Deutscher Jazzpreis. Foto: Oliver Hochkeppel

Desaströs in vielerlei Hinsicht: Der Deutsche Jazzpreis 2023

Ein Kommentar von Oliver Hochkeppel

Im vergangenen Jahr, bei der zweiten, erstmals in Bremen an die jazzahead! gekoppelten Verleihung des Deutschen Jazzpreises, war man im Vergleich zur zähen Halb-Corona-Premiere in vier Clubs auf einem guten Weg. Umso unbegreiflicher, wie man jetzt von der Straße gerutscht ist. Als erschütterter Beobachter weiß man gar nicht, wo anfangen mit der Mängelliste dieser Veranstaltung.

Beginnen wir mit dem Offensichtlichsten. Rein handwerklich war die Veranstaltung dilettantisch. Man erwartet beim Deutschen Jazzpreis sicher nicht die Halftime-Show des Super Bowl, aber eine derartige Aneinanderreihung von Pannen und Peinlichkeiten leistet sich nicht mal mehr der schlichteste Blogger-Podcast. Von der hanebüchenen Live-KI-Übersetzung von Claudia Roths doch lange vorbereitetem Grußwort und falschen Titelansagen reichte das über die nie funktionierende Verteilung der (größtenteils in Floskelsprache erstickenden) Laudationes auf zwei Sprecher und ein improvisierendes Quartett bis zu fehlenden Inserts oder hakender Drehbühne. Bis auf das starke Finale mit dem Lebenswerk-Preis an Joachim und Rolf Kühn mit Till Brönner als Überraschungslaudator war so gut wie jede Emotion sorgsam aus dem Ablauf entfernt worden – also das, weswegen ein nicht nur aus Fachleuten bestehendes Publikum eine Preisverleihung anschaut. Die durchaus engagierten Moderatoren Hadnet Tesfai und Max Mutzke konnten einem – obwohl selbst nicht fehlerfrei – leidtun. Dieses Fremdschäm-Festival wirkte, als hätte es nie eine Probe gegeben.

Viele Kategorien, wenig Wertschätzung für eigene Szene

Dass es am Handwerk fehlte, ist schlimm genug. Schlimmer noch ist das konzeptionelle Versagen. Das beginnt mit dem immer noch einzigartigen, in keinem anderen Land der Welt üblichen Ansatz, die meisten Preis-Kategorien zwei Mal zu vergeben, „national“ und „international“. Was nicht nur 31 Kategorien ergibt, die die Veranstaltung von vorneherein auf Kosten von Spannung und Emotion aufblähen. Sondern vor allem die eigene Szene entwertet. Nach außen vollkommen unverständlich, ja irrsinnig wird das, wenn neben dem Amerikaner Jeff Parker für „Saiteninstrumente international“ der (freilich in Berlin lebende) Amerikaner Kurt Rosenwinkel für „Gitarre national“ und bei Klavier/Keyboard international der Amerikaner Jason Moran und national der momentan vor allem in New York werkelnde Österreicher Elias Stemeseder gewinnt.

Bei der Live-Musik wählte man mit sicherer Hand das aus, was nicht als Vierminüter geht. Und das dann aber auch noch jeweils zwei Mal. So gut die Improvisationen von Cansu Tanrıkulu und ihrer hochkarätigen Band sind, sie sind eine etwas konzertante Langstrecke, keinesfalls ein Gala-Catcher. Und es wäre sicher auch nicht übergriffig gewesen, wenn man als Veranstalter von Terri Lyne Carrington und Lakecia Benjamin statt Verfrickeltes im ungeprobten ad-hoc-Quartett etwa das „Amazing Grace“ im Duo gewünscht hätte, mit dem Benjamin in Burghausen Jubelstürme entfachte.

Proporz sticht musikalische Qualität

Schaut man sich die Nominierten- und Siegerlisten an, bekommt man außerdem wieder einmal den Eindruck, dass es in Deutschland nur in Berlin und Köln Jazzszenen gibt, und auch da nur avantgardistische. Was wohl auch mit der Jurybesetzung zusammenhängt. Geurteilt wird beim einen wie beim anderen offensichtlich nach Proporz, Politik und Zeitgeist. Sicher sind Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung wichtig und ehrenwert. Aber der Deutsche Jazzpreis müsste sich nun einmal zuvorderst um musikalische Qualität kümmern und die auszeichnen, an denen im vergangenen Jahr künstlerisch kein Vorbeikommen war. Stattdessen wird mit der – natürlich – in Berlin lebenden brasilianischen „Transmedia-Künstlerin“ Sanni Est jemand zur „Künstler:in des Jahres“ gekürt, von der selbst auf der Pressetribüne (wo nebenbei bemerkt trotz aller „internationalen“ Bemühungen kaum ausländische Pressevertreter anwesend waren) kaum einer je gehört hatte.

