Elbjazz 2023: Jazz & Dance unter der Diskokugel

Gleich vorweg: Auch das diesjährige Hamburger Elbjazz war wieder ein voller Erfolg. Bei Temperaturen bis zu 28 Grad und herrlichem Sonnenschein am 10. und 11. Juni waren die wettertechnischen Voraussetzungen optimal, vorausgesetzt man hatte Sonnencreme und Kopfbedeckung dabei. Als vorausschauende Maßnahme des Veranstalters wurden kostenlose Trinkwasserstellen aufgestellt, die angesichts der mittlerweile doch recht hohen Getränkepreise an den Ständen absolut sinnvoll waren. Ebenfalls hilfreich die Festival App, die über Programmänderungen, etwa den Einlassstand oder Staus an der Schiffbauhalle informierte.

Bemerkenswertes Programm für ein Jazzfestival

Auf den ersten Blick war das Elbjazz Programm schon ein wenig ungewöhnlich. Internationale Jazzgrößen, respektive typische Jazzheadliner, suchte man dieses Jahr vergebens. Dafür traten Bands wie Dope Lemon mit Mastermind Angus Stone oder das Unknown Mortal Orchestra aus Neuseeland auf, die alle wenig, bzw. gar nichts, mit Jazz am Hut haben, das Publikum trotzdem enthusiasmierten, welches zum Teil szenemäßig mit Weißwein im Glas und Icepack (!) anstieß, ausgelassen tanzte und feierte. Wahrscheinlich ist das Line-up ohnehin für die meisten Besucher zweitrangig. Der Fokus liegt offensichtlich auf einer entspannten Atmosphäre und guter Laune, kombiniert mit einem vordergründig ansprechenden, aber solide aufgestellten Programm. Für großes Schmunzeln sorgte am zweiten Tag auf der Hauptbühne die franko-karibische Bassistin und Vokalistin Adi Oasis, als sie den Refrain von Crystal Waters‘ Song „Gypsy Woman“ – „she’s homeless as she stands there singing for money“ – aus gegebenem Anlass in „she’s pregnant…“ umdichtete!

Auf den zweiten Blick gab es viele Überraschungen, die das Jazzherz höher schlagen ließen. So z. B. der grandiose Auftritt von Cécile McLorin Salvant am ersten Tag. Trotz Feierlaune verstummte das Publikum fast, als sie, filigran intonierend, den Standard „Somewhere over the Rainbow“ vortrug – ganz großes Kino und sicherlich auch der Festivalhöhepunkt am Freitag. Die ghanaische Band Sounds of Joy musste leider ohne ihren Frontmann Alogte Oho auskommen, bot nichtsdestotrotz Afro-Funkjazz vom Allerfeinsten. Kurz danach in der Elbphilharmonie das Tomeka Reid Quartett mit Mary Halvorson, die am Abend in der Hauptkirche St. Katharinen noch mit ihrem Mann Tomas Fujiwara im Duo auftrat.

Qual der Wahl – welches Konzert kann man erleben

Die verschiedenen Spielstätten beim Elbjazz: Das Blohm + Voss Gelände beherbergt Open Air die Hauptbühne, Am Helgen und einen Jazz Truck, sowie die Schiffbauhalle. Alles in allem fanden hier etwas mehr als die Hälfte aller Konzerte statt. Der Rest verteilte sich auf die Elbphilharmonie, St. Katharinen und die HFMT Young Talents Bühne, wo wir gleich bei der Qual der Wahl eines Festivals sind. Möchte man ein Konzert in der Elbphilharmonie oder gar in St. Katharinen besuchen, muss man die nicht gerade triviale Wegezeit von Blohm + Voss per Bus, Barkasse oder zu Fuß durch den alten Elbtunnel einkalkulieren. Damit erledigen sich dann einige Konzerttermine auf den Open-Air-Bühnen, da man es, einmal runter von Blohm + Voss, kaum noch schafft wieder zurück auf das Festivalgelände zu kommen. Auch die anfängliche Begeisterung für die Elbphilharmonie hat dieses Jahr nachgelassen. Konzerte wie z. B. das Tomeka Reid Quartett waren nur zu 40 Prozent gebucht. Das nächste Problem sind die Konzerte in der Schiffbauhalle. Einmal drin ist alles gut, wenn man zwischendurch aber ein Open Air Konzert besuchen möchte, wie z. B. das Michael Wollny Trio auf der Bühne Am Helgen, hat man am Abend dann kaum noch eine Chance wieder hinein zu kommen, geschweige denn einen guten Platz in der bestuhlten Halle zu bekommen.

