„Tiptons“ widmen Song dem Präsidenten

„Humans in tiny lower case“, Menschen in winzigen Verhältnissen, ist ein bissig-vergnügter Song mit nachdenklich stimmendem Kern. Die menschliche Hybris und Beschränktheit gegenüber der Größe des Universum sollte „uns kleine dummen Menschen“ etwas bescheidener machen, singen die „Tiptons“ bei ihrem Auftritt im Leeren Beutel. Die vier Musikerinnen widmen den Song ganz explizit ihrem eigenen, „dem amerikanischen Präsidenten“. Es ist nicht die einzige – musikalische – Frechheit, die das singende und blasende Saxophonquartett mit lustvollem Vergnügen und hinreißender Leidenschaft aus dem Hut eines zehn CDs umfassendes Œuvres zieht. Neben engagierten Songs, in denen sie mit Witz und Scharfsinn Stellung beziehen, stecken darin Walzer und Reggaerhythmen. Aber auch überschäumende italienische Melodik und knackiges, vierstimmiges Jazzgebläse, leichtfüßige Latinstücke, Soulfunk und handfester Blues beinhaltet ihre Musik. Vervollständigt wird die Band durch den österreichischen Schlagzeuger Robert Kainer, der es lächelnd aushält, wenn er als Quotenmann bezeichnet wird. Beim ersten Jazzclub-Konzert vor einem Vierteljahrhundert war noch ein anderer Drummer mit dabei. Damals nannten sich die Saxophonistinnen, die sich an ihr Regensburgdebüt gut erinnern konnten, noch „The Billy Tipton Memorial Saxophone Quartet“ nach einer Musikerin, die in den 40er Jahren nur als …

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„Fränkisches Weißbrot“ Wolfgang Haffner lobt Regensburg

In der Muppets-Show sitzt „Das Tier“ am Schlagzeug und drischt mit wilder Lust und leidenschaftlicher Energie auf die Felle und Becken seines Drumsets ein. Selbiges passiert auch bei Wolfgang Haffner, wie bei seinem heftig umjubelten Auftritt am Wochenende im Leeren Beutel zu erleben war. Haffner trägt zwar keinen ungezähmten Bart und sein hoch differenziertes Spiel lebt auch nicht allein von purer Energie und emotionaler Kraft. Der 52-jährige Schlagzeuger aus Franken gehört heute zu den erfahrensten und vielseitigsten Musiker weltweit. In seinem delikaten Spiel stecken sowohl die eruptive Energie des entflammten Meisters, als auch die feinsten Klangzaubereien eines Ziseleurs der Besen und Stöcke. Dennoch hat ihm einer der Musiker seines Quartetts beinahe die Show gestohlen, zumindest bildlich gesehen. Der aus Darmstadt stammende Vibraphonist Christopher Dell macht äußerlich den Eindruck eines einfachen Beamten in der Kfz-Zulassungsstelle und entwickelte in seinem fulminanten Solospiel eine musikalische Ekstase und einen flirrenden Ideenreichtum wie sie jedem Minister mehr als gut anstehen würden. Gleich anfänglich im eher gemächlichen „Hippie“ brillierte er mit einem Solo, dass manchem begeisterten Zuhörer im voll besetzten Saal der Mund offen stehen blieb. Nach einem kurzen Break wechselte …

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CD-Rezension: Joachim Kühn New Trio – Love & Peace

