(Von Robert Fischer) Mit gemischten Gefühlen waren in diesem Jahr wohl die meisten in den Bregenzerwald gereist, schien die 17. Ausgabe des Bezau Beatz Festivals doch unter einem unglücklichen Stern zu stehen. Lange im Vorfeld schon hatte Alfred Vogel – als Spiritus Rector Herz und Seele dieses heuer vom 8. bis zum 11. August in Bezau stattfindenden Events – mitteilen müssen, dass er an Leukämie erkrankt war. Um die Durchführung trotzdem zu gewährleisten, übergab er die operative Leitung an den Schlagzeuger Valentin Schuster. Inwieweit er aber auch selbst an seinem Festival würde teilnehmen können, blieb bis zuletzt fraglich.
Gute Nachricht vorab: er konnte. Und nicht nur das: Er trat sogar selbst als Schlagzeuger auf, was dem Festival am vorletzten Tag seinen wohl bewegendsten Moment bescherte.
Zuerst Schlagzeuger
Dass Alfred Vogel auch und vermutlich zuerst ein Schlagzeuger ist, merkte man nicht zuletzt seinem Programm an: Namen wie Ra Kalam Bob Moses (in Dreierkonstellation mit Pedro Melo Alves und Vasco Trilla) oder Hamid Drake, Fabian Arends, Sylvain Darrifourcq, Jan-Einar Groh, Christian Lillinger, Steffen Roth und Marius Wankel lesen sich ja nicht zufällig wie ein Geschichte und Gegenwart vereinendes Who is who ihres Instruments …
Dazu passte, dass es neben den Konzerten auch einen „Drummers Talk“ gab. Weniger überraschend als die Teilnahme eines (sein Instrument nicht zuletzt perkussiv auffassenden) Pianisten (Leo Genovese) an diesem Talk war vielleicht, dass es dabei weniger um Schlagzeugspezifisches ging als um die Stellung „des Musikers“ in der Welt, seine soziale Situation und Funktion – etwa im Vergleich zu einem Notarzt, der täglich Leben rettet. In der Folge ging es dann auch darum, was es etwa bedeutet, zehn Stunden zu einem Auftritt anzureisen, zu dem dann zwei zahlende Gäste kommen. Und warum man es trotzdem macht.
Stupide Übungen
Ein Beispiel für die existenzielle Bedeutung von Musik gab dann Alfred Vogel, als er erzählte, wie er sich schon am ersten Tag seines Krankenhausaufenthaltes seine Pads bringen ließ, um mit „stupiden Übungen“ zu beginnen („links vier Schläge, rechts vier Schläge“). Anfangs schaffte er gerade mal zehn Minuten, ehe er ermattet aufhören musste – aber nach einer Woche hielt er dann schon wieder 45 Minuten lang durch und erkannte: Fortschritt ist möglich.
Existenzielle Bedeutung der Musik
Wollte man nach einem gemeinsamen Nenner der auf diesem Festival auftretenden MusikerInnen suchen, fände man diesen vielleicht am ehesten in der existenziellen Bedeutung der Musik für sie selbst. Und in der damit einher gehenden Haltung dem Publikum gegenüber, das sich im besten Fall gefordert, aber nicht immer auch unterhalten fühlen sollte. So möchte man Julius Windisch, einem der interessantesten Vertreter der jungen Avantgardszene, gern zurufen, dass er es sich und dem Publikum doch auch ein bisschen einfacher machen könnte. Zumal einige seiner hoch reflexiven, sich behutsam vorantastenden, auch dem Gegenüber viel Raum gebenden Stücke in den schönsten Momenten einen „Puls“ entwickeln, dem man gern länger folgen würde.
Überraschende Töne
Offene Ohren jedenfalls wurden belohnt: mit neuen, im besten Fall überraschenden Tönen. Beim Bezau Beatz 2024 kamen diese u.a. von Reza Askari, dessen mit Stefan Karl Schmid (Klarinette, Tenorsaxophon), Christopher Dell (Vibraphon), Fabian Arends am Schlagzeug und Reza selbst am Bass besetztes Quartett „Roar“ einen ähnlich unwiderstehlichen Sog entwickelte wie das Quartett um Luís Vicente (Trompete), John Dikeman (Saxophon), John Edwards (Bass) und Hamid Drake (Schlagzeug, Percussion).
Frischen Wind und eine Prise Anarchie in den Alltag (der freien Szene) brachten KUU!, deren eher am Punkrock orientiertes Konzept durchaus wohlwollend („mal was anderes“) aufgenommen wurde. Was auch daran liegen dürfte, dass die Musiker um die unvergleichliche Sängerin und Performerin Jelena Kuljić – Kalle Kalima an Gitarre und Bass, Frank Möbus, Gitarre, Christian Lillinger an den Drums – allesamt auch aus anderen, unterschiedlich artifiziellen Projekten der Szene wohlbekannt sind.
„Velvet Revolution“
Immer für einen musikalischen Höhepunkt gut ist Daniel Erdmann – in Bezau als „Velvet Revolution“ mit Theo Ceccaldi an Viola und Violine sowie Jim Hart am Vibraphon am Start und in dieser Kombination das freie Spiel in fast liedhafte Strukturen einbindend. Der eigentliche Höhepunkt dieses Festivals aber war der eingangs erwähnte Auftritt des Bezau Beatz Orchestras Of Good Hope – mit Leo Genovese, Klavier, Luis Vicente, Trompete, João Pedro Brandão, Flöte und Pedal Board, Demian Cabaud, Bass, Camila Nebbia, Tenorsaxophon, Sofia Salvo, Baritonsaxophon, und Pedro Melo Walves neben Alfred Vogel als zweitem Drummer: Als der letzte Ton verklungen war, stimmten zuerst die MusikerInnen eine Hymne auf den sichtlich gerührten Festivalgründer an, dann erhob sich das Publikum zu wohlverdienten Standing Ovations.
Große Emotionen also, auf und vor der Bühne. Aber vielleicht das beste, was man über dieses Konzert wie über das Bezau Beatz Festival als Ganzes sagen kann: Geboten wurde einfach großartige, über lange Strecken frei improvisierte, pure Energie und Lebenslust verströmende Musik, die man auch dann gern gehört hätte, wäre man unter anderen Vorzeichen in den Bregenzerwald gereist.
Text und Fotos: Robert Fischer