Chorleiter und Bühnenderwisch: Jacob Collier beim Tollwood-Festival in München

Jacob Collier passt in die Zeit. Er wirkt wie die künstlerische Verkörperung einer Ära der Optionen. Der junge Brite rennt auf die Bühne des Tollwood Musikzelts, sprintet zu den Instrumenten und wechselt sie oft und präzise choreografiert. Er spielt eine Handvoll davon ziemlich gut, vor allem Klavier und Bass, außerdem Gitarre und Percussion, flankiert und sekundiert von einer hervorragend stilflexiblen Band. Er packt viel in die zwei Stunden Konzert, Funk und jazzgetönten Soul, dunkle Club-Beats und helle Latin-Passagen, Freddie-Mercury-Pathos und Singer-Songwriter-Intimität. Die Rasanz der Opulenz erinnert strukturell ein wenig an Kulturtechniken, die die Mobiltelefonie in die Welt gebracht hat, das Wischen vom einen zum anderen, geklammert über die Plattform, die die Vielfalt zur Verfügung stellt.

Magische Zusammenklänge

Ein wesentlicher Unterschied ist aber, dass Collier nicht nur vom Publikum etwas will, sondern ihm auch viel zurückgibt. Zu den magischen Momenten des Abends gehören neben hinreißend privaten Songs wie „The Sun Is in Your Eyes“ die Passagen, wo sich der hyperaktive Bühnenderwisch in einen brillant intuitiven Chorleiter verwandelt, der die Menschen im Zelt zu einer Stimme zurückführt, von der sie wahrscheinlich gar nicht wussten, dass sie sie verloren hatten. Mehrmals bringt er mit einfachen Armbewegungen das Publikum dazu, Harmonien zu singen, changierende Texturen, akkordische Motive, die aus dem Flow des kollektiven Moments eine beglückende Kraft entwickeln.

Auch das passt in die Zeit. Denn auf diese Weise werden die Singularitäten, die die einzelnen Menschen im Alltag in die Atemlosigkeit der eigenen Besonderheit stürzen, mit fröhlich juveniler Selbstverständlichkeit überbrückt. Das ist ergreifend, das singende Zelt im Fließen einer nicht durch vordergründige Semantik verstellten, im Zusammenklang letztlich urtümlichen Musik. Jacob Collier hat immens viele solcher formenden Ideen im Kopf. Die Neugier treibt ihn weiter, auszuprobieren und einzuarbeiten, was fasziniert.

Aber er ist eben auch aus seinem Jugendzimmer, in dem er die ersten, vor einem knappen Jahrzehnt schon hochkomplexen Texturen und Arrangements im Selbstversuch gebastelt hatte, auf die Bühnen getreten, weil die eigentliche Kraft der Musik in der Gemeinsamkeit der Kommunikation entsteht. Und das wiederum ist seine Botschaft über die Zeitzeichen hinaus: Nützt die Tools, die die Gegenwart euch bietet! Kultiviert eure Neugier! Aber vergesst nicht, dass Energie und Glück und letztlich die Freiheit des Schaffens erst im Zusammenklang mit anderen entstehen!

Beitragsbild: Jacob Collier auf dem Tollwood-Festival. Foto: Ralf Dombrowski

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