Sturm und Regenschauern zum Trotz: Regensburger Jazzweekend bringt Tausende auf die Beine

Lange stand das Jazzweekend in Regensburg im Ruf im sommerlichen Monsun zu versinken. Statistisch war das weitgehend Unfug, auch wenn es Jahre mit stürmischen Gewittern, Schnürlregen oder feuchter Kühle gab. Bei der 43. Auflage wurde es heuer dem alten Nimbus mit kurzen heftigen Regenschauern zum Pre-Opening am Donnerstag und einem heftigen Sturm mit Temperatursturz und Konzertabsagen am Samstag beinahe gerecht. Da aber die konzeptionelle Neuausrichtung schon seit zwei Jahren für frischen Wind und eine inhaltliche wie personelle Belebung gesorgt hatte, konnte dieser wetterbedingte Rückfall die Stimmung nur kurzfristig trüben.

Schade war es für die angereisten Musikerinnen und Musiker, die ungehört wieder nach Hause fahren mussten. Auch die Landkreisgemeinde Wenzenbach, die bereits zum zweiten Mal mit dabei war, blieb auf einigen Kosten sitzen. Hoffentlich fühlen sich die jazzaffinen Gemeindevertreter*innen dadurch nicht demotiviert. In Kallmünz, der neu hinzugekommenen Landkreisgemeinde waren Stimmung und Resonanz auf die Schräglage Marching Band, die später auch in der Regensburger Altstadt gute Laune verbreitete, auf das Karoline Weidt Quartett und weitere Acts durch die Bank positiv. Damit hat das für seit jeher kostenlose Festival eine größere räumliche Ausdehnung bekommen und wird gerade für junge Bands, die manchmal mehrmals auf verschiedenen Bühnen spielen, nochmal interessanter.

Der konzeptionelle Relaunch hat es zudem für Amateure jeglicher stilistischer Präferenz wieder attraktiver gemacht, weil die inhaltlich-stilistische Vielfalt deutlich zugenommen hat. Angehenden und jungen Profimusikerinnen, wie dem Quartett der Altsaxofonistin Magdalena Busler und dem Hard Bop Ensemble der HfM Nürnberg dient es als Karrierestufe und als riesiges Forum um sich auszutauschen. Nicht zuletzt ist es trotz kleiner Gagen auch für viele Profimusiker anziehend, weil es auf einem professionellen organisatorischen Niveau und in einem malerischen Ambiente ein riesiges Publikum erreicht. Heuer waren es trotz regenbedingter Ausfälle über 70000 Besucherinnen, die sich von rund 100 Bands mit an die 700 Musikant*innen verzaubern, unterhalten und begeistern liessen.

Ohne Worte. Foto: Michael Scheiner
Ohne Worte. Foto: Michael Scheiner

Neben dem regulären Programm stößt man beim Gang durch die Altstadt zudem immer wieder auf spontane Auftritte und Begegnungen, wie den College Voices. Zehn  Studierende des Regensburger Music College lenkten in der Fußgängerzone mit a cappella gesungenen souligen Pop- und R&B-Nummern die Aufmerksamkeit auf sich. Nachfolgend ein etwas vertiefender Blick auf einige zufällig ausgesuchte Konzerte an verschiedenen Locations.

Karoline Weidt und ihr Visions Ensemble lassen das Pre-Opening gut aussehen

Das Pre-Opening auf der Piazza im Gewerbepark startete mit Karoline Weidt, eine der best angezogenen Jazzsängerinnnen der Republik. Sie gastierte mit ihrem zu Dreiviertel mit Musikerinnen besetzten Visions Ensemble. Neben Schlagzeugerin Lisa Wilhelm gehören ihm Caris Hermes am Bass, Gitarrist Philipp Schiepeck und der Saxofonist Moritz Stahl an. In Kallmünz war Weidt im Quartett mit Keyboarder Sam Hylton zu hören. Die Brandenburgerin hat vergangenes Jahr den BMW Young Artist Jazz Award gewonnen. Mit dem einfühlsam spielenden Stahl (ts, ss) stellte sie Songs aus ihrem aktuellen Album „Inviting“ vor. Mit melodischen Nummern, in die Weidt sphärisch schöne Vokalisen flicht, entfaltete die Band einen eleganten, mit Pop angereicherten modernen Jazzsound. Fast alle Songs hat Weidt selbst geschrieben und getextet, daunter einige, die in der Abgeschiedenheit einer norwegischen Insel entstanden sind. „Hier konnte ich stundenlang Sonnenaufgänge beobachten“, erzählte Weidt über die Entstehung von „Yellow Sky“.

