden konnte. Fünf Sommernachtskonzerte fanden dieses Jahr im Botanischen Garten statt. Angefangen vom Billy Hart Quartett, über das Julian Lage Trio, dem Ramón Valle Trio, der Formation Humair-Blaser-Känzig und als krönenden Abschluss Nik Bärtschs Ronin. Das Publikum hat die Veranstaltungen sehr gut angenommen und so spielten die Bands vor ausverkauftem Pavillon. Einzig das Wetter ließ dieses Jahr ein wenig zu wünschen übrig. Während es bei Billy Hart zu regnen begann, konnten Lage und Valle an lauen, trockenen allerdings kühlen Abenden auftreten und Schlagzeuglegende Humair begeisterte …

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Bluesige Songs mit Bitternote: Stefanie Boltz und Christian Wegscheider – Jazzbaby!

Ein voller Terminkalender: Schon vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin im August können Zuhörerinnen (inkl. -hörer) dem Tiger ins Maul schauen und zuhören wenn er knurrt, brüllt oder tobt. Das „Gebrüll eines gezähmten Tigers“ ist Stefanie Boltz’ und Christian Wegscheiders erste gemeinsame Produktion. Sie entwickelten diese gemeinsam während des gleichermaßen zermürbenden, wie begünstigenden Lockdowns. Heuer nahmen sie die dabei entstandenen Songs zusammen mit einigen Gastmusikern auf. Vieles lief lange Zeit über Fernkontakte, digital, bis sich die Münchnerin Boltz „mit einem ganzen Stapel Unterlagen unterm Arm, erstmals nervös der (österreichischen, Anm.) Grenze näherte, und dann tatsächlich passieren durfte.“ Beide erlebten diesen Moment als „unglaubliches Freiheitsgefühl“. Sie hätten immer wieder gewitzelt, erzählt Boltz in einem Interview, „dass wir uns einfach auf einem Berg treffen. Da wiederum kursierten Gerüchte, dass die Feldjäger patrouillierten und Grenzgänger ‚jagten‘. Außerdem brauchten wir ja auch sein Studio und einen Flügel.“ Blues, Jazz und Chanson Das Warten, bis Grenzen wieder offen und Begegnungen wie Arbeitstreffen von Künstlern wieder möglich waren, hat sich gelohnt. „A Tamed Tiger’s Roar“ lässt allzu eindeutige und manchmal enge Stilgrenzen hinter sich und verbindet mit emotionaler Nachdenklichkeit und feiner Poesie Singer-Songwritertum …

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Erlösung aus der Konzertabstinenz: Frederik Kösters „Die Verwandlung“ auf der Lüdinghauser Burg Vischering

Fotos und Text von Stefan Pieper. Der Liveauftritt von Frederik Kösters Band „Die Verwandlung“ im Hof der westfälischen Wasserburg Vischering war vor allem für diese Kölner Musiker eine besondere Premiere: Im März vor dem großen Lockdown konnten sie das letzte Mal vor Publikum auftreten und eine so lange Live-Abstinenz wiegt schwer. Motivation und Stimmung sind nun einfach ganz anders, als bei jeder Livestream-Produktion, sagt Frederik Köster bei der Begrüßung – um die ganze Emotion dann zusammen mit Joscha Oetz, Jonas Burgwinkel und Sebastian Sternal ans zahlreich erschienene Publikum weiter zu geben. Das Kölner Quartett hat für seinen aufgeklärten Jazz schon zahlreiche Preise abgeräumt – und sie sind in Köln im Rahmen des Klaeng-Kollektivs äußerst umtriebig, wenn es um die Vernetzung der regionalen Jazzszene geht. Sie legen sich dann auf der Burg Vischering mächtig ins Zeug mit ihren betont eigenständigen Kompositionen. Unregelmäßige Metren und gewagte Tonalität, die sich Ecken und Kanten leistet – und Gelegenheit gibt, sich daran abzuarbeiten und spontan Neues daraus entstehen zu lassen. Ja, es braucht an diesem Abend erst mal ein kleines Weilchen, um in den komplexen Koordinatensystemen von Kösters Kompositionen heimisch …

