Die Wege der Musik sind manchmal unergründlich. Im Jahr 1988 bekam Heinz Winbeck eine Professur in Würzburg angeboten. Das war gut für den Lebensunterhalt, aber schlecht für die Inspiration. Also suchte der Komponist eine Bleibe, die ihm seine kreative Grundentspanntheit ermöglichte und fand sie im Alten Pfarrhof in Schambach bei Riedenburg. Er ließ das Gemäuer renovieren, zog dorthin und wirkte von dort aus in die Szene zurück. Sein Kollege Franz Hummel wiederum war ebenfalls am Ort und so entstand eine Art Miniaturenklave der Neuen Musik, was wiederum die Kuratorin des Metax Modern Festivals Birgit Clupacek dazu veranlasste, mit der regional verorteten Veranstaltung nach Riedenburg zu ziehen und dort am 18.Juni 2023 den ersten Tag der Gegenwartsmusik anzuberaumen.
Der Pfarrhof wurde einer der Spielorte, in dessen Privaträume die Witwe des Komponisten Gerhilde Winbeck mit charmanter Grandezza einlud. Die Pianistin Shuteen Erdenebaatar und das Duo Manuel Adt und Kathrin Isabelle Klein präsentierten im Salon des Hauses Stücke aus eigener Feder, von Kokurator und Moderator der Veranstaltung Henrik Ajax und von Adriana Hölszky, ernst dunkle, aber auch schweifend harmonisch schwelgende Klavierexkurse mit der Tendenz, im Hören aus den Räumen hinaus in eine Welt zwischen Abstraktion und Emotion zu führen. Das Publikum genoss Musik und Stimmung zwanglos über die Räume verteilt, ein schon beinahe surreales Kontrasterlebnis von intellektueller, interpretatorischer Verdichtung und regionaler, lebensweltlicher Präsenz.
Mehr noch bekam man dieses Gefühl bereits in der Früh, beim ersten Programmpunkt des Tages. Die Pfarrkirche St.Johannes lud zur Messe, Robert Lehner gestaltete die Orgelpassagen frei und pathetisch voluminös, das mongolische Quartett Ensemble Tengerton integrierte Kehlkopfgesang und Kniegeigen in die Liturgie. Rituelle Welten trafen aufeinander, die Nähe des katholischen Gottesdienstes mit Weihrauch, gewohnten Abläufen und die Ferne einer Klangkultur, die überraschend melodisch und betören profund die Menschen rührte. Abends zog das Ensemble dann in die Drei-Burgen-Halle weiter und stellte nach Henrik Ajax „Rhythmusstörung“ mit Adt und Klein seine zwischen Pferdeliedern und Bergblues changierende, trotz tendenzieller Fremde eigentümlich vertraute wirkende mongolisch-europäisierte Stilmischung vor, die dann von Erdenebaatar in der vierteiligen Auftragskomposition „Mother Earth“ mit Klavier und Flöte zu kammermusikalischen Hörbildern verbunden wurde. Ein Jazz-Set mit Erdenebaatars Quartett vervollständigte den „Riedenburger Tag der Gegenwartsmusik“ durch das Element der Improvisation. Der Weg in die Region war eine Erfahrung, ein Erlebnis.
Text & Beitragsbild: Ralf Dombrowski