Drei Ausgaben des Münchener Jazz-Sommers sind coronabedingt ausgefallen. Jetzt geht das einzige Münchener Jazzfestival mit internationalem Zuschnitt an den Neustart. Oliver Hochkeppel ist seit März der neue künstlerische Leiter und sprach mit Jacinta Grundler von der JazzZeitung über das Festival und seine persönliche Vision.
JazzZeitung: Der Jazz Sommer blickt in München auf eine lange Geschichte zurück. Wie sehen Sie sich als neuer künstlerischer Leiter in dieser Tradition?
Oliver Hochkeppel: Das ist eine Tradition, die ich hochhalten will. Aber natürlich will ich auch etwas verändern, einfach weil sich die Szene und die Zeiten geändert haben, in denen der Jazz passiert. Man kann in meinen Augen kein Festival mehr machen, das nur von Namen lebt. Man muss die Leute über ein Thema einfangen. Ein Festival muss heute eine Geschichte erzählen. Deswegen hat der Jazz Sommer erstmals ein Motto – frei nach Mark Twain „Bummel durch Europa“.
JazzZeitung: Welches Konzept verbirgt sich hinter diesem Motto?
Hochkeppel: Es wird ein Rundgang, der die Eigenarten des europäischen Jazz zeigen soll. Seit etwa 30 Jahren hat sich dieser über die Entdeckung oder Wiederentdeckung seiner vielen eigenen Musiken und vor allem auch Volksmusiken zu einer eigenen Sprache entwickelt. Und zwar zu einer Sprache mit sehr vielen Dialekten.
Wenn man zum Beispiel das Wiener Trio Klaus Paier, Asja Valcic und Wolfgang Puschnig nimmt, dann hat man gleich drei österreichische Musiktraditionen – also die Akkordeon-, die Bläser- und die Streichertradition –, die in den Jazz-Spirit überführt werden. Es gibt den Nordic Sound mit dem ganz eigenen Finnischen, wie es Verneri Pohjola repräsentiert, oder ganz berühmt mit dem Norweger Nils Petter Molvær, der mit seinem ätherischen elektronischen Trompetensound eigentlich schon seit seinem ersten Album eine Marke ist. Oder New London, das Britische, was gerade wahnsinnig im Schwange ist. Es ist eben das Europa der Regionen und es ist auch das Europa der Jazzregionen. Und genau das soll dieses Festival vermitteln.
JazzZeitung: Was war die größte Herausforderung im Prozess der Programmplanung?
Hochkeppel: Das Programm steht bei mir recht schnell. Aber die Details sind dann teuflisch: Die Verhandlungen mit den Agenturen, bis die Verträge stehen, die ganzen technischen Sachen, die Hausabläufe. An so einem Festival hängt irrsinnig viel dran: Wenn du die Jazzrausch Bigband als Auftakt hast, brauchst du Ton- und Lichttechnik, dass es nur so raucht. Dann brauchst du frühzeitig die Tech Riders und die Bühnenpläne, es muss Zeitpläne geben, die Musiker müssen anreisen, du musst sie im Hotel einbuchen, du hast einen Cateringbetrieb…
Üblicherweise hat ein Festival von der Größe ein Dreivierteljahr Vorlauf und wird von drei Hauptamtlichen gemacht. Und das hatten wir nicht. Meine Vorgängerin Katarina Ehmki ist in der Übergangszeit auch noch krank geworden. Wir, das heißt ich und music manager Jessica Mohr, ohne die es überhaupt nicht gehen würde, mussten uns also selbst zurechtfinden. Und hatten nebenbei ja auch noch normale Monatsprogramme für Mai und Juni zu machen neben all dem anderen, was wir erst lernen mussten – das war nicht wenig Arbeit und nicht gerade viel Vorlauf für so ein Festival.
JazzZeitung: Seit März haben Sie bereits einige Veränderungen im Night Club in die Wege geleitet. Was wollen Sie alles anpacken – und was sind erste Stimmen dazu?
Hochkeppel: Ich habe ein paar Sachen gleich ein bisschen geändert: Dass die Monate jetzt programmatische Titel haben; dass auch die Hotelgäste Eintritt zahlen müssen, damit es da nicht so einen Durchgangsverkehr gibt; außerdem eine Karte mit ermäßigten Getränken bei den Jazzkonzerten. Die Settings müssen sich ein bisschen verbessern. Das betrifft in Zukunft vielleicht auch die Anlage, die nicht schlecht ist, aber eben auch verbesserungsfähig, und so weiter und so fort. Die Musiker sollen sich willkommen und zuhause fühlen und ich hoffe, dass sie jetzt auch nach und nach wieder mehr Publikum kriegen. Die Reaktionen von allen Seiten nach den ersten Konzerten unter diesen Vorzeichen waren jedenfalls sehr positiv.
