Lebendige Vielfalt beim Jazzfestival im südschwedischen Ystad

Wenn die Saiten tanzen lernen und die Stimme spricht – Festival mit Alba Amengou, Billy Cobham, Yamandu Costa und anderen

Erst am letzten Tag kamen Regengüsse. Davor: strahlende Sonne – und ein paar hundert Meter vom Hauptveranstaltungsort entfernt ein silbrig glitzerndes, ruhiges Meer. Die südschwedische Hafenstadt Ystad kann deutlich heiterer sein als in den Geschichten und Filmen um Henning Mankells Roman-Ermittler Kurt Wallander. Und diesmal drängte sich der Eindruck auf: Besonders beim Jazzfestival ist die Stimmung fröhlich und sonnig. Selbst wenn es ausgerechnet beim Open-air-Konzert am letzten Nachmittag eine Zeitlang wie aus Eimern gießt.

Zum 15. Mal gab es jetzt das „Ystad Sweden Jazz Festival“, dessen Programm jedes Jahr der weltweit bekannte Pianist Jan Lundgren zusammenstellt, der an diesem schönen Flecken Schwedens wohnt. Zur Feier von anderthalb Jahrzehnten erfolgreichen Bestehens dauerte das Festival fünf Tage – und brachte völlig unterschiedliche Klangfarben auf die Bühne. Einige Konzerte stachen besonders heraus.

DER MANN MIT DEM SCHWARZEN RIESENSCHLAGZEUG

Eines davon war eine Power-Demonstration mit musikalischer Überraschungs-Frische. Der vor Anfang des Jahres 80 gewordene und im Juli in Stuttgart mit der mit 15.000 Euro dotierten German Jazz Trophy ausgezeichnete Schlagzeuger Billy Cobham – seit den 1970ern ein Rockjazz-Weltstar – kam mit einem Gehstock auf die Bühne, aber als er hinter seinem festungsartigen schwarzen Riesenschlagzeug Platz genommen hatte, schickte er sofort die Energie in den Saal, für die er einst berühmt geworden war. Da rumort, donnert und groovt es. Aber das ist nicht alles. Wer skeptisch ein möglicherweise routiniertes Abspulen alter Zugnummern erwartet hatte, konnte staunen: Mit Cobhams jetzigen vier Partnern kommen Stücke wie „Stratus“, „Taurean Matador“ und am Ende auch der von vielen erwartete Groove-Ohrwurm „Red Baron“ in einer verblüffenden Unverbrauchtheit daher. Dabei sind diese Stücke jetzt schon über 50 Jahre alt. Keyboarder Gary Husband, Gitarrist Rocco Ziffarelli, Bassist Michael Mondesir und Perkussionist Marco Lobo sind die aktuellen Bühnenpartner Cobhams – und im Patina-beseelten Theater von Ystad spielten sie mit einer Lust und Kompaktheit, dass keine Minute des Konzerts langweilig wurde. Schier gischtsprühend lebendige Keyboard-Einlagen, peitschend-rockige Gitarrensoli, ein in allen Stürmen sicherer E-Bass und ein schamanenhafter Percussion-Tanz: lauter Momente zum Zungeschnalzen. Und eine Musik, die an diesem Abend kein bisschen gealtert wirkte.

EIN FEINSINNIGER BÄRTIGER BÄR

Neben diesem Konzert wurde vor allem noch ein anderes zum Festival-Gespräch: dasjenige des 1980 geborenen brasilianischen Siebensaiten-Gitarristen Yamandu Costa im Duo mit Festival-Gestalter Jan Lundgren. Yamandu Costa ist ein feinsinniger bärtiger Bär, der auf seiner mit einer zusätzlichen tiefen Saite ausgestatteten Konzertgitarre einen musikantischen Zauber entfacht, den man selten so erlebt. Wenn er Melodien spielt, dann fangen die Töne zu jubilieren und zu tanzen an – und alle Stimmungsnuancen kann man gleichzeitig am Gesicht des Gitarristen ablesen. Sein Spiel ist dabei nicht pures Entertainment, sondern auch die Kunst, Töne zu beseelen: Es wirkt extrovertiert, aber leuchtet von innen heraus. Costas Klavierpartner Jan Lundgren setzte ganz auf das Miteinander, baute auf Verschmelzung statt Schlagabtausch und auf Fingerspitzengefühl statt Reibungs-Energie. Mit dem Klassiker „Black Orpheus“ endete das bejubelte Duo-Konzert. Die beiden Musiker haben auch ein gemeinsames Album am Start: „Inner Spirits“ (ACT), das am 29. August veröffentlicht wird.

