Feuerwerk an Energie, Groove und Modern: das Regensburger Jazzweekend 2023

Vier Tage dauerte das Regensburger Jazzweekend vom 13. bis zum 16. Juli 2023: Über 100 Bands spielten in mehr als 30 Locations. Auch im 42. Jahrgang war die ganze Stadt wieder einmal voller Jazzmusik und trotz tropischer Temperaturen voller neugieriger und musikgenusssüchtiger Menschen. Michael Scheiner berichtet vom Jazzweekend-Auftakt auf der Piazza im Regensburger Gewerbepark und einem langen Jazzwochenende in der Altstadt.

Tag 1 – Gelungener Auftakt im Gewerbepark

Ganz nebenbei hat Marco Lobo auch noch das Wissen über Instrumentalkunde und Musikethnologie erweitert. Beim gefeierten Auftritt mit seinen Convidados auf der Piazza im Gewerbepark, spielte der Brasilianer ein unbegleitetes Solo auf der Berimbau oder auch Berimbao, wie der Musikbogen auf spanisch heißt. Das aus einem Holzstock, einer Metallsaite und einer Kalebasse als Resonanzkörper bestehende Instrument ist typisch für den Nordosten des südamerikanischen Landes und das wichtigste Instrument für den Kampftanz Capoeira.

Das Publikum reagierte fasziniert und hingerissen auf die schwirrenden, an- und abschwellenden Klänge, die Lobo mit dem archaisch anmutenden, virtuos gespielten Bogen kreierte. Einige wären fast aus den bequemen Liegestühlen vor der Bühne aufgestanden, um ihrem Beifall noch etwas mehr Nachdruck zu verleihen. Voll der Empfehlung von Kulturreferent Wolfgang Dersch folgend, gaben sie sich aber „ganz dem Augenblick hin“.

Monika Roschers neues Album live

Der hatte nach dem kaum weniger gefeierten Auftritt der Münchner Bigband von Monika Roscher, zusammen mit dem Geschäftsführer Roland Seehofer mit persönlichen Worten Musiker und Gäste beim Auftakt zum Jazzweekend begrüßt. Roscher, Gitarristin, Sängerin, Komponistin und aufgeweckte Bandleaderin in Einem, ist längst keine Unbekannte mehr in der Kulturerbestadt. Seit Jahren kurbelt sie nach den stressigen Weihnachtstagen das brachliegende Konzertkarussell mit ihrem groovig-rock-jazzigem Sound mächtig an. Selbiges vollführte sie auf der Piazza mit Songs und Stücken aus ihrem neuen Album hexigen Album „Witchy Activities and the Maple Death“.

Die Songs von Saxofonist Maximilian Shaikh-Yousef (comp) und Sängerin Veronika Morscher (text) waren dagegen überwiegend von einer getragenen Stimmung. Nur an wenigen Stellen schlug der ruhige Sound um und bekam einen lebhafteren Charakter, wie in einem Stück über einen „Wasserfall“. Die mit der österreichischen Vokalistin zum Tentett erweiterte Großformation ist einem kammermusikalischen Modern Jazz verpflichtet, der vokal an Traditionen aus den 1980er Jahren wie bei Flora Purim anknüpft und diese weiterführt. Das aus Kölner und Frankfurter Musikern bestehende Ensemble bestach mit eindrucksvollen und emotional bewegenden Soli von Matthew Halpin auf dem Tenorsax, Trompeter Stephan Geiger, von Philipp Schittek an der Posaune und von Bandleader Shaikh-Yousef. Von dessen Familienname leitet sich der schwer auszusprechende Bandname SH4iKH 9 extended ab.

Trommeln in der Nacht

Es war, als hätten Lobo und seine Convidados nach dieser eher nach innen gerichteten Stimmung eine Lunte gelegt. Damit entzündeten Lobo und sein „guter Freund Gerwin Eisenhauer“ mit einem Trommelduett bereits am Ende des langen Soundchecks ein Feuerwerk.