„Love & Peace“, das liest sich wie Hippietum und Happening oder steht für esoterische Erleuchtungsrituale. Zutaten also, die bei vielen Menschen  Abwehr- oder gar Fluchtreaktionen auszulösen imstande sind. „Love & Peace“ steht aber auch für das Festival auf Fehmarn, bei dem Jimi Hendrix seinen letzten Festivalauftritt hatte, und ist – wie so vieles andere – längst zu einem glatt gebügelten Marketingbegriff verkommen. Es ist anzunehmen, dass dem gebürtigen Leipziger Joachim Kühn, der in den wilden 60er Jahren „rübergemacht“ hat, diese Umstände bewusst sind, als er sein neues Album mit eben diesem Begriffspaar überschrieben hat. Hat er, Jahrgang 1944, doch selbst Wurzeln in dieser Zeit, die heute so fern erscheint. Weit weniger fern erscheint dagegen der semantische und erst recht der emotionale Gehalt dieser Phrase – dem heute ein größeres Gewicht zukommt als vor einem halben Jahrhundert. Wohl deshalb überbrückt Kühn den Raum zwischen heute und gestern und stellt – nach dem 2016er Erstling „Beauty & Truth“ – im zweiten Kapitel mit seinem „New Trio“ die überfällige Verbindung her. Eines fällt dabei ganz besonders auf: Kühn klingt wie Kühn, aber gleichzeitig auch anders als gewohnt. Unter …

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Bluesgetränkt und frei im Geist – „A Love Electric“ im Leeren Beutel in Regensburg

Oldfashioned, altmodisch, ist der erste Gedanke beim klassischen Rocktrio-Lineup von „A Love Electric“. Auch die ersten Takte der Mixed-American-Band im Leeren Beutel scheinen diesen Eindruck zu bestätigen. Bluesgetränkt baut sich eine leicht schattige, von Todd Clousers lässigem Spiel auf der E-Gitarre befeuerte Spannung auf. Aber nicht nur die bis in die Augen gezogene Wollmütze des aus Argentinien stammenden Drummers Hernan Hecht und die Loops, die Bassist Aaron Cruz mit der Mundharmonika unter sein filigranes Spiel legt, stellen sich dem Schablonendenken grinsend in den Weg. Mit jedem Song den Clouser anstimmt wird deutlicher, dass die musikalischen Wurzeln der Band zwar im Blues, Rock, Jazz und Soul liegen. Rückwärts gewandt allerdings ist dieses großartige Trio ganz und garnicht, im Unterschied zu vielen faden Retro-Bands. Die gleichberechtigt auftretenden Musiker machen keinen Hehl daraus, wo ihre popgeschichtlichen Referenzpunkte verankert sind. Da klingt Curtis Mayfield, dem sogar ein Song auf einem ihrer Alben gewidmet ist, ebenso an, wie der künstlerische Gestus Tom Waits‘ oder Edgar Winters Vielfalt. Weit im Hintergrund scheinen hie und da die „Doors“ und die „Electric Prunes“ mit ihren psychedelischen Sounds auf. In den verkanteten Rhythmen und …

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Frontmann Jan Zehrfeld spottet über "erzwungene Besinnlichkeit". Foto: Michael Scheiner

Panzerballett zerschreddert weihnachtliche Innerlichkeit

Panzerballetts komplexer Streifzug durch die Welt des Weihnachtslieds im instrumentalen Tarnanzug von harten Metal-Riffs und krummen Rhythmen. Ende der 70er Jahre plärrte die österreichische Rockband EAV „Ihr Kinderlein kommet (verdammt noch einmal)“ auf ihrer gleichnamigen Tour. Es war eine schneidend böse Häme auf weihnachtlichen Konsumzwang und Heuchelei, garniert mit schlüpfrigen Bosheiten. Für Jan Zehrfeld ist das seit 1997 jedes Jahr im Herbst wieder in den deutschen Charts vertretene „White Christmas“ nur auf eine Weise, nämlich „so erträglich“: Auf der Bühne im Leeren Beutel lässt er kurz seine siebensaitige Gitarre von Ibanez aufheulen. Er habe den Song des Popsängers George Michael „mit schönen Harmonien“ – er spielt wieder einen schrägen Akkord an – und „neuen Taktarten, also 11/4 und auch 11/16“ aufgemotzt. Die Melodie aber habe er „ganz und gar unangetastet gelassen“. Einige wuchtige Gitarrenakkorde peitschen durch den historischen Saal, als das sechsköpfige Panzerballett, Zehrfelds Band, mit der fast komplett neu zusammengesetzten Weihnachtsschnulze loslegt – die fetten Steinsäulen halten stand. Minutenlang fliegen einem höchst heterogenen Publikum heftige Schlagzeugkaskaden, mächtig treibende Basslinien und peitschende Gitarrenklänge um die Ohren. Ob alt oder jung, es scheint allen richtig zu …

