Nach 15 Jahren hat der stark vermisste Hans-Koller-Preis einen Nachfolger gefunden. Der erste Verleihungsabend des „Österreichischen Jazzpreises“ mitsamt Preisträgerkonzert im Wiener „Porgy & Bess“ erweist sich als angenehmes Kontrastprogramm etwa zum Deutschen Jazzpreis.
Die späten 2000er-Jahre waren desaströs für den Österreichischen Jazz. 2008 ging der von der Jazz-Legende Joe Zawinul eröffnete Wiener Club „Birdland“ – ein Jahr nach Zawinuls Tod – in Konkurs und musste für immer schließen. 2009 und 2010 gingen mit dem Hans-Koller-Preis und dem Vienna Art Orchestra zwei Leuchttürme des österreichischen Jazz krachend hopps. Das Ende beider eng mit dem Namen Matthias Ruegg verbundenen Institutionen war mit dem Sponsoren-Ausstieg der Bank Austria im Zuge der Finanz- und Bankenkrise besiegelt. Denn weder Staat, Bundesland oder Stadt sahen die Notwendigkeit, für diese Motoren der Kulturlandschaft einspringen. Klassik-Hörigkeit, Ahnungslosigkeit und Ignoranz gingen in Sachen Jazz wieder einmal Hand in Hand. Leider kein auf Österreich beschränktes Phänomen.
Vitale Szene, unbepreist
Ganz klein zu kriegen war der österreichische Jazz aber natürlich nicht. Starke Jahrgänge von den Hochschulen befeuerten (wie in vielen deutschen Universitätsstätten auch) eine vitale junge Szene, die auch eine einigermaßen vielfältige Club-Struktur vorfand. Trotzdem wuchs die Sehnsucht nach einem jährlichen Höhepunkt, nach einer Selbstvergewisserung und der öffentlichkeitswirksamen Darstellung nach außen. Nach einem Nachfolger des Hans-Koller-Preises also, wie er a la Grammy und Oscar in anderen Ländern und Branchen selbstverständlich ist.
Sieben Jahre lang bastelte ein „inner circle“ der Szene am Konzept, vor allem aber am Bezirzen der öffentlichen Geber-Hände. Bis nun nach 15 Jahren tatsächlich der erste „Österreichische Jazzpreis“ ausgetragen und vergeben werden konnte, mit Verleihung und Preisträger-Konzerten im einmaligen Wiener Jazz-Club „Porgy & Bess“. Dessen Chef Christoph Huber saß genauso im Boot der Drahtzieher wie ORF-Jazz-Redakteur Andreas Felber von Ö1, der folgerichtig mit seiner Kollegin Katharina Osztovics auch die Moderation der Live-Übertragung übernahm.
Mit dabei im Gründer-Team waren auch die Spitzen des Österreichische Musikrats (ÖMR), der mica (musicaustria) und der IG World Music. Treibende Kraft aber war der Ex-Präsident des ÖMR, Universitätsprofessor, Komponist und Pianist Harald Huber, der an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) auch schon das Institut für Popularmusik (ipop) etablieren konnte. Also auch bei den Verteidigern des abendländischen Kulturbegriffs von vor einem Jahrhundert einen gewissen Sinn für die Realität herstellen konnte, damit nicht nur die MUK, die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, die Sparte lehrt, die schon seit langem keine Subkultur mehr ist, sondern Gradmesser für Kreativität, Virtuosität und Fortschritt der Musik. Mit einem deutschen Zeigefinger sollte man übrigens sehr vorsichtig sein: Als die Münchner Musikhochschule sein Jazz-Institut gründete (und dabei das Richard-Strauss Konservatorium schluckte), aus dem seither so viele Köpfe und Impulse für die nationale wie internationale Szene kamen, hielten weite Teile des klassischen Kollegiums dies ebenfalls noch für den Untergang des Abendlandes – das war 2008!
82 aus 256 erstellen ein beeindruckende Shortlist
Der Gründerrat des Österreichischen Jazzpreises (oder auch „Austrian Jazz Award“, wie er in den internationalen Presseaussendungen firmierte) hatte also lange genug Zeit, sich über die sinnhafte, öffentlichkeitswirksame und förderliche Gestaltung Gedanken zu machen. Das im Porgy & Bess präsentierte Ergebnis wirkte überzeugend. Mit nur drei Kategorien, „Best Live Act“, „Best Album“ und „Best Newcomer“, hat man sich der am Ende alles verwässernden und die Wirkung schmälernden Auszeichnungswut widersetzt, wie sie zum Beispiel den Echo Jazz im Griff hatte und auch nach kleiner Verbesserung immer noch den Deutschen Jazzpreis im Griff hat.