Nach einem kräftigen Guss wagte sich Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer mit kleiner Entourage als erste unterm Schirm hervor. Von der Bühne herunter bescheinigte sie den gelassen ausharrenden Zuhörenden, dass es „das am meisten regenresistente Publikum überhaupt“ sei. Begeistert klatschte dieses Zustimmung. Nach einigen Grußworten, darunter von Roland Seehofer, der als Geschäftsführer des Gewerbeparks seit über 20 Jahren auch als Sponsor für das Festival auftritt, war wieder die Musik an der Reihe. Fried Seven, wie sich ein Septett junger Musiker aus Amsterdam nennt, haben sich ganz dem frühen Jazz verschrieben. Mit Banjo,  Bass, Schlagzeug und einer vierköpfigen Bläser-Line tauchten sie ins längst vergangene Vergnügungsviertel von New Orleans ein. Hier fanden sie den erfrischenden, nach Leben lechzenden Sound von Louis Armstrong, King Oliver und Jelly Roll Morton. Mit vom Ragtime und Blues geprägten Songs wie „Guess Who´s in Town“, gesungen vom Posaunisten, und Stücken im Retrostil brachten sie selbst die Verkäuferinnen und Würstlbrater hinter den Essensständen zum Tanzen. Auch optisch lehnten sich die hervorragend aufspielenden jungen Männer an ihre musikalischen Vorbilder an. Mit dem „Buddy Bolden Blues“ als Zugabe und feinen Kollektivimprovisationen und Soli setzten die unerschütterlichen Jungs einem warmen Schlusspunkt.

Beim Auftritt von Sängerin Marcia Bittencourt badete das Publikum förmlich in „musica brasileira“. Seit Jahren spielt sie mit dem Gitarristen Michael Arlt zusammen, der eine Professur an der Würzburger Musikhochschule hat. Zusammen komponieren und schreiben die beiden Songs im Stil des berühmten Brasil-Jazz. Rhythmisch ging es auf der Piazza richtig ab. Zeitweise allerdings klauten zwei Mädels, eines vermutlich noch nicht schulpflichtig, der stimmgewaltigen Sängerin fast die Show. Mit Überschlägen direkt vor der Bühne, perfektem Spagat und wild schlenkerten Hüften bekamen sie von begeisterten Zuschauern fast mehr Beifall als Bittencourts Quartett Agora. Am Schluss stand das Publikum auch für die Musik fast auf den Tischen und verlangte erfolgreich nach Zugaben.

Zwischen Lindy Hop und Boing Boom Tschak

 Zu sehen war erstmal nichts, zu hören umso mehr. Aus einem Nebenraum im Haus der Begegnung drang der lustvolle Swing einer höllisch aufspielten Band ins Foyer. Draußen  waren wegen eines Sturmes alle Outdoor-Konzerte abgesagt, drinnen drängten sich vor den Eingängen dichte Trauben Zuhörender. The Sweet Simones, eine junge neunköpfige Swingband aus München drehte auf der improvisierten Bühne auf, dass der kleine Saal wie ein Dampfkessel funktionierte. Hier, wo das Publikum nicht artig auf Bierbänken sitzen und zuhören musste, zuckten die Glieder und schlenkerten die Beine. Direkt vor den schwitzenden Musikanten hatten sich einige Tanzpaare sogar gerade soviel Platz geschaffen, um sich um die eigene Achse drehen zu können. Hier zeigte der seine so wichtige komplementäre Seite – die des Entertainments. Zu klassischen Swingnummern und eigenen, vom Bandgründer und Pianisten Aljoscha Kleinhammer geschriebenen Songs lieferte die Band mit dem vierköpfigen Bläser-Lineup und Sänger Jimmy Buford eine mitreißende Show. Zwar konnte man keine ausgefeilten Soli erwarten, aber musikantische Energie, die die Menschen in Bewegung versetzte.

Das machte auch Schlagzeuger Gerwin Eisenhauer mit seinem elektronischen Drumkit gleich mehrfach. Als Duo Booom mit der Rapperin und Sängerin Layla Carter, tags darauf in Kallmünz und im Degginger (Regensburg) mit dem Tenorsaxofonisten Tobias Meinhart, der spontan für die erkrankte Carter eingesprungen ist. Der virtuose Drummer knüpfte mit seinem vom Jungle inspirierten vibrierenden Spiel auch an die unterhaltende Tradition des Jazz an. Ohne vorherige Probe liessen sich die beiden Musiker auf das Experiment des spontanen freien Improvisierens ein. Sowohl in Kallmünz, wie später im Degginger kamen bei den ungewohnten Duopartnern spannende und machtvoll groovende Konzerte zustande, die das Publikum in Bewegung und Trance versetzte.

