Tourneen sind anstrengend. Als Künstler:in kann man sich damit aufarbeiten. Nicht umsonst versuchen die, die es sich leisten können, das Publikum pilgern zu lassen. Sollen doch die anderen den ganzen Stress haben mit Hotels und Airlines und Jetlags! Wer Adele erleben wollten, musste nach München kommen. Billy Joel gibt es schon seit langem nur noch im Madison Square Garden auf den Bühne zu erleben, ganz selten macht er eine Ausnahme. José James ist noch nicht soweit. Der Sänger, Soul-Songwriter und Wahl-New-Yorker aus Minneapolis ist zwar inzwischen auch schon 46 Jahre alt und hat gerade sein zwölftes Studioalbum „1978“ im Gepäck, eine im weiteren Sinne musikalische Widmung an sein Geburtsjahr. Er hat auch gelegentlich Preise verliehen bekommen, Szene-Größen wie der DJ Gilles Peterson sind ganz hingerissen von seiner Stimme, der Produzent Don Was war es auch und verpflichtete ihn eine Weile lang für Blue Note. Das ist eine bemerkenswerte Karriere, aber zu seinem Publikum muss José James doch noch reisen.
Kommt Zeit, kommt Groove
Und das scheint ihn und seine Quartett durchaus zu fordern. Jedenfalls wirken er selbst, der Keyboarder Mitch Henry, der Bassist Yves Fernandez und der Schlagzeuger Jharis Yokley zunächst ein wenig gedimmt, als sie im Münchner Ampere auf die Bühne kommen, dem ersten Termin ihrer aktuellen Deutschlandkonzerte. Drei, vier ziemlich lange Songs dauert es, bis die Energie in die Musiker spürbar zurückströmt, was an der Reiserei gelegen haben kann, aber auch an der Sperrigkeit des Materials. Denn die Songs von „1978“ wurzeln zwar klar im Soul der Siebziger, in den Vintage-Sounds der Keyboards, der funky Attitude des Entertainments und den musikalischen Ursprüngen von José James, der viel auf Stevie Wonder und Bill Whiters zurückgreift. Sie haben aber nicht den Charme der einnehmenden Hooklines, weshalb der Sound von damals bis heute fasziniert. James’ Musik wirkt komplex, trotz Basis-Groove wenig geerdet, wie eine Adaption und trotz zunehmend lässigem Schlagzeug lange ein wenig eingebremst.
Angekommen
Es dauert, aber die Stimmung kommt. Ausführliche Gespräche mit dem Publikum über Michael Jackson, Prince und das Recht am eigenen Masterband machen den Künstler mit den Menschen im Raum vertraut. Er taut auf, setzt die Sonnenbrille ab, zieht die Lederjacke aus. Und im letzten Drittel den Konzerts zeigt er dann auch einige seiner Spezialitäten wie den splitterig wirkenden Scratch-Gesang, mit dem er die Effekte von Turntables imitiert, die die Gesanglinien der Langspielplatten im frühen Rap rhythmisch verhackstückten. Er stapelt sich mit dem Looper seinen Chor aus eigenen Stimmen, heizt seine Mitmusiker an, und am Ende lässt er sich schließlich umjubelt zu ein wenig „Ain’t No Sunshine“ und „Just The Two of Us“ hinreißen. Denn er kann, wenn er will und nicht am Jetlag laboriert. Er hat eine wundervoll warme, wandlungsfähige Soul-Stimme und die nötige Erfahrung, um an die Großen anzuknüpfen. Manchmal muss José James eben erst ankommen.
Text und Fotos: Ralf Dombrowski