Regensburg. Ruhig ist es am Sonntagabend auf dem Neupfarrplatz zugegangen. Einige wenige Passanten, drei Jogger, die Dehnübungen an der Umfassung der Kirche machten und ein paar kleine Gruppen Wartende. Als aus der Tiefe des document direkt neben der Kirche Menschen herausströmten, kam Bewegung in die Gruppen. Sie stellten sich um das Bodenrelief der von Dani Karavan nachgebildeten ehemaligen Synagoge, in deren Mitte vier Bläser Aufstellung genommen hatten.
Mit einer Uraufführung von Emmanuel Witzthums „Shevarim – Fractures“ machte das Bläserquartett des Munich Composers Collective den Auftakt zu einem Kulturevent mit dem das Münchner Festival „Out Of The Box“ durch Bayern reist. In Regensburg machte es mit dem Projekt „The Resonance of Time“ Station, das zuvor in Berchtesgaden und Schongau zu hören war. Nach dem Hörnerkonzert stellte das Ensemble Trondheim Voices im Gewölbe des document Neupfarrplatz eine Vokalimprovisation unter dem geheimnisvollen Titel „Retracing The Echoes of Time“ an drei aufeinander folgenden Stunden vor.
Witzthum, Co-Direktor des Festivals, knüpft mit seiner eindrucksvollen Komposition an das Shofarblasen an Rosch ha-Schana, dem Jahresbeginn in der jüdischen Religion an. Von anfänglich tonlosen Windgeräuschen bis zu kraftvollen Posaunen- und Trompetenstößen, die mächtig über den Platz hallten und vereinzelt Passanten stocken ließ, formten die vier Blechbläser bei frostigen Temperaturen ein musikalisches Statement, das Vergangenheit und Gegenwart aufleuchten ließ.
Ein paar Grad weniger kalt war es beim Abstieg in den historischen Gewölbekomplex mit steinernen Zeugnissen der Römerzeit und des mittelalterlichen Judenviertels. Umweht von schwebenden, magischen Vokalklängen der Sängerinnen der Trondheim Voices, die in Seitengängen und Nischen gewartet hatten, kamen die Besuchenden in einem lose bestuhlten Raum an. Als letzte betraten nacheinander die norwegischen Sängerinnen den Raum und verteilten sich an drei Seiten hinter den Zuhörenden.
Langsam füllte Stimmgemurmel und andere mit den Mund- und Stimmwerkzeugen geformte Klänge den dezent mit farbigem Licht beleuchteten und mit einer Tonanlage bestückten Kellerraum. In die Stimmen der Vokalistinnen mischten sich nach einer Weile Sprechstimmen, die zunehmend deutlicher erläuterten, welche Vorstellungen von Klängen sie mit der Liebe und anderen Gefühlen verbinden.
Das Nachvollziehen von Erinnerungen an Klänge, Gefühle, Bilder und andere Empfindungen, die Menschen in Erinnerung geblieben sind, ist das Thema über welches die Trondheim Voices mit ihren Improvisationen spielen. Sie reagieren dabei auch auf Zuspielungen von Aufnahmen. Die Zuspielungen hat Festivalleiterin Martina Taubenberger bei begleitenden Workshops von Teilnehmenden gesammelt. Aus diesen Sprachbeiträgen und -fetzen bildete sich nach und nach ein eigener, neuer Klangraum. Dieser wurde mit teils aggressiven oder bedrohlichen Geräuschen und repetitiven Motiven aus Effektgeräten, die die Sängerinnen bei sich trugen, zu einem komplexen Soundgebilde verwoben.
Gegen Ende dieses emotional packenden Konzertes „Retracing The Echoes of Time“ gewinnen zum Glück noch einmal die Stimmen der sechs Vokalistinnen die Oberhand. Dennoch bleibt ein etwas unbefriedigendes Gefühl von zuviel und zuwenig zurück. Zuviel artifizielles, nur teilweise nachvollziehbares Tamtam und zuwenig eines eigenständigen Vokalkonzertes dieses fantastischen Ensembles, das für dieses aufgeladene Konzept sicher die ideale Besetzung war und der vokalverwöhnten Stadt einen eigenwilligen, neuen Akzent hinzufügte.
Text und Fotos: Michael Scheiner
Beitragsbild: Das Bläserquartett des Munich Composers Collective spielt die Uraufführung von Emmanuel Witzthums „Shevarim – Fractures“ im Grundriss der mittelalterlichen Regensburger Synagoge, den Dani Karavan mit seiner Skulptur „Misrach“ nachzeichnet. Foto: Susanne van Loon