Fortsetzung geglückt: Sparks & Visions im Regensburger Theater

Niveau gehalten, Fortsetzung geglückt: Auf diesen Nenner lässt sich die zweite Ausgabe des Internationalen Jazzfestivals Sparks & Visions vom 19. bis 21. Januar im Theater Regensburg bringen. Anastasia Wolkenstein hatte für das Januar-Wochenende wieder ein beachtliches Line-up auf die Beine gestellt und das Publikum war spürbar konzentriert und enthusiastisch bei der Sache.

Sparks & Visions, Tag 1

Den Auftakt bildete Ganna Gryniva mit ihrer eigensinnigen Umsetzung ukrainischer Volkslieder, die sie bei einer Reise in ihre Heimat kennen und lieben gelernt hat. Als vokal-instrumentale Performance ist das von beeindruckender Virtuosität. Ohne jegliches technisches Ruckeln, ohne auch nur eine winzige Trübung der Intonation schichtet GANNA – so ihr Künstlername – mittels Loops eine Vokalstimme über die andere und reichert dies mit teils live eingespielten, teils als Backingtracks vorproduzierten Spuren aus Begleitklängen und Beats an. Wohlkalkulierte Schreie und Juchzer oder Töne aus dem Mundwinkel heraus bereichern das vokale Spektrum, doch bald stellt sich eine gewisse Sättigung ein. Denn melodisch-harmonisch bleibt die Bandbreite beschränkt, die Stücke und die Herangehensweise – melancholisch Getragenes wechselt sich mit stärker Rhythmisiertem ab – ähneln sich ziemlich.

Wem hier Ecken und Kanten gefehlt hatten, wurde mit dem Quintett des dänischen Gitarristen Teis Semey aufs explosivste entschädigt. Das Energielevel dieser Truppe ist umwerfend, das Mäandern zwischen fixiertem Material und freien Flächen berauschend. Wie von selbst ergeben sich auch über lange Strecken atmende Spannungsbögen, die den teils komplex ausfransenden Improvisationen Halt und Struktur geben. Teis Semey, in knallroter Latzhose ein unermüdlicher Saiten-Vorarbeiter, drängt sich dabei nur selten in den Vordergrund. Über weite Strecken bildet er mit Jort Terwijn am Bass und Giovanni Iacovella am Schlagzeug eine nie ermüdende Brennstoffzelle für die gemeinsamen Linien und die vor Intensität berstenden Soli von José Soares und Jesse Schilderink an den Saxophonen. Wow.

Den exquisiten Abschluss des Freitags-Blocks bildete die großartige Norma Winstone, die mit Kit Downes am Klavier eine Art klassischen Liederzyklus im Jazzgewand zelebrierte. Mit zeitlosem Gespür für Phrasierung, Timing und die Gestaltung ihrer Text legte die Sängerin die Essenz der Songs bloß, die unter anderem von Carla Bley, Ralph Towner, John Taylor und Downes selbst stammten. So feinfühlig zurückhaltend der Pianist begleitete, so prägnant waren seine Vor-, Zwischen- und Nachspiele. Herrlich zu beobachten war auch, wie er bei einigen Schlüssen die Hände noch für einen finalen Ton oder Akkord bereit hielt, um dann aber doch einfach nichts mehr zu spielen. Die hohe Kunst des Weglassens. jmk

Sparks & Visions, Tag 2

Festivalchefin Anastasia Wolkenstein liebt Pianisten, und natürlich auch Pianistinnen, vorausgesetzt, sie sind von Weltklasseformat. Sparks & Visions 2024 war jedenfalls eine Feier großer Jazz-Klavierkunst: Kit Downes, Wolfert Brederode, Kadi Voorand und Tord Gustavsen. Wer kann das toppen? Die Antwort gab Wolkenstein mit der Verpflichtung des britischen Pianisten Alfa Mist, der mit seinem Quintett aus den hippen Londoner Clubs ins Barock ausgeplüschte Regensburger Theater angereist war und alles wegfegte, was vor ihm auf der Bühne gefeiert wurde. Dabei ist der mit dem bürgerlichen Namen Alfa Sekitoleko in Newham, London geborene Pianist eigentlich Hiphop-Produzent von Beruf und als Pianist Autodidakt. Das Publikum folgte Alfa Mist und seinen dicht gewebten Sounds und Rhythmuspatterns eine gute Stunde lang gebannt und rang den coolen Londonern, die bis dahin keine Miene verzogen hatten, zwei Zugaben und ein Lächeln über so viel Begeisterung im ehrwürdigen Theatergehölz ab.