Einen hervorragenden Auftritt in Ystad hatte auch der 78-jährige brasilianische Songschreiber und Gitarrist Joao Bosco, der ganz in Weiß mit (ebenfalls weißem) Schirmkäppi sein ganzes Konzert stehend absolvierte, noch immer seine rhythmisch spannend akzentuierte, feine Gitarrentechnik hat und seine leicht angeraute Gesangsstimme mit eindringlicher Souveränität einsetzt.

TÖNE WIE EIN WARMER WIND

Beim Revue-passieren-Lassen sehr starker Momente drängt sich auch das hinreißend schöne Konzert eines Quartetts aus vier sehr unterschiedlichen Musikern auf: „Sissoko Ségal Parisien Peirani“ nennen sie sich mit viel Gespür für Wortklang. Dahinter stecken der Cora-Spieler Ballaké Sissoko aus Mali, der französische Cellist Vincent Ségal und seine beiden Landsleute Vincent Peirani, Akkordeon, und Émile Parisien, Sopransaxophon. Wie ein sanfter Wind wehen manche Melodien in den Stücken daher, die Rhythmen fließen subtil und der Zusammenklang ist berückend schön, aber auch voller Intensität, wenn etwa Vincent Peirani sein Instrument fast zum Bersten zu bringen scheint und Vincent Ségal auf dem Cello auch mal harsch-zeitgenössische Töne sirren lässt.

An Orten wie dem Theater Ystad, einem neoklassizistischen Schmuckstück von 1894 mit 460 Plätzen, haben musikalische Momente und ihre Akteure einen besonderen Erlebniswert. Zum Greifen nahe wirkt von vielen Plätzen aus das Bühnengeschehen – und der Funke springt besonders über. Das Festival hat eine Resonanz weit über den Ort hinaus, und in der Journalistenriege (die im Theater stets im Orchestergraben Platz findet) hört man neben Schwedisch und Englisch auch auffällig viel Deutsch. Die Kombination aus idyllischen Konzert-Orten und Weltstars unterschiedlicher Couleur funktioniert gut. Darüber hinaus präsentiert Ystad aber auch Musiker:innen der ganz jungen Szene Schwedens – und hält nach internationalen jungen Neu-Entdeckungen Ausschau, die dann an Orten wie der mittelalterlichen Klosterkirche zu erleben sind.

SENSATIONELLE SONG-INTERPRETIN: ALBA AMENGOU

Etwa ein Trio aus Barcelona: Die Sängerin und Trompeterin Alba Amengou und ihr Gitarrist Vicente Lopez ließen Lieder aus Spanien und Lateinamerika in zart-melancholischer Schönheit in den Raum schweben – und ein ums andere Mal faszinierte, wie Alba Amengou ihrem Gesang das Sprechen beibrachte: Jedes Lied wirkte wie eine sanfte, innige Erzählung. Ein leises Highlight – und das war an einem anderen Tag am selben Ort auch das Gitarrenduo Siqueira Lima, ein uruguayisch-brasilianisches Ehepaar, das Duo-Stücke für klassische Gitarre in einer Bewegtheit spielt wie vor ihnen vielleicht nur das Brüderduo Sergio und Odair Assad. Kein Mensch wunderte sich, dass dieses Duo auf einem Jazzfestival auftauchte, denn es passte bestens dorthin – mit einer Unmittelbarkeit des Ausdrucks, wie man ihn genauso beim Jazz sucht. Kabinettstück am Ende: „Tico Tico“ zu zweit auf einer einzigen Gitarre, gespielt sozusagen in Umarmung, damit sich vier Hände das Griffbrett und die sechs Saiten teilen können.