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Monika Roscher steigt in Leuchtdiodenanzug und tanzt die „Starlight Night“

„Echte Lieder aus dem Leben“: Monika Roscher mit ihrer 17-köpfigen Band im Regensburger Jazzclub Leerer Beutel Das knapp zehnjährige Mädel in der ersten Reihe konnte kaum seinen Blick von der lebhaften Musikerin auf der dicht besetzten Bühne im Leeren Beutel wenden. Weit vorn auf dem Stuhl sitzend, schlenkerte sie mit den Beinen im Takt des mächtigen Bigband-Sounds, ihre Finger gingen mit, wenn Monika Roscher mit entschiedenen Armbewegungen den Einsatz der verschiedenen Bläsersections dirigierte. Oft hatte die Bandleaderin dabei noch ihre E-Gitarre, eine Fender Stratocaster, um den Hals hängen, weil zwischen ihren verschiedenen Aufgaben – sie singt auch noch – zu wenig Zeit gewesen ist, das Instrument in den Ständer zu stellen. Auch in diesem Jahr gastierte Roscher mit ihrem „Artrockpopelektrokollektiv in Big-Band-Gestalt“ – so die Selbstbezeichnung – im Leeren Beutel. Traditionell spielt am zweiten Weihnachtsfeiertag eine Großformation beim Jazzclub und bringt die trägen Jazz- und sonstigen Fans wieder richtig in Schwung. Das gelang der in München lebenden Mittelfränkin so gut, dass das hellauf begeistert Publikum im voll besetzten Saal sprichwörtlich Kopf stand. Mehr als eine Zugabe, die auch noch ganz pragmatisch „The End“ hieß, war …

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Minimal Jazz: Andreas Dombert im Regensburger Kulturhaus Leerer Beutel

Minimal Schritte in eine neue Richtung Der Regensburger Gitarrist Andreas Dombert stellte im Kulturhaus Leerer Beutel sein neues Programm mit Minimal-Kompositionen vor Er sei, schildert Gitarrist Andreas Dombert auf der schmalen Bühne im dritten Stock des Leeren Beutels in Regensburg, „in ein richtiges Loch gefallen“. Nach der Produktion des Album „35“ vor zwei Jahren, das für einen Jazz Echo vorgeschlagen worden sei und prima Kritiken erhalten habe, „wusste ich nicht, wie es weitergehen soll“. In einem Hauptseminar habe er wenig später an der Uni die Minimal Music kennengelernt und darin einen Weg für sich gesehen. „Wenn sie hier im Raum vor den blauen Bildern stehen bleiben“, sprach er die Zuhörer unmittelbar an und setzte einen Vergleich zur eigenen Faszination für diese Form von Neuer Musik, „und lassen sie auf sich wirken, passiert irgendwann etwas mit ihnen“. Mit geübtem Griff hob Dombert schließlich seine Gitarre aus dem Ständer, stöpselte an und begann das langsam sich entwickelte „Like the Birds Sing“ zu spielen. Es ist seine erste minimalistische Komposition. Dreimal trug er sie hintereinander in unterschiedlichen Tempi und mit verschieden harten Plektren konzentriert und klar konturiert vor. …

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Volles Risiko für „im Moment sein“