Im Konzert zuvor hatte der estnische Wirbelwind Kadri Vooprand, stets kongenial unterstützt an Bass und Bassgitarre von Mihke Mälgand, eine abwechlsungsreiche Jazz-Revue geboten: Witz, Tempo, Gags, launige Ansagen, Songwriting in Eigenproduktion und Cover-Kunst – natürlich alles mit stupender Klaviertechnik gepaart. Klavier, Kalimba, Violine, Loopmaschinen, Mischpult – wofür andere eine ganze Band brauchen, Kadri Voorand ist Alleinunterhalterin im allerbesten Sinne. Bei ihr gehen Unterhaltung und Musikclownerei ansatzlos in Klangpoesie, Emotion und hohe Kunst über – und zurück.

Sehr ernst dagegen Wolfert Brederode mit seinem Projekt „Ruins and Remains“ von 2018, das sich auf das damals hundert Jahre zurückliegende Ende des Ersten Weltkrieg bezieht. Die Komposition für Klavier Streichquartett und Schlagzeug sucht ihren Ausdruck in feinsten Klangnuancen und sich ruhig entwickelnden musikalischen Gedankengängen. Ganz beeindruckend der Klangsinn des Perkussionisten Joost Lijbaart, der mit minimalistischem Aufwand große Wirkung erzielte. Fast hätte man sich gewünscht, das Werk in einer Version nur für Klavier und Schlagwerk zu hören. ak

Sparks & Visions, Tag 3

Anstelle eines weiteren Dreifach-Konzerts am Abend wie im vergangenen Jahr bildete diesmal eine Sonntags-Matinee mit zwei Acts den Abschluss des Festivals. Die wichtige Parallelveranstaltung, die Regensburger Demo gegen Rechts, nahm Bassist Robert Lucaciu mit einer klugen Ansage auf und war auch im beglückenden Zusammenspiel mit seiner Duopartnerin Evi Filippou ein hellwacher Zeitgenosse. Die Vibraphonistin ist eine faszinierende Meisterin ihres Faches. An die Stelle oberflächlichen Hochleistungsgeklöppels tritt bei ihr das Modulieren des Tons, ihre Schlägel scheinen ihn aus den Klangplatten förmlich herauszumassieren. Die Interaktion der beiden war ebenso herausragend wie die Vielfalt des Materials, das zwischen atmosphärischer Zerbrechlichkeit und postavantgardistischer Klangerzeugung changierte.

Ein penibler Tonmodulierer ist auch Tord Gustavsen, der seinen Pianosound nicht bloß mit elektronischen Effekten anreichert, sondern auch dessen Obertonspektrum manipuliert. In den ruhigen, beinahe bis zum Verlöschen zurückgenommenen Passagen entlockt er dem Flügel durch sanftes Tastenkneten eine selten gehörte Wärme und Intimität, die von Steinar Raknes am Bass und Jarle Vespestad am Schlagzeug sensibel mitgetragen wird. Das Trio kann aber auch kernigen Groove, schlafwandelnde Funkyness und elegische Gefühlsüberwältigung, und Gustavsen hat spürbar Spaß daran, mit einer Bach-Paraphrase gehörig aufzutrumpfen, nach dem Motto: Wenn Busoni Jazz gespielt hätte… An manchen Stellen des bis in die letzte Nuance ausgefeilten Sets war das alles eine Spur zu viel, als luxuriöses Finale eines gehaltvollen Wochenendes aber vielleicht gerade richtig.

Das Beitragsbild zeigt Evi Filippou. Foto: Juan Martin Koch
Text: Tag 1 und 3 Juan Martin Koch / Tag 2 Andreas Kolb

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