Traumsicher, traumschön – das Tord Gustavsen Trio mit neuer CD

(Text und Fotos: Robert Fischer) Da wäre man gern ein Mäuschen gewesen: als sich Tord Gustavsen,  Steinar Raknes und Jarle Vespestad im Oktober 2023 in den Studios La Buissonne trafen, um für das renommiete Münchner Label ECM ein neues Album aufzunehmen.

Immerhin: Drei Monate später, im Januar 2024, konnte man die in der Provence entstandene Musik beim Regensburger Festival Sparks & Visions live erleben, und nun, etwas mehr als ein Jahr nach den Aufnahmen, ist „Seeing“ erschienen: Was genau Tord Gustavsen mit seiner zehnten Veröffentlichung für ECM im Blick gehabt haben mag, wird wohl (s)ein Geheimnis bleiben – zu hören gibt es jedenfalls das vielleicht schönste Album des norwegischen Jazzpianisten.

Konzentration auf das Wesentliche

Er werde älter und konzentriere sich nun „auf das Wesentliche im Leben und der Musik“, lässt Tord Gustavsen zur Veröffentlichung seines neuen Albums verlauten, aber wer mit seinem Werk vertraut ist, der weiß, dass die Konzentration auf das Wesentliche schon immer ein Hauptmerkmal der Kunst des norwegischen Tastenmagiers war. Bereits auf seinem ersten, vor über 20 Jahren bei ECM erschienenen Trioalbum, „Changing Places“ (2003), verblüffte die geniale Schlichtheit seines Spiels, die Kunst, jede Harmonie, jede Melodie, jeden Ton so zwingend erscheinen zu lassen, als gäbe es keine anderen Optionen als das jeweils Gespielte.

Schon damals saß Jarle Vespestad am Schlagzeug, mit dem sich Gustavsen bis heute so traumsicher versteht, dass er ihm nicht nur blind vertrauen, sondern auch den Auftakt zum neuen Album überlassen kann. Bassdrum und Snare geben, begleitet von fein ziselierten Becken, die Richtung vor, ehe der Neue im Bunde, Steinar Raknes am Kontrabass, mit schrägem (Bogen-)Strich die ersten eigenen Akzente setzt. Bald darauf bringt Tord Gustavsen mit verspielt anmutender Leichtigkeit die Musik zum Fliegen: Schon in den ersten Takten von „Jesus, gjør meg stille“, dem ersten Stück des aktuellen Albums, zeigt sich, was „Seeing“ zu einem Glücksfall für die Hörenden werden lässt.

Jazz, Blues Gospel

Hier verschmilzt das Können dreier Ausnahmemusiker zu einem gemeinsamen, Jazz, Blues, Gospel sowie skandinavische Volks- und Kirchenmusik verbindenden Ganzen, wie man es sich auch aufgrund der wunderbar transparent-ausgewogenen Klangqualität des Albums schöner kaum denken kann. Wobei „schön“ hier nichts mit gefällig und schon gar nichts mit beliebig zu tun hat: In den fünf Eigenkompositionen, zwei Chorälen nach Johann Sebastian Bach, einem traditionellen norwegischen Kirchenlied sowie dem englischen Hymnus „Nearer My God, to Thee“ aus dem 19. Jahrhundert entsteht ein – tatsächlich: über die ganze Strecke des Albums hoch konzentiertes, stets die Balance und Spannung haltendes – Gesamtkunstwerk, das dem gern zitierten Spruch, das Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile, neue Bedeutung verleiht.

Aktuelles Album:

Tord Gustavsen Trio: Seeing

(ECM Reords)

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Ein Kommentar

  1. Den Text hat Robert Fischer hervorragend geschrieben, so dass ich mit dem musikalischen Wirken von Tord Gustavsen nähere Bekanntschaft machen möchte. Klasse auch, dass es die JazzZeitung gibt. Gruß aus Darmstadt.

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