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Herrschaftsfreies Geben und Nehmen- das 24. JOE-Festival Essen

Text und Fotos von Stefan Pieper. Neue Horizonte eröffnen ist das Anliegen eines guten Festivals: Die Jazzoffensive Essen bediente mit ihrem JOE-Festival die Entdeckerseele und kann sich auch im zweiten Jahr nach dem „Umzug“ in die Zeche Carl eines wachsenden Besucherzustroms erfreuen. Konventionelle Besetzungen und Klänge sind in Essen auf jeden Fall Mangelware, wenn es um gelebte Kreativität und Weiterentwicklung geht. Zusammen mit dem Schlagzeuger Jo Beyer emanzipieren Maika Küster und Marie Daniels in ihrer neuen Band „Brenda“ das vokale Prinzip neu. Will sagen: Da ist nicht mehr länger die Sängerin nur „Frontfrau“ vor einer Combo. Stattdessen bilden die beiden vielseitigen Stimmen-Künstlerinnen nebst äußerst treffsicher dosierter Elektronik das ganze harmonische Rückgrat – so präsent und reich an Klangfarben, dass sich Schlagzeuger Jo Beyer gar nicht zurücknehmen braucht. Der Auftritt von „Brenda“ in der Zeche Carl sorgt gleich in mehrerer Hinsicht für Schwebezustände: Flächenklänge und lautmalerische Gesten werden durchs Universum geschickt. Zugleich ist viel beseelte Poesie im Spiel. An Gospelgesänge erinnern die repetitiven Strukturen. Improvisierend vereinte Gesangslinien setzen exotische Melismen frei – und auch der Blues ist im Spiel. Handlungspraxis Improvisation Improvisation ist auch in sozialen …

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Baustellenkunst, Raum-Licht-Installation und ein Flügel, der hoch fliegt

Ein Wochenende auf dem Festival „Out of the Box“ im Münchner Werksviertel. Oder: Alain Roche gibt das erste Konzert im neuen Münchner Konzertsaal auf der vereisten Baustelle. Der Veranstalter whiteBOX geht im neuen Jahr nicht nur mit Eismusik aufs Dach oder mit Musik unter Wasser, sondern traut sich mit „Piano vertical“ in schwindelnde Höhen. Die Produktion des Schweizer Pianisten und Komponisten Alain Roche ist atemberaubender Stunt, urbane Poesie und technologisches Meisterstück in einem. Dieses Wochenende war es so weit: „Piano vertical – Chantier“ fand am 24., 25. und 26. Januar 2020 jeweils bei Tagesanbruch kurz vor 7.00 Uhr morgens auf dem Grundstück des zukünftigen Konzerthauses statt. Alain Roche hing dabei mit seinem eigens dafür konstruierten Konzertflügel in großer Höhe am Ausleger eines Baukrans und gab ein etwa 45-minütiges Konzert. Die Fotografin Susanne van Loon hielt die faszinierende Choreographie von Flügel, Pianist und Baustelle für die Jazzzeitung fest.   Alain Roche über seine Arbeit und seine Musik: „Die Baustelle ist der perfekte Ort für das Ostinato. Ich wollte mit mechanischen, metallischen Klangquellen arbeiten; roh und repetitiv wie die Ostinati, die ich besonders gern mag: Motorengeräusche, fallende …

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Nicotheo gastieren im Birdland Neuburg