JazzZeitung: Wie nahtlos war für Sie der Perspektivenwechsel vom Konzertkritiker zum künstlerischen Leiter? Was ist das für ein Gefühl, jetzt auf der anderen Seite zu stehen?
Hochkeppel: Ich war nie nur der stets auf der anderen Seite stehende Journalist. Weil ich dieses schwache Pflänzchen Jazz zu sehr mag und ich ihn extrem unterrepräsentiert und unbeachtet finde im Vergleich zu dem, was er kulturell darstellt. Als Kurator des BMW Welt Jazz Awards und bei Konzertreihen etwa im Derag Living Hotel Frankfurt habe ich die Veranstalterseite schon kennengelernt. Es ist natürlich nochmal eine andere Herausforderung, so ein Festival zu schmeißen und einen Club zu leiten, auch wenn es kein tägliches Programm ist. Aber das ist ja auch gerade das Spannende und Schöne. Ich habe früher immer scherzhaft gesagt: „Wenn ich mal richtig im Lotto gewinne, dann mach’ ich einen Jazz-Club auf, damit die Kohle wieder wegkommt.“ Jetzt hab’ ich dafür gar nicht im Lotto gewinnen müssen.
JazzZeitung: Was ist das Besondere am Night Club im Bayerischen Hof und was macht ihn zu so einer guten Jazzlocation, dass es Ihnen so ein großes Anliegen ist, ihn wieder neu aufleben zu lassen?
Hochkeppel: Wir sind jetzt eine 1,6-Millionen-Stadt – und in der ganzen Metropolregion sind es dreieinhalb Millionen. Und dafür gibt es einen Jazzclub mit täglichem Programm, eine Jazzbar mit täglichem Programm und den Night Club mit zweimal die Woche Jazzprogramm. Und ansonsten gibt es ein paar Monatsreihen in der Seidlvilla und ein paar Jazzreihen in den Bürgerhäusern in den Outskirts. Das ist eigentlich erbärmlich. In so einer Riesenstadt müsste es für diese Musik ein ganz anderes Podium geben. Das ist schon mal der erste Grund.
Und dann mag ihn den Laden einfach auch sehr! Der hat Flair. Allein von der Lage her – mitten im Stadtzentrum – kannst du’s dir nicht besser malen.
JazzZeitung: Was verbindet Sie persönlich mit dem Night Club?
Hochkeppel: Ich habe im Night Club in 30 Jahren wirklich legendäre Jazzkonzerte erlebt. Ich hab da Allein sechsmal Mike Stern, glaube ich, Dino Saluzzi, Oregon, Hank Jones, die ganzen Brasilianer, Ivan Lins… Mein allererstes Konzert war, soweit ich mich erinnere, 1992 Courtney Pine, da war gerade die Hochphase des Acid Jazz. Da waren in dem Laden 300 Leute, du konntest dich nicht mehr rühren, und draußen standen nochmal 300. So voll muss es natürlich gar nicht sein, aber es wäre schon schöner, wenn’s mal voller würde als die 30 oder 40, die jetzt kommen. Das muss auch wieder sein. Und das wird auch wieder passieren, da bin ich ganz zuversichtlich.
JazzZeitung: Eigentlich haben Sie Geschichte und Philosophie studiert. Wie kam es, dass Sie beruflich in der Jazzszene gelandet sind?
Hochkeppel: Man muss sagen, es war schlichtweg Angebot und Nachfrage. Ich bin eigentlich das Gegenteil vom Fachidioten, ich bin so der Universaldepp. Mich hat einfach immer alles interessiert. Der Wiener Kabarettist Gunkl sagt immer so schön: „Ich kenn mich gern aus.“ Und das trifft auch auf mich zu.
Und musikalisch gesehen… Mein Vater war ein großer Jazzer und ich kann mich an keine Zeit meines Lebens erinnern, wo zuhause nicht Count Basie lief oder Duke Ellington. Count Basie war der Hausgott. Und so bin ich schon immer mit Jazz aufgewachsen. Über meine weit älteren Halbbrüder aber auch Ende der 70er, Anfang der 80er mit Progressive Rock. Und dann hab ich noch klassisch Klavier gelernt. Also das Beste der musikalischen Welten, behaupte ich jetzt mal. Deshalb war ich musikalisch immer breitbandig und interessiert.
