„Mit…“, dann folgt eine unmerkliche Verzögerung bis die Anmoderation mit „…Lukas Hammerstein“ abschließt. Seit Jahr und Tag beginnt der bei München lebende Journalist und Autor Jazz & Politik jeden Samstagnachmittag damit, dass er sich vorstellt. Angesiedelt ist das Magazin bei der Politikredaktion des Bayerischen Rundfunks (B2), die Musik wählt der Musikredakteur Roland Spiegel aus.
Abgesang auf eine Magazinsendung
Kurz vor Sommerbeginn traf ich Hammerstein zu einem Interview im Eingangsbereich des Rundfunkhauses des BR, nahe beim Münchner Hauptbahnhof. Ich wollte ein Porträt des 65-jährigen Freiberuflers verfassen, dessen politisches Feuilleton zum Interessantesten, manche Hörer*innen würden sagen „zum Besten gehört“, was vom BR produziert wird. Während der Arbeit am Text landete im Postfach eine Nachricht, dass Jazz & Politik Anfang kommenden Jahres (2024) eingestellt wird. Unversehens bekommt das Interview einen anderen Drall und die Geschichte gerät zu einem Abgesang auf eine Magazinsendung, die innerhalb des durchaus immer noch vielfältigen deutschen Rundfunkwesens einmalig ist.
Nische Jazz & Politik
Im Schatten großer Reichweiten und Quoten, die vom hohen Sendemast herab alles überblicken, führt Jazz & Politik ein Nischendasein für politisch Interessierte und Hörerinnen die wissen wie zäh praktische Politik in der Demokratie sein kann. Die aber zugleich auch grundlegende Haltungen und differenzierte Meinungen nicht aus den Augen und dem Sinn verlieren möchten. Für diese eher diffuse Hörerinnenschaft stellt Hammerstein seit 2004 wöchentlich eine kritische Sendung mit eigenen und Beiträgen anderer Autor*innen zu aktuellen und manchmal auch brandaktuellen Themen zusammen. „Systemsprenger – Diktatur der Minderheit“ über Klimakleber, „Abschied vom Höllenfeuer“ zur Abschaltung der letzten Akws und „Vorschläge zur Verbesserung des Klimas“ sind einige der willkürlich ausgewählten Themen aus diesem Jahr.
Große Freiheit
Anfänglich war der gebürtige Freiburger mehr Zuarbeiter. Der examinierte Jurist arbeitete damals bereits einige Zeit für die Politikredaktion, als er von Holger Goblirsch gefragt wurde, ob er mit ihm eine neue Magazinsendung auf die Beine stellen wolle. Das von Goblirsch, einem großen Jazzfan, entwickelte Konzept hatte Zustimmung gefunden und ging noch im gleichen Jahr erstmals auf Sendung. Einige Zeit danach verabschiedete sich der Rundfunkmann in den Ruhestand und Hammerstein übernahm die Sendung. Seither führt er sie bis heute alleine weiter. Inhaltlich genießt der modisch gekleidete Autor „eine große Freiheit.“
Die beruht auf einer Abmachung mit der verantwortlichen Redaktion, „dass die Sendung von einem leicht distanzierten Blick“ auf Politik und Gesellschaft lebe. Hammerstein sucht sich die Autor*innen aus und da können dann auch einmal Beiträge kommen, die disparat zu „meiner Haltung stehen, die also das genaue Gegenteil vertreten.“ „In der gleichen Sendung“, unterstreicht er noch einmal, dass Zuspitzungen, ironische Übertreibungen und auch „mal etwas Provokatives“ wichtiger sind als „ständige Ausgewogenheit“.
Den Blick aufbrechen
Er zielt darauf ab, den „Blick aufzubrechen“, will etwas dazu beizutragen „dass wir uns, dass sich die Hörer*innen von allzu starren Dingen lösen“. Seine Beiträge versteht er daher auch „als Einladung sich die Freiheit zu nehmen, sich von sich selbst zu distanzieren“. Ein hehres Ziel, welches scheinbar doch manchmal aufgeht, wenn er die Reaktionen beschreibt, die als Zuschriften in seiner Post landen. Das reiche von „vielen schönen, liebevollen Briefen“ bis zu verärgerten und manchmal auch richtig bösen, gehässigen Mitteilungen. Bisher habe er noch niemanden angezeigt. „Wenn du aber liest,“ beschreibt er ein mulmiges Gefühl, „dass du auf einer schwarzen Liste stehst, dann ist das nicht mehr lustig“, gibt er zu Bedenken.
