Geliebte Vielfalt: Das internationale Festival Sparks & Visions zum dritten Mal im Theater Regensburg

Wenn in Regensburg die Nebel aus der Donau kriechen und man eigentlich seine vier Wände nicht verlassen will, und wenn die internationalen Gäste die winterlich-triste Kulturerbe-Stadt noch meiden, immer dann schlägt die Stunde von Anastasia Wolkenstein: „Sparks & Visions“, Funken und Visionen, hat sie ihr dreitägiges Festival getauft, entwickelt aus der zündenden Idee, internationale Solisten und Improvisatoren ins Rampenlicht des wunderschönen Regensburger Theaters mit seinem klassizistischen Dreirang-Saal zu stellen. Und plötzlich leuchtet Regensburg bereits im Januar.

Die Gründerin und Veranstalterin Anastasia Wolkenstein ist hauptberuflich Bookerin und es ist der daraus gewonnenen Erfahrung und ihrem guten Geschmack zuzuschreiben, dass man nun zum dritten Mal seit 2023 an drei Tagen mitten im Januar acht inspirierte, unkonventionelle und exzellent dargebotene Konzerte improvisierter Musik genießen konnte.

Mit drei Deutschlandpremieren begann es: Die griechischstämmige Perkussionistin und Vibraphonistin Evi Filippou stellte ihr Projekt „inEvitable“ vor. Die Drums waren mit Andi Haberl und ihr doppelt besetzt und dieser Doppel-Groove wurde durch die Sounds ihrer Bandmitglieder Keisuke Matsuno an der Gitarre und Julius Gawlik an Tenorsaxophon und Klarinette ausgeschmückt. Das Highlight des Jazz-Dramoletts, das Filippou hier inszenierte, waren die Darbietungen der polnischen Sänger-Performerin Zuza Jasinka. Hinreißend!

In der kommenden Stunde präsentierte der französische, aus dem Libanon stammende Posaunist Robinson Khoury sein arabisch inspiriertes Trio Projekt namens MŸA. Robinson Khoury und sein Pianist und Keyboarder Léo Jassef wurden durch die im Live-Setting exorbitant auftrumpfende Perkussionistin Anissa Nehari unterstützt. Ein spannendes Hörabenteuer aus 1001 Nacht.

Das neueste Projekt des griechischen Bassisten Petros Klampanis nennt sich „Latent Info“. Die ausführlichen improvisatorischen Klang-Informationen seines Virtuosen-Trios schlossen den ersten Festivalabend ab. Klampanis, der estnische Pianist Kristjan Randalu und der israelischen Star-Drummer Ziv Ravitz vertieften sich derart in ihre vielfältigen, das Publikum meist mitreißenden Interaktionen, dass die Standing Ovations am Ende des Konzerts nicht überraschten.

Den Samstag eröffnete die Simin Tander mit Band: eine Kölner Sängerin und Komponistin, die sich mit ihrer Kunst der afghanischen Kultur verschreibt. Paschtu ist ihre Vatersprache, Klassik und Jazz ihr deutscher Background. Ihr Quartett ist mit Björn Meyer, Bass, Samuel Rohrer, Schlagzeug, und der indisch-stämmigen Violinistin Harpreet Bansal hochkarätig besetzt und stets dicht dran an den folkloristischen Tanzgesten, exaltierten Vokalisen und Paschtu-Liedtexten der Sängerin.

Für den Rezensenten dann das Highlight des Festivals, prominent platziert Samstagabends zur Primetime: Der Auftritt des ersten rein weiblich besetzten polnischen Freejazz-Quartetts O.N.E.: Hier wurde Freejazz neu definiert und vom Willen zum persönliche Ausdruck in eine kollektiv gestaltete Ästhetik transformiert – Freejazz frei von Dissonanz, Lautsstärke und Beliebigkeit. Monika Muc am Saxophon, Kamila Drabek am Kontrabass, Patrycja Wybrańczyk an den Percussions und Kateryna Ziabliuk am Piano lassen Folklorismen, Traditionen und Konventionen hinter sich, werfen sich temporeich gegenseitig Motive, Patterns, Licks, Guide Lines, Themen und Impulse zu – O.N.E, das hieß vierfache weibliche Energie auf der Theaterbühne. Nicht nur eine Randnotiz sollte auch das politische Engagement der vier Polinnen sein: Im April 2024 organisierte O.N.E. eine Tour und Workshops durch vier ukrainische Städte.

Was konnte nach dieser reichlich weiblichen Power-Show noch kommen? Der Multiinstrumentalist Liam Shortall aus Glasgow gab mit seiner brachialen DrumNBase-Party die Antwort. Energie aus dem Monster-Schlagzeug von Graham Costello zusammen mit wirbelnden Bläser-Riffs und schäumenden Klavierkaskaden. Am Schluss war klar: Jazz kann auch Dance-Floor.

Zur Sonntagsmatinee spielten das Amsterdamer North Sea String Quartet und das beim Münchner ECM-Label beheimatete Marcin Wasilewski Trio auf: Streicher, die improvisieren können, Jazzer die eine Klangkultur wie klassische Musiker entwickelt haben. Sie boten einen Festivalabschluss, der keiner war, sondern den Besucher mit dem Wunsch nach mehr aus dem Theater entließ. Im Abgehen von der Bühne hatte uns Anastasia Wolkenstein schließlich versprochen: „Bis zum nächsten Jahr!“.

Das Beitragsbild zeigt die französische Perkussionistin Anissa Nehari. Foto: Juan Martin Koch

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