Für die beiden Protagonisten war es wohl eine noch größere Überraschung als für ihr musikalisches und Publikumsumfeld. Für ihr im Selbstverlag produziertes und vertriebenes Album „Two Geese by the River“ haben der im Spessart lebende Holzbläser Burkard Kunkel und der Wahl-Frankfurter Bob Degen am Piano einen Platz auf der Bestenliste (2. Quartal 2023) vom Preis der deutschen Schallplattenkritik ergattert. Wohlverdient, mag man schon ins Horn stoßen, bevor die musikalischen „Gänse“ schnatternd gewürdigt worden sind. Dafür spricht ein kurzer Rückblick auf das vor neun Jahren erschienene Duo-Album „Down By The Harbour“. Selbiges bewegt sich in seiner lyrischen Intensität und musikalisch-künstlerischen Qualität auf dem gleichen hohen Niveau wie das Veröffentlichte.
Die Idee zum neuen Album, schreibt Kunkel in den knappen Linernotes, ist bei einem Italientrip im Frühjahr 2022 entstanden, wovon auch einige der Fotos zeugen. Die zeigen die beiden noch gut verpackten Musikerfreunde in aufbrechender Natur, Kunkel mit dem selten im Bereich des Jazz zu hörenden Bassetthorn in der Hand. Erneut sind einige der zwischen drei und sieben Minuten langen Stücke gemeinsam entwickelt worden, drei hat Degen und fünf Kunkel beigesteuert.
Lyrische Kathedralen und Seen
Nahezu beschwingt betritt Degen „Catedral B.“ (B. steht für Burgos), während ein feiner Hauch die Anwesenheit Kunkels mehr erahnen als hören lässt. Andächtig setzt die Bassklarinette ein, geleitet von einem melancholischen Klaviermotiv schwingt sie sich auf und erzählt mit expressivem Staunen von der Erhabenheit und Schönheit des Kirchenraums. Es ist eines der längsten und intensivsten Soli des Albums, dem sich der Pianist mit einem blueserfüllten kurzen Tanz auf seinen Tasten anschließt.
Im anschließenden „Memoria a Como“ hängt der Bläser auf dem Bassetthorn seinen Erinnerungen an den Aufenthalt am Comer See nach. Dass das Herz eines Bären („The Heart of the Bear“) nicht nur stark und mutig ist, sondern auch sehr zarte und sanfte Seiten hat, lässt sich im wunderbar entwickelten vorletzten Stück nachhören. Darauf spielt der Holzbläser neben der Bassklarinette auch die Shrutibox. Auf dem letzten Stück, „Paris – St. Rochus“, kommt zusätzlich die Zither dazu, die Kunkel mit der linken Hand spielt, während er mit der rechten sein Bassetthorn bläst, wunderschön umrahmt und aufgefangen von Degens lyrischen Gedankengängen.
Wellen, die weiterziehen
Die weißen Gänse auf dem Cover spielen in zweierlei Hinsicht tatsächlich eine Rolle. Sie stehen für Wachsamkeit, eine Eigenschaft, die in jedem Klang und Ton der beiden Musiker mitschwingt, und für eine gewisse Beharrlichkeit, die jeder schon einmal verspürt hat, der versucht hat sich mit einer Gans anzulegen. Zudem lebt Kunkel nahe am Wasser, das erste Album weist bereits viele Bezüge zu Flüssen und Wasser auf, und bekennt sich auch dazu, dass „Wasser für mich generell wichtig (ist), egal ob Meer oder Fluß, Quelle oder See“. „Das Weiterziehen der Wellen sind für ihn ein positives Bild. Stillstand ist keine Option, Weitermachen die Perspektive“, ist in der Begründung für den Preis der deutschen Schallplattenkritik zu lesen. Über Bob Degen urteilt die Jury: „Wer Bob Degen am Klavier hört, fragt sich zuweilen, warum er nicht jemand wie Keith Jarrett geworden ist. Diese schwelgerische, oft pointillistisch reduzierte Lyrik hätte mehr verdient.“
Mit dem Preis bekommt das Duo hoffentlich etwas mehr von der Aufmerksamkeit, die sie gegenseitig für ihr Spiel aufbringen, das so gar nichts von Geläufigkeit hat. Vielmehr ist es von einer tiefen Achtung, Respekt, aber auch von einem gemeinsamen Ringen um den stärksten Ausdruck durchzogen. Dabei kommt auch ihr schräger Humor nicht zu kurz, wie Titel wie „Roadrunner meets Obelix“ oder „Two Parrots meet Benny“ erkennen lassen. Eine geheimnisvolle Hommage an Christian Morgenstern („CMS“) hat Degen verfasst, aufgerauht vom dunklen Spiel des Multiinstrumentalisten vom Main.
Burkard Kunkel & Bob Degen, Two Geese By The River, triangolo LC 2150
Bestellung: Burkard.Kunkel@gmx.de
Beitragsbild: Kunkel/triangolo