Sehnsucht, gehört zu werden
In den Briefen und wütenden Kommentaren von Rechten – die häufig gleich direkt an die Intendanz des BR gerichtet sind – erkennt der schlanke Mann mit dem angegrauten Bart eine „unglaubliche Sehnsucht gehört zu werden“. Allerdings hat er auch eine auffällige Veränderung bei den Reaktionen von Hörer*innen bemerkt, „wie alle Kollegen in den Medien“, die etwa 2013/2014 eingetreten ist.
„Das hat ungefähr mit der Krim angefangen“, grenzt er ein, „die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel“. Seither sei viel mehr Aggressivität zu spüren, als zuvor. „Es geht ein tiefer Graben durch die Gesellschaft“, konstatiert er. Antworte er auf solche bösen Schreiben, werde häufig das „ganze Spektrum aufgemacht“ und man lande „immer beim Paragraf 218“, seufzt er leicht gequält lächelnd. Oft beende er dann die Diskussion, weil klar sei, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung unmöglich ist.
Man muss es einfach tun!
Resignation oder gar ein opportunistischer Zynismus ist für den berufsmäßigen Skeptiker dennoch keine Option. Getreu der Überzeugung, dass „jeder kluge Gedanke, der geäußert wird“ auch eine Wirkung hat, zählt für den gebürtigen Freiburger eigentlich nur eines: „Man muss es einfach tun!“ Auch in der Ohnmacht, die er wie jeder Mensch gegenüber dem schier überwältigend wirkenden Problemen unserer Zeit manchmal verspürt, bleibt Hammerstein offen, den Menschen und Dingen zugewandt. Getrieben wird er dabei von der Sehnsucht, dass der „Umgang miteinander vielleicht wieder etwas lockerer“ wird und andere nicht – sofort und nur – als Feinde betrachtet werden.
Wach und dran bleiben
Für ihn selbst ist es entscheidend „wach zu bleiben, dran zu bleiben.“ Wenn es mit Jazz & Politik zu Ende geht, wird er wieder verstärkt in anderen Bereichen aktiv. Dazu gehören Erzählungen, Gedichte, Theaterstücke und häufig Essays. Damit hat er schon früh begonnen, denn „ich wollte schon immer schreiben“, bekennt der Jurist. Nach seinem zweiten Staatsexamen, das er in München abschloss, arbeitete er einige Zeit als Gutachter in einer Wiener Anwaltskanzlei. Daneben schrieb er Romane und begann immer häufiger auch für den Rundfunk zu arbeiten. Gleich zu Beginn seiner Karriere erhielt er den bayerischen Kunstförderpreis und ein Jahresstipendium das Landes Banden-Württemberg.
Natur – eine grüne Komödie
Anfang vergangenen Jahres hatte sein Schauspiel „Natur“, „Eine grüne Komödie“ wie es im Untertitel spöttisch heißt, am Landestheater Schwaben Premiere. Das Stück, „ein bitterböser Spaß, eine hochintelligente Blödelei“ wie die Augsburger Allgemeine schulterklopft, erzählt „von der Allmachtsfantasie des Menschen vom Bezwingen der Natur, von unstillbaren Naturgewalten, von der Natur des Menschen (…) und natürlich vom düstersten Kapitel: ihrer Zerstörung.
Es handelt von der menschlichen Fähigkeit sein Gewissen einzulullen, von Hybris im Umgang (…) und dieser komischen Sehnsucht nach der einzig echten, wirklichen Natur.“ Als Auftragswerk während der Corona-Zeit geschrieben, war Hammerstein mit der Inszenierung von Robert Teufel hochzufrieden. „Man weiß ja nie“, beschreibt er seine Nervosität im Vorfeld, „was machen die draus?“ Es liege einfach in anderen Händen, gibt er als Textlieferant zu sich „immer ein bisschen zu fürchten“. Aber das Theater in Memmingen sei „ein cooles Haus“, das Stück wurde lange gespielt und bekam durchweg gute Kritiken.