Dann war ich aber auch ein Filmfreak und bin viel ins Kino gerannt. Bei der Zeitung habe ich damals mit Kino-Tipps in der Region angefangen. Nachdem die ersten erschienen waren, hat mich die Feuilleton-Redakteurin angerufen und gefragt, ob ich auch über was anderes schreiben könne. Und so ging das unter anderem mit dem Jazz los. Da mir das unglaublich Spaß gemacht hat und heute immer noch jeden Tag Spaß macht, warum nicht? Und eins allein wäre mir immer zu einseitig gewesen, deshalb schreibe ich ja auch noch über Kabarett und was sonst noch anfällt.
JazzZeitung: Wie wird der Jazz Sommer als einziges internationales Jazzfestival von außen wahrgenommen? Hat München Relevanz für internationale Jazzer? Und welche Rolle spielt der Jazz für München?
Hochkeppel: Natürlich hat München Relevanz. Wenn auch etwas zwiespältig. In den 80ern, als es auch europäisch losging, war München kurz ein Schnittpunkt in Deutschland, da sind viele hier hängengeblieben, Mal Waldron, Peter O’Mara, einige Amerikaner… Das war ein wichtiger Nukleus. Nicht zuletzt für die Labels. Die auch international wichtigsten Independent Jazz-Labels entstanden und sitzen bis heute in München. Manfred Eichers ECM, Siggi Lochs ACT, Matthias Winckelmanns Enja.
Es gab immer einen international wichtigen Club, früher das „Domicile“, danach die „Unterfahrt“, die sicher vom Programm her zu den fünf besten europäischen Clubs gehört.
Und wir haben auch immer viele gute Musiker gehabt. Das Problem ist, dass es eben kaum mehr Locations für sie gibt. Das hat verschiedene Gründe: Weil München sich immer als Stadt der Hochkultur verstanden hat, zu der man lange Zeit den Jazz nicht rechnete, obwohl er in meinen Augen längst die zweite Klassik ist. Weil das Preisniveau so hoch ist und sich vieles schwerer finanzieren lässt – ein Jazzclub mit Livemusik ist bei den hiesigen Mieten und Unkosten ohne Förderung nahezu unmöglich zu betreiben.
Und in der internationalen Wahrnehmung gab es – bis vor kurzem und abgesehen vom Disco-Sound – nie eine musikalische Entwicklung, wo man gesagt hätte: „Das kommt aus München“ oder „das ist Munich-Sound“. Aber das gibt es jetzt: den technoiden Jazz der Jazzrausch Bigband, von LBT oder Ark Noir. Dieses Feld war jetzt wirklich mal eine im Wesentlichen auch von München mitgeprägte Entwicklung und Erfindung. Die Jazzrausch Bigband – meine Eröffnungsgäste beim Festival mit einer eigens dafür geschriebenen Programm-Premiere – ist wohl im Moment die weltweit erfolgreichste Big Band, schon allein wegen der nahezu 120 Auftritte im Jahr. Da gibt’s keine andere Big Band, die so viel spielt. Weltweit.
JazzZeitung: Ein kurzes Schlusswort zum Jazz Sommer?
Hochkeppel: Ich glaube, das wird eine sehr spannende Reise – und zwar extrem genussvoll! Es ist ja so ein Mythos, dass der Jazz immer nur schwierig und verkopft ist – nein, da wird man schon vom Start weg wirklich mitgerissen und emotional mitgenommen, und es wird auch zum Feiern und zum Abfeiern sein. Ich hoffe, dass das Wetter nicht zu gut wird. [lacht] Damit nicht alle rauswollen, sondern auch gern mal zum Jazz da rein.
Vom 24. bis 29. Juli 2023 lädt der Jazz Sommer im Night Club zum „Bummel durch Europa“ ein. Weitere Informationen und das Programm gibt es unter https://www.bayerischerhof.de/de/erleben-geniessen/entertainment/entertainment-vom-feinsten/night-club.html.
Beitragsbild: Die Jazzrausch Bigband, zu erleben am 25. Juli in München. Foto: Marc Wilhelm
Nice!
Früher hatte der Bayerische Hoff immer über die Jazzzeitung Tickets verlost.
Kommt das auch wieder?
Leider besteht die Kooperation in dieser Form nicht mehr. Liebe Grüße