Dem folgten in der letzten Stunde des Festivalabends viele weitere musikalisch-perkussive Ausbrüche an Energie und guter Laune. Das Quintett mit dem großartigen Saxofonisten und Flötisten Márcio Tubino, Ricardo Fiuza am Flügel und dem eruptiven Bassisten Mauro Martins aus Curitiba versetzte die Piazza in einem Taumel erregend guter Laune und befreiender Bewegungslust. Und dem wie ein Derwisch zwischen Rasseln, Congas, pfeifenden Schläuchen und wirbelnden Toms fuhrwerkenden Lobo flogen eh die entzündeten Herzen zu. Ein großartiger Jazzweekend-Auftakt.

Tag 2 & 3 – Atemberaubende und erfrischende Sounds auf allen Plätzen, Clubs, Gärten und  Innenhöfen

Es gehört zu den Alltagsmythen, dass Musiker ein leichtes Leben mit viel Freiheit und Freizeit haben. In der Szenekneipe Heimat konnte man bei Firelyne aus Nürnberg und beim beim elektro-akustischen Trio rare_X erleben, daß Jazz schweißtreibende Schwerarbeit ist. Bereits der Aufbau im engen Gewölbe, zwischen dicht stehenden Besuchern erforderte ein Höchstmaß an Koordination, Durchschlängelfähigkeit beim Transport schwerer Kisten und Koffer und stoische Geduld.

Stand schließlich alles und waren alle Kabel im Halbdunkel schummriger Beleuchtung richtig angeschlossen, perlte den Musikern und Bassistin Susi Lotter von rare_X bereits nach der ersten Nummer der Schweiß von Stirn, Nase und Kinn. Trotz schneidend dicker Luft schafften es einige Zuhörer zu den unentwegt treibenden Beats, hechelten Becken und sturen Basslines der clubtauglichen Musik zu tanzen. Währenddessen jagte Tenorist Michael Reiß mit schweißnassem Gesicht sein mal nach Sternensounds, mal nach Blues klingendes Saxofon durch ein ganzes Arsenal an Effektgeräten. Heraus kamen weite Linie mit viel Hall und ekstatische Soli, die der Simplizität technoider Sounds einen glutvollen menschlichen Stempel aufdrückten.

Nothing But The Funk

Den konnte man schon ausgiebig an der Vorgängerband firelyne erleben. Das Quartett um Altsaxofonistin Pascale Feiertag mischte in analoger Instrumentierung klassische Bezüge mit feiner Melodiösität, weiten erzählerischen Bögen und einem leichtem Latingroove. Ein musikalischer Höhepunkt:: Chick Coreas oft gecovertes „Spain“ als Duett zwischen Feiertag und Bassistin Lisa Köberlein, die einen wunderbar singenden Ton auf ihrem E-Bass spielt.

In den Clubs und Gärten, wie beim Augustiner spielten sich vielfach die spannendsten und innovativsten Auftritte ab. Auf den großen Bühnen dagegen kamen zwischen mitreißenden Shows wie bei Nothing But The Funk!, poetisch-feinem Vokaljazz mit Enji Erkhem und dem Paul Brändle Quartett und kraftvollem Orchestersound auch weniger jazzgewohnte Ohren vielfach auf ihre Kosten. Schwungvoll eröffneten die Jüngsten der ,Landjugend˚ mit Tobi am Schlagzeug am Freitagabend das Festival. „Ich freue mich, dass Sie sich freuen“, nahm Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer den Beifall schon mal vorweg, „dass das 42. Jazzweekend eröffnet ist“. Mit „Route 66“ gaben die Jazz Juniors auf der, den bayerischen Musikhochschulen reservierten Bühne am Bismarckplatz unter Leitung von Stephanie Lottermoser mit klaren Bläsersätzen schon mal die Richtung der kommenden Tage vor.