Beim Jubiläumskonzert des Jazzclub im Leeren Beutel begeisterte das Trio des 30-jährigen Pianisten Pablo Held das Publikum bis zum letzten Platz. „Was ihr da habt, ist ein Geschenk“, begeisterte sich die Sitznachbarin im Leeren Beutel, nachdem der lang anhaltende Beifall für das Pablo Held Trio abgeflaut war. Damit meinte sie sowohl das Konzert, wie auch das Programm des Jazzclubs als solches. In Traunstein, wo sie lebe, müsse man Wege bis München oder Salzburg in Kauf nehmen, um vergleichbare Konzerte zu hören. Nach einer Fortbildung war die Physiotherapeutin über ein Plakat auf das Jubiläumskonzert zum 30-jährigen des Clubs aufmerksam geworden und hatte spontan beschlossen es sich noch anzuhören. Ruhig, suchend, ein paar wenig Töne vom Flügel markieren den tastenden Einstieg. Getupfte Beckenklänge, vom Bass breitet sich ein Ton in bedächtigen Wellen durch den ganzen Saal aus. Langsam entwickelt sich aus den vereinzelten Klangbewegungen ein fragiles Motiv, gewinnt an Fahrt und Dynamik, verdichtet sich, kumuliert in einem ersten Höhepunkt, bricht fast schlagartig wieder ab. „Wir spielen seit zwölf Jahren zusammen“, hatte Pianist Pablo Held zur Begrüßung das Trio vorgestellt, „und beschlossen etwas zu ändern“. Sie würden nun …

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Kinga Glyk in ihrer YouTube-PoseFoto: Michael Scheiner
Kinga Glyk in ihrer YouTube-Pose. Foto: Michael Scheiner

Virtuos, jung und erfolgreich – Kinga Glyk

Täglich bringt das Internet über Plattformen wie youtube.com neue Stars hervor. Häufig sind solche Hypes sehr kurzlebig und die Musiker schnell vergessen. Auch die polnische Bassistin Kinga Glyk verdankt ihre schnell gewachsene Bekanntheit auch einem YouTube-Video. Darin spielt sie Eric Claptons Hymne an seinen verstorbenen Sohn, „Tears in Heaven“, in einer Dachkammer auf dem Boden sitzend solo auf einem mächtigen Fender-Electrobass. Das Video mit der innigen Version wurde mehrere Millionen mal angeklickt. Heute gehört der virtuos interpretierte Song fest zum Programm von Glyks Liveauftritten. Beim Jazzclub im Leeren Beutel spielte sie es nach einem bejubelten Konzert als Zugabe – im Schneidersitz auf der Bühne sitzend und den obligatorischen Hut in die Stirn gedrückt. An den Auftritt der 20-jährigen Musikerin mit ihrem Trio waren hohe Erwartungen geknüpft. Beiträge im „Heute Journal“, Deutschlandfunk und im „Spiegel“, ein Auftritt beim Festival „Jazz Open“ in Stuttgart und ein Plattenvertrag bei einem Major-Label, bei dem eben das neue, dritte Album „Dream“ erschienen ist, haben auch in Regensburg Scharen Neugieriger angelockt. Wo sonst bei neuen Bands, die erstmals beim Club auftreten, eher ein überschaubarer Eindruck herrscht, war diesmal der Saal voll. …

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Joe Rosenberg Ensemble: Tomorrow

Lebensäußerung voller Zuversicht: Neue CD des Joe Rosenberg Ensembles

„Es ist schwierig Vorhersagen zu treffen, vor allem über die Zukunft.“ Was sich wie ein Bonmot aus dem Mund eines schneidigen Kabarettisten anhört, welcher Josef Hader ähnelt, ist ein Ausspruch des amerikanischen Baseballspielers Lawrence Peter „Yogi“ Berra, der 90-jährig vor zwei Jahren gestorben ist. Der in Hongkong und Frankreich lebende amerikanische Saxofonist Joe Rosenberg zitiert auf seinem mittlerweile 15. Album als Leader weitere kluge und bedeutende Leute, wie Steve Jobs und Albert Einstein. Letzterem wird die Sentenz zugeschrieben, dass „für uns der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur eine Illusion ist, wenn auch eine ziemlich hartnäckige.“

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