Werner Richard Heymann – der Vergessene, den jeder kennt

Ein Quartett um die junge Sängerin Fernanda von Sachsen erinnert an Leben und Werk des jüdischen Komponisten Werner Richard Heymann. Bei der Premiere im Münchner Lustspielhaus jubelt das Publikum über die zeitgemäßen Jazz-Interpretationen.

Er selbst beschrieb das Phänomen schon zu seinen Lebzeiten am besten: „Sie kennen mich nicht, aber Sie haben viel von mir gehört“, pflegte Werner Richard Heymann zu sagen. Tatsächlich ist der Name des 1961 in München gestorbenen Musikers, Komponisten, Dirigenten und Filmpioniers heute kaum mehr bekannt – ganz im Gegensatz zu seinen Songs, die nach wie vor gespielt werden und vielen immer noch auf der Zunge liegen: „Ein Freund, ein guter Freund“, „Das gibt’s nur einmal“ oder „Irgendwo auf der Welt“ sind Beispiele seiner vielen Evergreens. Ein Quartett um die junge Sängerin Fernanda von Sachsen und die Pianistin Marina Schlagintweit hat ihn nun in einem stürmisch bejubelten Abend unter dem Titel „Das gibt’s nur einmal. Brillante Arrangements & humorvolle Anekdoten über W.R. Heymann“ wieder ins Bewusstsein und in die Gegenwart geholt.

Zunächst gab es eine kleine Einführung vom Initiator. Der Jazz-Fan und -Mäzen Andreas Schiller erzählte, wie er über seine Lebensgefährtin Heymanns Tochter Elisabeth Trautwein-Heymann kennengelernt, sich näher mit ihrem Vater befasst und die Idee einer jazzigen Neuinterpretation aufgegriffen hatte. In der Unterfahrt war ihm eine junge Sängerin aufgefallen, der er ein Heymann-Songbook in die Hand drückte. Nach einiger Zeit meldete sich Fernanda von Sachsen zurück: „Ich mach’s!“ Für die perfekten Begleiter hatte sie nicht weit Ausschau halten müssen, sie konnte auf Freunde aus der eigenen WG zurückgreifen. Auf die Pianistin Marina Schlagintweit, zwar eine Spätstarterin im Jazz, aber mit ihrer Vorgeschichte im Performance-Bereich wie als Filmkomponistin die ideale Ergänzung. Und auf den versierten jungen Schlagzeuger Tilmann Albrecht. Der letzte fehlende Baustein am Bass fand sich mit Andreas Kurz, der klassischen Jazz – oft in Bigbands oder bei „München swingt“ nachgewiesen – ebenso beherrscht wie zeitgenössischen.

Gemeinsam erreichten sie im Lustspielhaus das von Fernanda von Sachsen ausgegebene Ziel mustergültig: „Wir wollen zeigen, dass diese Musik nicht altbacken ist, sondern voller Energie, Emotion und zeitloser Themen, die auch heute noch relevant sind.“ Großartige Arrangements brachten alte Hits wie „Ein Freund, ein guter Freund“ zum Swingen, kreuzten „Wenn der Wind weht“ mit Hip-Hop oder verwandelten das „Mir ist so, ich weiß nicht wie“ – in der Zugabe – in einen astreinen Latin-Bossa. Auch erlaubten sich von Sachsen und Schlagintweit manchmal, behutsam in die – zumeist vom großartigen Robert Gilbert geschriebenen – Texte einzugreifen, um sie in die Gegenwart zu holen. Aus „Tiktok“ wurde so eine mit Sprechpassagen, überraschenden musikalischen Wendungen und Zitaten gespickte Anklage an den social-media-Overkill. Intelligent war auch die Mischung aus bekannten Hits wie „Das gibt’s nur einmal“ und unbekannteren Stücke wie etwa „Lavendel“.