Am Ende hatte der aus New York kommende Meinhart drei Konzerte hinter einander gespielt und war entsprechend fertig. Auch damit verwies der sich bis zur Ekstase verausgabende Holzbläser auf eine vergangene Zeit, als Jazzmusiker in Tanzsälen manchmal die halbe Nacht am Stück spielen mussten. Zwischen den beiden Groovegigs mit Eisenhauer blies sich Meinhart noch mit Connecting Rivers die Seele aus dem Leib. Das Quartett hat sich auf Anregung der Kulturverwaltungen der Partnerstädte Aberdeen und Regensburg und ist erstmals auf dem Jazzfestival in Aberdeen aufgetreten. Meinhart spielt darin mit Gitarrist Paulo Morello aus der Oberpfalz und die schottischen Musiker Ali Watson (bass) und Richard Glassby (drums) Kompositionen von jedem der vier. Formal wie inhaltlich sind die Stücke sehr unterschiedlich, was die Konzerte des Quartetts zu einer Erkundungsreise von beschwingter Latinstimmung bis zu folkloristisch angehauchtem Modernjazz machte.

Als viele Besucher samstags bereits auf dem Heimweg waren, bauten im Leeren Beutel die Jungs von Full Bloom erst ihre Instrumente für den Soundcheck auf. Der ging dann nahtlos in den Konzertbeginn über. Mit einem Soundgestöber aus E-Gitarre, E-Bass, Perkussion und nervösen Keyboardlinien erinnerten die Münchner entfernt an frühe progressive Rockgruppen wie Magma, Amon Düül oder Soft Machine.

Jazz ist Vielfalt

Scheinbar diametral erschien dazu die junge Altsaxofonistin und Musiklehrerin Magdalena Busler mit ihrem Quartett. Sie eröffnete am Bismarckplatz den Jazzmarathon, der wenige Stunden später sturmbedingt abrupt unterbrochen wurde. Busler stellte mit Kommilitonen der Würzburger Musikhochschule eigene Kompositionen wie „Breathe“, „Autumn“ vor. Diese erinnerten in ihrer melodiösen Weiträumigkeit und den repetitiven Piano-Motiven an nordische Jazzurus, wie sie auf ECM und ACT Music zuhause sind. Es fließen aber auch Latin- und Fusionelemente in ihre Songs mit ein. Diese versieht sie häufig mit Texten, wie sie in einer ihrer bilderreichen Moderationen erzählte und zitierte aus einem dieser poetischen Stimmungsbildern.

Ganz dem Gypsy-Jazz eines Django Reinhardt hat sich der Leutkirchner Gitarrist Manfred Fuchs mit seinem Trio verschrieben. Im Durchgang vom Restaurant Amore, Vino & Amici zu Vor der Grieb stellte er mit dem warmherzig solierenden Bassisten Tiny Schmauch und Makus Kimmich an der Rhythmusgitarre Stücke wie „Karlis Coffee“ und die stimmungsvolle Ballade „The Sad clown“ vor. Musikalisch verliert sich der hochvirtuose Instrumentalist öfters in blitzblanken Läufen, die letztlich wenig sagen.

Heiß wurde es beim Trio Renner im Arkadenhof nicht nur wegen deren vibrierender Energie und ihrem hochvirtuosen Spiel, sondern auch unter der heißen Mittagssonne. Trotz eines Meeres an Stroh- und Sonnenhüten leerten sich nach und nach einige Stuhlreihen ohne Beschattung. Das nach den Brüdern Moritz (tb) und Valentin (dr) benannte Trio Renner gehört mit Bassist Nils Kugelmann, einem „Wesenverwandten“, zu den großen Entdeckungen im bayerischen Jazz der letzten Jahre. Moritz, der die meisten Stücke beigesteuert hat, und die beiden Mitmusiker geben mit der Komposition „Hope“ einer optimistischen Grundhaltung Ausdruck, mit der sie dem Leben gegenüberstehen. Zugleich ist es musikalisch richtungsweisend für einen emotional packenden Sound in dem komplexe Strukturen, wunderbare Improvisationen und ein sensibles Gespür für Dramatik glänzend ausbalanciert sind.

Dieses Jahr gehörte auch wieder ein Jazz-Gottesdienst mit Jazzymotion in der Dreieinigkeitskirche zum vielfältigen Programm des Weekends. ebenso wie ein Vortrag des Musikwissenschaftlers Fabio Dick von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er führte eine Evaluierung zur Optimierung der bestehenden Soziokultur des Jazzweekends durch und stellte die Ergebnisse der Untersuchung von 2023 vor. Besondere Entdeckungen machten viele Besucher in kleineren Bühnen bei Rehorik mit Zweifel und Caecilia, der Heimat mit der One-Man-Band Hoop und beim Augustiner mit dem wilden Discofieber der Soulband von Sängerin Tony Tara. Auf dem Museumsschiff Ruthof, das fest am Marc-Aurel-Ufer vertäut liegt, gaben sich New-Orleans- und Dixiebands mit Bluesgangs und Afrobeat-Gruppen das Ruder in die Hand. Jeweils lustvoll goutiert von Zuhörenden, die am Ufer den motorisierten Verkehr fast lahmlegten. Ein klimakleberfreier Nebeneffekt dank der demokratierfördernden Kraft der Jazzmusik.

Text und Fotos: von Michael Scheiner

 

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