Frühling, Freude, Freiluftbühne: Der 38. Jazzfrühling in Kempten

„Gute Musik dutzendfach“ versprach Kemptens Oberbürgermeister zur Eröffnung des 38. Kemptener Jazzfrühlings auf dem Rathausplatz ohne Übertreibung. Standen doch 55 oft parallele Auftritte auf 23 Bühnen in der und um die Stadt im Allgäu – eine davon auf dem Nebelhorn – für die acht Tage um den 1. Mai im kostenlosen Programmbuch des veranstaltenden Kleinkunstverein Klecks. Wie immer waren auch die Eröffnungskonzerte im Freien umsonst.

Zum Auftakt spielte auf der Freiluftbühne gegenüber dem spätmittelalterlichen Rathaus bei schönstem Frühlingswetter das Landes-Jugendjazzorchester Bayern unter der Leitung von Harald Rüschenbaum. Der ließ nicht nur seine „Landjugend“, sondern auch gleich den ganzen Rathausplatz den Anfangston einsingen. Das mitreißend und professionell gespielte zweistündige Programm reichte von Count Basie über Dizzie Gillespie, John Coltrane, Weather Report und Jaco Pastorius bis in die Gegenwart mit Walter Langs „Ocean 11“ und schloss A-cappella-Versionen des fünfköpfigen Vokalensembles des LJJB ein, das in seiner jetzigen Besetzung und mit Herz und Emphase der Big Band ein Alleinstellungsmerkmal unter den Jugendorchestern verschafft. Diese Eröffnung war zugleich eine gelungene Werbung für den Jazzfrühling und dieses Orchester. Für die nächsten 120 Minuten übernahm dann die Express Brass Band aus München die Bühne, nachdem sie in der Zwischenzeit musizierend durch die Altstadt gezogen war, ganz wie es ihrem Leiter Wolfi Schlick vor fast 25 Jahren vorschwebte.

Lange Tradition und neue Formate

Überhaupt wird beim Jazzfrühling Tradition groß geschrieben. Nicht nur, dass dieses nun seit 1983   bestehende, weitgehend regionale Jazz-Festival das drittälteste in Bayern ist, es haben sich im Laufe der Zeit auch bestimmte Reihen und Spielorte etabliert, die den Zuhörern Orientierung geben in dem umfangreichen und weit gefächerten Programm. Aber es gibt auch zeitgemäße Neuerungen wie das neue Format „Women in Jazz“, das die Gruppen SiEA, Jazzbaby! (mit Stefanie Boltz), Alma Naidu, Karoline Weidt Quartett, Anna Emmersberger EXP und Stephanie Lottermoser in die KulturWIRtschaft brachte. Manche beliebte Bands kehren öfter nach Kempten zurück, andererseits überraschen die Programmmacher immer wieder mutig mit aufstrebenden Talenten neben etablierten Stars unter ihren internationalen Glanzlichtern bei den Hauptkonzerten im Stadttheater.

Gruppen aus England und Norwegen

Weitgehend unbekannt dürfte dort am ersten Abend den meisten Besuchern das junge Londoner Talent-Kollektiv „seed.“ gewesen sein. Der Altersdurchschnitt lag wohl kaum über dem des LJJB. Allerdings kam die Altsaxophonistin und Komponistin Cassie Kinoshi ohne ihre bewährten Mitstreiter Chelsea Carmichael und Theon Cross, dafür mit vier Musiker*innen, die merklich zum ersten Mal mit der Band auftraten. Und so trug dann die Neue Anna Carter etwas verloren meist als Zuhörerin schwer an ihrer Tuba, während die anderen Mitglieder des Tentetts in tollen Kompositionen zum Teil Solos auf höchstem Niveau spielten, aber nur selten so miteinander, wie man es von den Veröffentlichungen kennt. So kann ein sehr gutes Konzert irgendwie doch unbefriedigend enden: Diese Saat ging leider nicht auf. Punkt!

Nächster Abend, gleiches Haus, im kleineren TheaterOben: Diesmal stimmt aber wirklich alles im wieder ausverkauften Saal. Und so durfte man ein von den ersten leisen Tönen von Soprano und Bass an ergreifendes und beglückendes Konzert erleben. Der norwegische Bassist Arild Andersen (77) hat in seiner Group seine Lieblingsmusiker der mittleren Generation um sich geschart. Zusammen mit Saxophonist Marius Neset, Pianist Helge Lien und Schlagzeuger Håkon Mjåset Johansen entstand geradezu eine Paradebeispiel von dichter Gruppenimprovisation. Der warme Klang des Basses harmonierte bestens mit dem melodischen Schlagzeugspiel, Lien und Neset sorgten für die nötigen expressiveren Töne in einem insgesamt sehr melodischen, manchmal fast folkloristischen Programm. Ein absoluter Höhepunkt!

Beitragsbild: Die Lehrer Big Band Bayern beim 38. Kemptener Jazzfrühling. Foto: Godehard Lutz

Text & Fotos: Godehard Lutz

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