Leitete die Jazz Juniors: Stephanie Lottermoser. Foto: Michael Scheiner
Jazz Juniors konnten überzeugen. Foto: Michael Scheiner

Dagegen fiel die erste Besetzung des Landes-Jugendjazzorchesters zur Eröffnung am Bismarckplatz trotz eines perfekten Spiels geradezu ab. Geschliffen und routiniert stieg das LJJO in sein, bei Proben in der Musikakademie in Alteglofsheim entwickeltes Programm ein – und hörte sich genauso an, wie in den Jahren zuvor. Während beim Jazzweekend auf Initiative von Wolfgang Dersch ein fulminanter Neustart gelungen ist, rödelt das LJJO seit Jahren in der völlig ausgefahrenen Rüschenbaum-Spur weiter. Hier sollte endlich auch ein Neustart unter neuer Leitung erfolgen, die dann hoffentlich mit anderen Ideen, anderen Konzepten und künstlerischen Formen wieder neuen Schwung in das Nachwuchsorchester bringt.

Eisenhauer hoch 3

Neu erfunden hat sich praktisch – wieder einmal – Regensburgs Kulturpreisträger Gerwin Eisenhauer. Als Artist in Residence war er mit Marco Lobo beim umjubelten Konzert auf der Piazza, mit dem schwer beeindruckenden Bahia Electronic Experiment und im Duo BOOOM! mit der jungen Sängerin Layla Carter im Leeren Beutel mehrfach zu erleben. Anders als gewohnt, trommelt Eisenhauer mit Carter, die über erstaunliche, geradezu fantastische vokale Fähigkeiten verfügt, auf einem elektronischen Drumset. Über trockene Becken und Toms legte er soulig groovende Sounds und wuchtige Bassphrasen, zu denen die quirlig Sängerin souverän sang und rappte, was das Zeug hält. Ihre Coolness, vokale Vielseitigkeit und emotionale Hingabe erinnerten an den Beginn der Karriere von Amy Winehouse. Auch Carter steht mit ihrem künstlerischen Potential sicher ein größere Karriere offen, was sich auch an den Reaktionen des Publikums ablesen ließ, das völlig aus dem Häuschen war.

 

Ähnliches gilt auch für andere Musikerinnen, die als Sängerinnen und Instrumentalistinnen deutliche Akzente im Programm des Festivals hinterließen. Ein klares Statement trug die in Berlin lebende Sängerin Koob zur Schau. „Girls Rule“ konnte man auf ihrem Kleid lesen, während Koob mit einer eigenwilligen Mischung aus R&B, provozierenden Rapattacken, Folkanklängen und Avantgarde a la Shelley Hirsch, singend und scattend das Publikum zum Toben brachte. Mit der großartigen, von heftigen Ausbrüchen bis klangpoetischen Nuancen agierenden Band wirkte ihr Auftritt anfänglich wie eine Reinkarnation von Can und Sänger Damian Suzuki mit Mitteln des 21. Jahrhunderts. Eigene Akzente im zeitgenössischen Jazz setzte auch das Wiener Ensemble Fünfmalfünf mit Constanze Friedel, Geige und Stimme, und Anne Keller, Altsaxofon und Flöte, als Komponistinnen und Leader. Auf höchst beengtem Raum begeisterte das Quintett mit der männlichen Backline mit Eigenkompositionen zwischen Fusion und komplexen Grooves.

Energie pur

Die Energie eines Vulkans strahlte das Instrumentaltrio /kry aus Wien und besonders Mona Matbou Riahi an der Klarinette bei seinem Auftritt im Augustiner aus. Mit eigenwilligen eruptiven Sounds zwischen Metal, Krach und wilder, aus improvisatorischer Energie gespeister Emotion ist die Band vor allem eines – atemberaubend.

Ähnlich energiereich, aber ganz anders im Sound erhaben und pathetisch klingender Synthie-Klänge, die fünf Musiker von A4 aus der Partnerstadt Clermont-Ferrand. Während E-Bassist Hugo Gardé der geborene Animateur ist und das Publikum zum Tanzen aufforderte, jagte Robin Mom seine Trompete in immer höhere Sphären und die Tastenmänner Johan Thouvenot und Vincent Thiriat deckten alles mit elektronisch-orchestralem Pathos ein. Erfrischend trotz schweißtreibender Zustände, wie vieles am 42. Jazzweekend.

Das Titelbild mit Marco Lobo stammt von Michael Scheiner

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