Die guten Dinge versuchen
Böse Kritiken, die es bei einigen seiner Bücher auch gegeben hat, empfindet er „naturgemäß nicht schön“, wobei es darauf ankomme „wie gerecht man eine solche Kritik findet.“ Letztlich aber „findet man immer einen Weg, sich das Böse so zu erklären, dass es nicht ganz so böse ist“, lacht der hochgewachsene Mann mit gesunder Selbstironie auf. Vielleicht wird er es auch in seiner letzten Jazz & Politik-Anmoderation so ähnlich machen und sich am Schluss mit seinem Lebensmotto von den Hörerinnen verabschieden: „Mann muss nicht unbedingt etwas vollenden, aber die guten Dinge versuchen oder versucht haben“. Ich bin sicher, von Lukas Hammerstein können wir Rezipientinnen noch manche gute Dinge erwarten – ob dann auch Jazz eine Rolle spielen wird – wer weiß?
Recherche/Infos: Wikipedia und www.lukashammerstein.de/
Beitragsfotos: Michael Scheiner
Dein Fortsein ist Finsternis — ein Brief an den Bayerischen Rundfunk
»Es ist nur ein Zufall, dass ich gerade in diesen Tagen das Buch mit dem Titel »Dein Fortsein ist Finsternis« lese. Doch nach dem Artikel von Michael Scheiner in der ›Jazzzeitung‹ stelle ich eine Verbindung zu Jón Kalman Stefánssons Roman her. Die Ankündigung, dass der Bayerische Rundfunk künftig auf die Sendung »Jazz und Politik« verzichten will, ist eine schockierende. Die von Lukas Hammerstein moderierte Sendung ist für mich nicht aus meinem persönlichen Radioprogramm wegzudenken. Nicht alleine die den Verstand und das Herz ansprechenden Textbeiträge, auch die Musikauswahl von Roland Spiegel gehören für mich zum Besten und Wertvollsten, was der Bayerische Rundfunk zu bieten hat. Jede Sendung ist eine Preziose! So muss Rundfunk doch sein: Bildend, anregend, informierend, berührend. Kluge Beiträge soll er bringen, engagierte Menschen sollen hinter den Mikrophonen sitzen oder stehen und neben leichter Unterhaltung muss es Sendungen mit einem hohen Anspruch geben. Sendungen, die Musik bringen, die nicht täglich im Äther schwebt, die uns vergessen lässt, was an nicht immer geliebten Ohrwürmern von anderen Redaktionen auf den Weg gebracht wird. Wenn solche Sendungen dann noch helfen, unsere komplexe Gegenwart zu erklären, wenn sie die Demokratie heiligen und zum Verstehen unseres Weltenlaufs beitragen, dann können Rundfunkanstalten doch eigentlich glücklich sein, sie zu senden — oder? Liebe Leute vom BR, es sind nur zwei Sender, die ich höre: Es sind Bayern zwei und der Deutschlandfunk, die sich für mich auf treffliche Weise ergänzen. Ich will nicht mehr und nicht weniger, dass ich auch in Zukunft Programme hören kann, die mich nicht unterfordern und die meine musikalischen Sinne ansprechen. Fiele »Jazz und Politik« weg, würde es düster werden, denn, um mit dem isländischen Schriftsteller zu sprechen, das Fortsein dieser wunderbaren Sendung bedeutet Finsternis. Ich gehe davon aus, dass Sie das nicht wollen.«
Ich stimme der Einlassung von Herbert Grabe voll umfänglich zu.
Es wäre ein großer Verlust für den Rundfunk, für die Demokratie und für die Kultur, wenn die Sendung tatsächlich wegfallen würde. Auch ich höre sie regelmäßig und gern.
Ich stimme Herbert Grabe ebenfalls zu: diese kluge, lebendige, ungewöhnliche, demokratiefördernde und musikalisch-poetische Sendung muss weiter arbeiten dürfen. Ich höre sie sehr gern und würde sie sehr vermissen