Schaut man nur auf das Äußere der Alex Hitchcock Dream Band, fällt sie durch alle Raster. Durch den der political correctness ebenso wie den des musikalischen Zeitgeistes. In der Traumbesetzung des jungen britischen Saxophonisten hat keine Musikerin Platz. Und bei den männlichen Musikschaffenden auf der Bühne ist nirgends auch nur ansatzweise ein elektronischer Klangerzeuger, ein Verfremdungsgerät oder gar ein ,mitspielender’ Computer zu sehen.
Oldfashioned
Vom Flügel über den Kontrabass, das Tenorsaxofon bis zum reduziert gehaltenen Schlagzeug alles analoge, althergebrachte Instrumente. Auf denen die vier Musiker einen mit zeitgemäßen Ausdrucksformen durchsetzten Modern Jazz spielen. Letztlich also auch einen eher oldfashioned, wie es längst eingedeutscht heißt, Sound spielen, der sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelt hat. Wer jetzt aber glaubt Hitchcocks Band der Träume sei deshalb auch altmodisch, zieht sich einen dicken Schiefer ein.
Eingeschnürt
Tatsächlich war der Auftritt beim Jazzclub im Leeren Beutel in der ersten Hälfte vor der Pause ziemlich uninspiriert. Das Quartett wirkte wie eingeschnürt von den Fesseln von Hitchcocks Kompositionen, die sie wie Perlen ohne Unterbrechung aneinander reihten. Da der Bandleader zudem auf Ansagen zu seiner Musik verzichtete, mussten sich die Zuhörenden ganz auf die Musik konzentrieren, ohne über Titel oder Hintergrund eines Stücks Anhaltspunkte zu haben, an denen man sich gedanklich abarbeiten hätte könne. Aus dem von manchen Zuhörenden als akademisch empfundenen Spiel löste sich anfänglich lediglich der exzellente Schlagzeuger Marc Michel. Mit seinem zurückgenommenen, den Rhythmus umspielenden Spiel vorwiegend auf zischelnden Becken und der Snare gab er immer wieder Impulse. Erst nach der Pause konnte er damit das Feuer in der Band richtig anfachen.
Freier, mit mehr Leidenschaft
Vermutlich war die Stimmung in der Band bei ihren Tourauftakt und dem ersten Auftritt im Beutel noch etwas angespannt. In der zweiten Hälfte agierten die Musiker viel freier, mit mehr Leidenschaft und zupackender Energie. Bei einem unbegleiteten Solo kam auch Hitchcocks eigene Virtuosität und Empfindsamkeit für feinste Stimmungen und Nuancen auf dem Tenor ganz wunderbar und besser als im ersten Set zum Ausdruck. Die beiden anderen Mitmusiker, Will Barry am Flügel und Orlando Le Fleming, der bereits mit Tobias Meinhart in der Welterbestadt gastierte, am akustischen Bass reagierten nun unmittelbarer und gelöster auf die stocktrockenen, knackigen Akzente Marc Michels.
Das Etikett Dream Band hat der in London aufgewachsene und aktuell in New York lebende Hitchcock auch für eine Reihe von Aufnahmen verwendet. Auf mehreren CDs hat er dafür verschiedene Traum-Besetzungen zusammengestellt, darunter die Cellistin und Sängerin Midori Jaeger, Chris Cheek und Jason Brown, der ebenfalls britische Pianocrack Kit Downes und die schwedische Singer-Songwriterin Liselotte Östblom. Stücke dieser Alben, die vom Publikum auch gekauft wurden, stellte das Quartett im Beutel vor.
Le Fleming
Dominierten im ersten Set noch Sax und Piano als Soloinstrumente, konnten nach der etwas längeren Pause auch Le Fleming mit seinem herrlich warmen Sound und vor allem Michel ihre Klasse in unbegleiteten Improvisationen präsentieren. La Fleming, ein mit vielen stilistischen Wassern gewaschener hervorragender Timekeeper zeigte sich bei den manchmal etwas ausgewalzten Nummern aus dem „Dream Band“-Album als zuverlässiger Begleiter, der sparsam akzentuierte.
Stilistisch sind in Hitchcocks mal einfallsreich komplexen, mal einfacheren Stücken neben dem dominierenden Modern Jazz auch Elemente des Bop und Hardbop eingeflossen. Damit zeigt der Engländer eine starke Verbundenheit zur Jazztradition, ohne aktuelle Entwicklungen dabei aus den Augen zu verlieren. Ein überraschendes und im Detail interessantes Konzert zum Saisonauftakt.
Alex Hitchcock – sax
Will Barry – p
Orlando Le Fleming – b
Marc Michel – dr
Alle Fotos und Text: Michael Scheiner