Text und Foto: Karl Leitner. Immer wieder bietet der Birdland Jazzclub in Neuburg neben internationalen Größen auch einheimischen Jazzmusikern ein Forum. Diesmal ist das Quintett Nicotheo zu Gast. Die Band passt deswegen in die dort bereits seit Jahren etablierte Reihe „Jazz aus der Region“, weil Gitarrist Simon Schneid seine Kindheit in der Stadt an der Donau verbracht hat. Mittlerweile studiert er zwar an der Musikhochschule für Musik in Würzburg und unterhält dort seit 2018 zusammen mit Nico Theodossiadis (Alt- und Sopransaxofon, Querflöte), Jan Peter Itze (Klavier), Hannes Stegmeier (Bass) und Konrad Patzig (Schlagzeug) eine eigene Band, hat im Birdland aber natürlich trotzdem quasi ein Heimspiel. Wenn fünf Musiker sich treffen, kommt keiner ohne Hintergrund zum ersten Meeting. In diesem Fall sind es Rock, Pop, Modern Jazz, Funk, Soul, Klassik und griechische Folklore. Es kommt einiges zusammen, was da unter einen Hut zu bringen ist, will man für eine Formation eine musikalische Sprache finden. Der Prozess, einen gemeinsamen Nenner zu finden, kann im Falle Nicotheo nach so kurzer Zeit naturgemäß noch nicht abgeschlossen sein, stattdessen ist der Weg das Ziel. Auf diesem Weg als Zuhörer ein …

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Brian Auger feat. Liliana de los Reyes spielte im Berli-Theater in Hürth.

Brian Auger ist eine lebende Legende. Im stolzen Alter von 80 Jahren geht der Brite, der viel jünger aussieht, als er ist, immer noch mit seinem Bandprojekt «Oblivion Express» auf Tour und ist ständig als musikalischer Botschafter des Jazz-Rocks unterwegs. Selten kommt er dabei aber seinen Fans so nahe wie am 1. Oktober, als er vor restlos ausverkauftem Haus im Hürther Berli-Theater zu Gast war – und das gleich im mehrfachen Sinn, denn der Jazzclub Hürth bot in Kooperation mit dem Berli nicht nur ein Konzert, sondern einen ganzen Brian-Auger-Abend mit Dokumentation und Publikumsgespräch. Dokumentation und Publikumsgespräch Zum Auftakt zeigte das nostalgische Berli-Kino, das technisch auf aktuellstem Stand ist, den von Michael Maschke produzierten Film «Brian Auger – Life on Tour». Aus der Perspektive des Regisseurs, der Brian Auger seit vier Jahrzehnten persönlich kennt, begleitete das Publikum den legendären Hammond-Organisten auf seinen Tournee-Reisen: Von der Arena di Verona, wo er mit Zucchero 2018 spielte, bis hin zu Auftritten in kleineren Sälen in Städten wie Pforzheim oder Ellwangen. Anhand von historischen Filmdokumenten führte Maschke die Zuschauer auch zurück in die umtriebigen Sechzigerjahre, als Auger mit Musikern …

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Das Miteinander bestimmt auch dieses Jahr den Augsburger Jazzsommer

Seit 27 Jahren findet der internationale Jazzsommer in Augsburg statt. Und auch dieses Jahr war das Programm wieder erlesen und für jeden Geschmack etwas mit dabei. Einziger Wermutstropfen: Christian Stock legt nach nunmehr 27 Ausgaben des Festivals sein Amt als künstlerischer Leiter nieder, um nach all den erfüllten aber auch anstrengenden Jahren endlich einmal ausspannen und zukünftig genießen zu können. Der internationale Jazzsommer und die wunderbare Zusammenarbeit zwischen Botanischem Garten, Sponsoren, Kulturamt und Helfern wird, das ist die gute Nachricht, ab nächstes Jahr weitergeführt von niemand Geringerem als dem Augsburger Schlagzeuger Tilman Herpichböhm – ein gute Entscheidung, es wird also auch weiterhin spannende internationale Jazzsommer in Augsburg geben! Ein ganz besonderes Merkmal dieses Jazzfestivals ist, außer den traditionellen Zeughaus/Brunnenhofkonzerten im Rahmen der Dixie & Swing Reihe, die außergewöhnliche Location im Botanischen Garten für die internationalen Acts. Dort befindet sich ein malerischer  „Pavillon“, unter dem bei gutem Wetter die eigentliche Bühne für die Konzerte untergebracht ist. Drumherum sitzt das Publikum dann im Freien auf Stühlen und kann bei hervorragender Akustik die Konzerte genießen. Bei Regen oder schlechtem Wetter zieht man ins benachbarte „Glashaus“ um, in dem …

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