Noch vieles wäre zu sagen, aber kommen wir zum deprimierenden Fazit. Gingen einst die undotierten „Echo“-Verleihungen meist populistisch an der Szene vorbei, so ist man jetzt beim Deutschen Jazzpreis ins andere Extrem verfallen, man geht nämlich an jedem Publikum vorbei. Er ist in dieser Form schlicht kontraproduktiv. Jeder Jazzkenner weiß, dass wir kein Problem mit Musik und Musikern haben. Von beidem gibt es mehr Gute als je zuvor – in Deutschland wie auf der ganzen Welt. Wir haben aber ein sich immer noch verschärfendes Problem mit der Vermittlung dieser unserer Musik. Wenn eine Veranstaltung wie der Deutsche Jazzpreis dann also die ältesten Klischees über die Abgehobenheit dieser Musik und – wie schon Claudia Roth in ihrem Grußwort – die Opferrolle ihrer Schöpfer bedient, wenn sie selbst Interessierte eher abstößt als anzieht, dann ist das ein Schlag ins Gesicht derer, die jeden Tag den Stein der Vermittlung hochrollen. Dann sollte man es besser lassen und einen gerechteren und nachhaltigeren Weg finden, die Musiker zu alimentieren. Die inzwischen inflationäre Preis-Flut kann ohnehin kein Ersatz für eine Strukturförderung sein.

Text & Foto: Oliver Hochkeppel

 

 

Der tägliche
JazzZeitung.de-Newsletter!

Tragen Sie sich ein, um täglich per Mail über Neuigkeiten von JazzZeitung.de informiert zu sein.

DSGVO-Abfrage

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

4 Kommentare

  1. Klare Worte meintwegen, aber maßlos übertrieben.
    Geht schon los bei Tansu& ihre „Band“: sie trat mit dem Bassisten Nick Dunston im Duo auf (und ich war froh, dass nicht stattdessen ein „Gala-Catcher“ rummmachte) Beim „improvisierenden Quartett“ zählte ich nur 3 Leute (gut und unaufdringlich, ein Lückenfüller im besten Sinne). War der Autor überhaupt anwesend?
    Der Ansicht, dass bei den Preisträgern in erster Linie am „Publikum verbeispielende“, „abgehobene“ „Opfer“ bedacht wurden, kann ich mich ausdrücklich nicht anschließen: Natalie Greffel, Matthias Schriefl, Holly Schlott, Baby Sommer, Insomnia Brassband, Elias Stemeseder, Potsa Lotsa u.a. waren alle schon in unserem Dorf und haben das Räumchen vollgemacht und alle fandens super. Die preisgekrönten Alben würde ich auch eher in der Richtung gut und allgemeinverträglich verorten. Irgendwie hat mir da eher insgesamt was „avantgardistisches“ gefehlt.
    Anschließen möchte ich mich hierbei: Die verworrene Abgrenzung national/international fand ich auch verwirrend und unnötig. Und für den Deutschen Jazzpreis scheint sich außer den Nominierten keiner so richtig zu interessieren. Gedanken machen, wie es damit weitergeht ist also auf jeden Fall nötig.

  2. Dem Autor scheint die journalistische Diatanz zu fehlen: Die Kritik am Preis und an der Preisverleihung hat ihre Berechtigung, keine Frage. Einzelne Juryentscheidungen, die Anzahl der Kategorien, die Dramaturgie der Verleihung, all das muss sich der Kritik stellen. So vorgetragen wie vom Autor, limitiert sie sich jedoch selbst. Unausgewogen und polemisch, mit wutgesteigerter Hybris. Dem Verfasser fehlt es diesmal an Sachkenntnis, sowohl im Hinblick auf die kritisierten Details, als auch im Hinblick auf die Gewinner und offenbar auch auf die Zusammensetzung der Jury. Hier wäre etwas mehr analytische Diatanz angebracht. Das würde den Preis weiterentwickeln und damit der vom Autor so hoch geschätzten hiesigen Szene mehr Nutzen bringen.

    1. Wutgesteigerte Hybris? – Lese ich da nicht. Vielmehr eine kritische Analyse und konstruktive Vorschläge. Dem Autor fehlende Sachkenntnis vorzuwerfen, ist schlechterdings albern: Sie wissen wohl nicht, mit wem Sie es hier zu tun haben.

Kommentare sind geschlossen.