Mehr Vielfalt geht nicht

Ansonsten waren beide Tage für die Besucher randvoll mit fantastischen Gigs. Die Vielfältigkeit des Programms hat letztlich überzeugt. Nach Lisa Wulff mit ihrem Quartett trat die NDR Bigband mit Omar Sosa auf. Danach gab die gebürtig aus Veddel stammende Sängerin Derya Yildirim, ungemein virtuos an der Saz, ihr Festivaldebut, während Cherise, nach der Verleihung des Hamburger Jazzpreises an den Schlagzeuger Dirk Achim Dhonau, in der Schiffbauhalle konzerttechnisch den zweiten Tag einläutete. Am Tag zuvor traten dort Salomea, das Jakob Manz Project und Camilla George auf, am Samstag folgte dann noch das Martin Tingvall Trio und last not least Nils Wülker mit seiner Band, bei der sogar die Stühle abgebaut wurden, damit so viele Fans wie möglich das Konzert live und nicht vor der Halle auf der Leinwand miterleben mussten. Währenddessen gab sich Am Helgen José James die Ehre, der mit seinem aktuellem Erykah Badu Programm aufwartete und damit für sensationelle Stimmung sorgte. In St. Katharinen trat gleichzeitig zum Tingvall Trio und José James der Pianist Vadim Neselovskyi auf, sowie Steve Turre in der Elbphilharmonie – wie bereits erwähnt – die Qual der Wahl!

Vor der Schiffbauhalle hatten die Labels Act und Skip Records einen Stand, bei denen nach den Konzerten das Michael Wollny und Martin Tingvall Trio alle Signierwünsche der Fans auf LP oder CD erfüllten. Das gehört auch mit dazu und rundet das Ganze ab.

Was bleibt ist die Lust auf das nächste Elbjazz

Den ersten Abend beschloss die Kultband Meute mit gnadenlosem Jazzwumms ausgelassen auf der Hauptbühne, während Lambert parallel mit minimalistischem Pianospiel in der Elbphilharmonie auftrat. Den krönenden Festivalabschluss bestritt schließlich die Jazzkantine, boom boom lässig und gechillt u. a. mit ihrem Song „Respekt“ … ist unsere Aufgabe – ein mehr als passendes Abschlussmotto, das die Vielfalt des diesjährigen Elbjazz und das Miteinander von Publikum, Fans und Musikern eindrücklich widerspiegelte.

Unterm Strich war das Elbjazz einmal wieder eine abwechslungsreiche, auch abseits des Jazz absolut gelungene Veranstaltung. Und wer nach dem offiziellen Programm noch nicht genug hatte, konnte im Anschluss bei DJ Sets von Pari und Dusty Donuts im Mojo Café oder am Samstag bis zum Morgengrauen zur Elbjazz Aftershow im Mojo Club abfeiern. Danach noch auf den Fischmarkt – mehr geht nun wirklich nicht. Oder … na, einer geht noch: Pastor Frank Engelbrecht zelebrierte zusammen mit Ulrike Haage am Klavier und Daniel Stickan an der Orgel den traditionellen Jazzgottesdienst am Nachmittag (ein wenig Ruhe nach all den Gigs und Feiern muss ja schließlich auch sein) und beschließt so das diesjährige Elbjazz.

Text: Thomas J. Krebs

Beitragsbild: Das Tingvall Trio beim Elbjazz. Foto: Thomas J. Krebs

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