Mit drei von einer „Academy“ aus 82 Expert:Innen der Musikbranche aus 256 Einreichungen erstellten Shortlists stand trotzdem alles Wichtige das Jahres im Schaufenster. Zumal im Porgy & Bess alle Namen der (wegen Punktgleichstandes jeweils bei elf oder zwölf Namen landenden) Zehnerlisten verlesen wurden, die Zweit- und Drittplatzierten sinnvollerweise mit Musikbeispielen. Selbst fundamentalistische Feinde des Wettbewerbsgedankens in der Kunst oder Stil-Jazzpolizisten konnten gegen die wenig einwenden. Alle Spielarten, Stile und Generationen waren da so berücksichtigt, dass sich wirklich der – um es mit österreichischen Schmäh zu sagen – „heiße Scheiß“ des abgelaufenen Jahres (beziehungsweise wegen Corona ausnahmsweise der vergangenen zweieinhalb Jahre) wiederfand.
Und auch gegen die drei Preisträger lässt sich schwer argumentieren. Mit dem Klarinettisten und Komponisten, überdies hinaus auch filmendem Konzeptkünstler Vincent Pongracz und seinen Synesthetic 4 (es gibt das Projekt auch in größerer Besetzung) hat man mit einiger Berechtigung den „Best Live Act 2024“ gefunden. Wie einige Festival-Auftritte diesen Jahres, aber auch die halbe Stunde im Porgy & Bess bewiesen. Pongracz überlässt seinen Mitstreitern Peter Rom an der Gitarre, Manuel Mayr am Bass und Andreas Lettner am Schlagzeug gern das Feld seiner durchaus komplexen und vertrackten, aber immer einer Geschichte verpflichteten Stücke zur Ausgestaltung. Nicht zuletzt dank der schon durch Pongracz Perücke angedeuteten ironischen Brechung und skurrilen Videomontagen zu zwei Songs wird dieser Jazz auf der Bühne zum Gesamtkunstwerk.
Ebenso einverstanden wird das Jazzpublikum mehrheitlich mit dem Preisträger für das „Beste Album 2024“ sein. „Timeless Warrior“ vom Septett Echoboomer der Bassistin Beate Wiesinger war unzweifelhaft eine herausragende Veröffentlichung. Ein schillerndes Bergwerk zwischen Minimalismus und Opulenz, zwischen Eleganz und Wucht, zwischen klassischer Tongebung und elektronischer Erweiterung, alles verbunden durch originelle Songstrukturen und ausgefeilte Arrangements. Weiter Vorteil dieser Auszeichnung ist, dass mit den Bandmitgliedern Astrid Wiesinger, Clemens Sainitzer, Alois Eberl, Florian Sighartner, Philipp Jagschitz und Michal Wierzgon eine kleines Allstar- Ensemble der jungen Szene mitausgezeichnet wurde.
Schließlich dürfte es auch kaum Einwände gegen den „Best Newcomer 2024“ geben. Die Tiroler Saxophonistin Yvonne Moriel steht bei den meisten Kennern auf dem Zettel. Mit ihrem Sweetlife Quartet demonstrierte sie auch im Porgy & Bess ihre instrumentalen Qualitäten. Mehr noch aber ihr bereits ausgeprägtes Gespür für prägnante Themen und interessante Klanglandschaften. In die sich dann traditionelle Improvisationen ebenso harmonisch einfügen wie moderne Dub- oder HipHop Beats.
Die Unterstützer
Der wesentliche Betrag für den mit zweimal 10.000 und einmal 5.000 Euro dotierten Preis stammt vom österreichischen Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport ein bisschen was kommt auch vom ÖMR. Die Veranstaltung unterstützen auch die Stadt Wien, die Jam Music Lab University, die Romedius GmbH und das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, vulgo das Außenministerium.
Nachdem vor ein paar Jahren der damals amtierende Kanzler Michael Kern das Jazzfestival Saalfelden eröffnete, war es nun im Porgy & Bess immerhin der Vizekanzler Werner Kogler, der einen der Preise übergab, in seiner Funktion als Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (a propos Sport: Die Trophäen des Preises waren Fußbälle, vielleicht die einzige schief gegangene Idee der Veranstaltung). Auch wenn es schwer fällt, sich eine Angela Merkel, einen Olaf Scholz oder gar einen Christian Lindner amtlich beim Deutschen Jazzpreis oder auch nur dem Berliner Jazzfest vorzustellen, sollte man beim Jubeln darüber vorsichtig sein: Beide österreichischen Kanzler taten dies als „lame ducks“ in den Endspielen ihres Amtes.
In der Politik – ein in seiner Dimension unterschätztes Demokratie-schwächender Faktor – findet die Kultur schon lange keinen nachhaltigen Schutz mehr. So ist die Finanzierung des Österreichischen Jazzpreises zwar für das nächste Jahr gesichert. Die Verleihung wird am 26. November 2025 in Kärnten stattfinden. Doch darüber hinaus ist alles schon wieder sehr vage und volatil.
Text und Fotos: Oliver Hochkeppel
Titelfoto: Konzeptkünstler Vincent Pongracz und seinen Synesthetic 4