NICA-Förderrunde: Wege in die Zukunft

(Text/Fotos: Stefan Pieper) Wenn Pflanzen gut gedeihen wollen, brauchen sie einen Nährboden. Im Falle von Musikerinnen und Musikern ist dies gleich ein ganzes Biotop von weichen Faktoren rund ums eigentliche Spielen und Komponieren: Networking, Marketing und vieles mehr. Glücklich schätzen darf sich hier, wer in den Fokus des NICA Artist Development kommt. Angesiedelt im Kölner Stadtgarten, dem „Europäischen Zentrum für Jazz und aktuelle Musik“ und mit jährlich 420.000 Euro durch das Land Nordrhein-Westfalen gefördert, verschreibt sich das 2019 gestartete Programm der künstlerischen Exzellenzförderung und entfaltet hierbei längst internationale Ausstrahlung. ktuell läuft die fünfte Förderrunde. Einen Abend vorm großen Winterjazz-Event präsentierten die neu aufgenommenen „NICA artists“ ihr Projekte in zum Teil internationalen Besetzungen.

Künstlerische Zartheit

Große Themen angehen und dabei viel künstlerische Zartheit walten lassen, das zeichnet Emily Wittbrodts aktuelles Projekt „Wearing Words“ aus. Das zweimanualige Cembalo auf der Bühne im Stadtgarten markierte dabei eine besondere Premiere vor allem an diesem Ort. Tief persönlich wirkte faszinierend eigenständige Vorstößen in die Gefilde der Alten Musik, die aber auch in vielen eigenwilligen Momenten mit Klängen aus der Gegenwart reagiert. Barocke Cembalofiguren bildeten den Ausgangspunkt für spektrale Verschiebungen und tonale Dehnungen, wie wir sie auch aus der Band Hilde kennen, zu der Emily Wittbrodt ja auch gehört. Doch hier öffnen sich weitere Tore. Die berührende, fragile Musik, die Wittbrodt selbst als „Liederzyklen“ beschreibt, schuf mit zartem Cello-Pizzicato, dem androgynen Gesang von Sandro Hähnel und einer zwischen Poesie und geräuschhafter Abstraktion oszillierenden Spannung einen Klangraum wie keinen anderen. Noch wirkt manches vorsichtig und zaghaft, aber darin umso authentischer. Die dreijährige Förderung durch NICA schafft hier Rahmenbedingungen, diesen weitgehend unbegangenen Weg mutig fortzusetzen.

Sieben Konzerte, zwei Bühnen

Sieben Konzerte verteilten sich an diesem Abend auf die zwei Bühnen im Stadtgarten. Unter ihnen war auch Jonas Engel, dessen Solo-Performance die Grenzen seines Saxophons neu definierte. Beeindruckend, wie er eine Trommel als Resonanzraum für die Schwingungen seines Horns nutzte und darin platzierte Metallobjekte zum Mitschwingen brachte. Als noch Live-Elektronik hinzukam, entfaltete dieser Dialog zwischen akustischer und elektronischer Klangwelt dann auch eine starke Überzeugungskraft.

Sich einem Thema verschreiben und alles darauf abstimmen – in dieser Hinsicht erwies sich Jorik Bergmans Julius Eastman-Projekt als Höhepunkt des Abends. Die Flötistin und Komponistin bewies beeindruckendes Geschick, eine große Besetzung auf eine einzige musikalische Schwingung einzuschwören. Ihre Interpretation von Eastmans minimalistischen Texturen eröffnete völlig neue Perspektiven auf das Werk des US-Amerikaners. „Stay On It“ entwickelte sich, basierend auf einem einzelnen Ausruf, zu einer Art sozialer Skulptur, in der sich Bläserfanfaren zu einem regelrechten Freudenfest verdichteten. Die raffinierte Überblendung in den zweiten Teil, der sich zu einer Sun Ra-mäßigen Expressivität steigerte, gelang dabei besonders eindrucksvoll. Die rhythmische Energie mündete schließlich in frei wuchernde Klangbiotope, aber auch die folgten einer Richtung, einer Vision.

Ruheloses Kräftelfeld

In Fabian Dudeks „Recent“ entfaltete sich ein ganz anderes ruheloses Kräftefeld von hypnotischer Wirkung. Das war vor allem der Verdienst der aus London angereisten, aus Südtirol stammenden E-Bass-Aktivistin Ruth Goller, und die setzte auch zuverlässig ihre dystopischen Bass-Drones unter Feuer. Um diese sich immer wieder aufs Neue offenbarende Emanzipation des E-Basses als expressive Stimme schepperte, zimbelte, waberte es in allen möglichen Klangschichten. Der eigentliche NICA-Artist Fabian Dudek legte wirkungsvoll flirrende Flötensoli über Trommelwirbel und rauschende Becken, erst später kam auch sein Saxofon zum Einsatz. Mehr ungezügelte kreative Energie lässt sich wohl kaum auf einer Bühne entfesseln.

Die Vielfalt zeitgenössischer Ensemblearbeit demonstrierte auch Felix Hauptmanns „SERPENTINE“, eine Besetzung, die zwar auch auf höchstem Niveau die Instrumente gebrauchte, aber an die gelebte künstlerische Mission, die in Jorik Bergmanns Großbesetzung bei jedem Ton spürbar war, nicht so ganz herankam – aber was noch nicht ist, kann ja auch noch werden. Spannend war auch ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk, welches Sauerborn im Duo mit Visual Artist Lucas Grey in einer Art kreativer Laborsituation schuf.

Schattenrisse

Nur wenige Schritte vom Stadtgarten entfernt befindet sich eine ganz besondere Spielstätte, die eben zu einer solchen wird, weil man die Potenziale erkannt hat. In monochromen Farben agierten hier zum meditativen Finale drei Persönlichkeiten, kaum konkret sichtbar, weil eben nur die Schattenrisse sichtbar waren. Und nach den vielen Tönen der anderen Bands ging es hier ums Gegenteil: Eine einzige, stationäre, sich ständig subtil verändernde, in immer neuen Schattierungen auflebende Schwingung vereinte sich mit der Lichtstimmung und dem ganzen Raumerlebnis zu einem sphärischen Ganzen. Zu verdanken war dies dem besonderen „Schlagzeugspiel“ von Etienne Nillesen, der permanent zwei Stäbchen über seine beiden Snaredrums strich, komplettiert von ähnlichen Effekten auf dem Kontrabass des NICA-Artists Stefan Schönegg und vom präparierten Klavier von Marlies Debacker.

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