Neben dem Interplay der famosen Band und spannenden Soli war aber natürlich Fernanda von Sachsen die eigentliche Sensation. Die noch am Münchner Jazzinstitut Studierende, die – nach einem Bachelor in Ethnologie – ihr großes Potenzial als Sängerin aber bereits nachgewiesen hat: Von 2021 bis 2023 saß sie im Landesjugendjazzorchester Bayern, sie bekam Stipendien für das New York Voices Vocal Camp und die Yehudi Menuhin Live Music Now Stiftung und schob diverse Projekte bis zum eigenen Quartett an. Von Sachsen verfügt über eine herausragende Stimme: mit klassischem Fundament, glasklar, variabel, kraftvoll und mit enormer Range. Und gerade für dieses Projekt war es sicher kein Schaden, dass von Sachsen schon weit über den Jazz-Tellerrand hinausgeblickt hat (ein Bachelor in Ethnologie steht dafür) und eigentlich von der Schauspielerei kommt.

So konnte sie auch mit ihrer Bühnenpräsenz und Mimik Heymanns Musik mit neuem Leben erfüllen. Und zusammen mit Marina Schlagintweit auch noch die Basics von Heymanns Lebenslauf spannend vermitteln. Denn auch das war ja ein Aspekt des Abends, wie es Schlagintweit formulierte: „Es geht uns auch darum, an die vielen Künstler zu erinnern, die wegen ihres Glaubens, ihrer Herkunft oder ihrer geschlechtlichen Orientierung während des sogenannten Dritten Reiches aus Deutschland fliehen mussten.“

Die Schattenseiten der deutschen Geschichte sind schließlich wie bei vielen anderen Künstlern der Grund für die relative Unbekanntheit, hätte sein Leben und Werk ihn doch sonst zum Star prädestiniert. Schon seine Anfänge als klassischer Komponist vor dem Ersten Weltkrieg waren vielversprechend, seine „Rhapsodische Sinfonie“ etwa wurde von den Wiener Philharmonikern uraufgeführt. In den Zwanzigerjahren prägte Heymann dann die aufblühende Kabarettszene Berlins entscheidend mit. Gemeinsam mit Friedrich Hollaender – der ein enger Freund wurde und viele Parallelen in seinem Lebenslauf aufweist – wurde er musikalischer Leiter von Max Reinhardts legendärer Kabarettbühne „Schall und Rauch“, er vertonte Texte von Walter Mehring, Kurt Tucholsky, Klabund und vielen anderen.

Die kleine Bühne reichte aber bald nicht mehr. Als Generalmusikdirektor der Ufa begründete Heymann das neue Genre der Tonfilm-Operette und schrieb bis 1933 fünfzehn Filmmusiken, unter anderem für „Die Drei von der Tankstelle“ (dessen Neuverfilmung 1955 er ebenfalls musikalische betreute) oder „Der Kongress tanzt“. Hier entstanden seine bekanntesten Songs. Als – wenn auch unreligiöser – Jude erkannte er die Zeichen der Zeit früh, emigrierte schon 1933 und machte, nach Stationen in Paris und London, auch in Hollywood Karriere. Bis 1950 vertonte er dort gut 50 Filme, unter anderem Ernst Lubitsch-Klassiker wie „Ninotschka“, „Sein oder Nichtsein“ oder „Blaubarts achte Frau“. Viermal wurde er für den Oscar nominiert.

Wegen der Herzjagden der McCarthy-Ära entscheidet er sich 1951 für die Rückkehr nach Deutschland, er geht nach München. Hier knüpft er mit alten Freunden wie Friedrich Hollaender, Robert Gilbert oder Trude Hesterberg an seine Chanson- und Film-Erfolge an. Mit 64 Jahren viel zu früh stirbt er1961, sein Grab liegt auf dem Münchner Waldfriedhof. Das Vermächtnis von Deutschlands über lange Jahre erfolgreichstem Unterhaltungskomponisten liegt aber immer noch in der Luft, wie der Abend im Lustspielhaus bewies. Ein historischer Grund, warum man dem bei seiner Premiere stürmisch und mit standing ovations gefeierten Projekt viele weitere Aufführungen wünscht. Vor allem aber, weil es musikalisch exzellent ist und einfach Spaß macht.

Text und Fotos: Oliver Hochkeppel

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