Einen deutlichen Männer-Überschuss auf der Bühne hatte das Programm diesmal, da bleibt also für die nächsten Jahre noch ein bisschen was zum Justieren. Und selbstverständlich gab es auch Konzerte, über die man sehr unterschiedlicher Meinung sein konnte. Im Saal des Hotels Saltjöbad, ein paar Kilometer außerhalb Ystads, spielte etwa das österreichische Quartett um den Geiger Johannes Dickbauer: alles hervorragende junge Musiker (Pianist Sebastian Schneider, Schlagzeuger András Dés und Bassist Raphael Preuschl), und die Kompositionen waren außerordentlich komplex. Aber der Funke sprang vergleichsweise schwach über, denn das allzu ambitionierte Stücke-Material wirkte oft wie ein Korsett. Befreiend einfach und effektsicher war dann die Zugabe.

HOMMAGE AN DEUTSCHE AUTOBAHNEN: „SCHNELLER“

Am selben Tag wieder im Theater: die australische Sängerin, Pianistin und Komponistin Sarah McKenzie. Mit drei besonderen Rampentieren trat sie auf: Gitarrist Ulf Wakenius, Bassist Geoff Gascoyne und Schlagzeuger Sebastiaan de Krom, swingend-bluesige Ober-Routiniers, von denen nicht zuletzt der schwedische Star Ulf Wakenius einige wirkungsvolle Tempo-Exzesse beisteuerte. McKenzie ging singend und klavierspielend durch sehr unterschiedliche Welten, von der Paris-Hommage über diverse Brasilien-An leihen bis hin zur selbstkomponierten Huldigung an deutsche Autobahnen (Titel, auch im Original auf Deutsch: „Schneller“). Nicht alles war da geschmackssicher, vor allem einige Schlussfiguren in fernöstlich anmutender Pentatonik, die nirgends wirklich passten, und in der Mitte des Programms stand eine rekordverdächtig kitschige Interpretation des Bossa-Nova-Klassikers „The Girl from Ipanema“. Das Publikum feierte die Musikerin mit standing ovations.

EINNERUNG AN DEN SCHWEDISCHEN PIANISTEN ESBJÖRN SVENSSON

Besonders ans Herz ging vielen Besucher:innen ein Konzert, das dem 2008 tödlich verunglückten schwedischen Pianisten Esbjörn Svensson gewidmet war. Sein einst gefeiertes Trio E.S.T. wäre vor kurzem dreißig Jahre alt geworden, und die beiden einstigen Mitstreiter Magnus Öström (Schlagzeug) und Dan Berglund (Bass) feierten in Ystad den Anlass mit dem Programm „E.S.T. 30“. Sie hatten einige Gäste, wie etwa den Gitarristen Ulf Wakenius, den Trompeter Verneri Pohjola und den Saxophonisten und Klarinettisten Fredrik Ljungkvist, und den Klavierschemel hatten sie gegen den Strich besetzt mit Joel Lyssarides, der ganz anders spielt als einst Esbjörn Svensson selbst. Kompositionen wie „Seven Days of Falling“, „Elevation of Love“ und „When God Created the Coffeebreak“ zeigten auch hier ihre lakonisch-funkelnde und bewegende Schönheit: Stücke mit einem großen, ganz eigenen Zauber. Aber dennoch ging die Hommage an vielen Stellen nicht auf, die Klarinette Fredrik Ljungkvists passte überhaupt nicht zu einem Stück wie „Tuesday Wonderland“, und Manches, etwa „Good morning Susie Soho“ wirkte ungelenk und ließ die kompakte Stilsicherheit der Originale vermissen. Jedoch: Svenssons Wegbegleiter Magnus Öström in seinen Ansagen Anekdoten aus den gemeinsamen Zeiten mit dem von vielen vermissten Pianisten erzählen zu hören, wiegt jeden unausgegorenen Moment wieder auf. Es war allen Einwänden zum Trotz ein Konzert, das man auf keinen Fall versäumen durfte. Das ganze Festival hatte so manchen Augenblick zu bieten, den man so schnell nicht mehr vergisst – und das an Orten von besonderem, immer wieder anziehenden Charme.

Text und Fotos: Roland Spiegel

Das Beitragsbild zeigt das Quartett „Sissoko Ségal Parisien Peirani“

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