Zwar konnte sich die Jazzwoche Burghausen aus dem letztjährigen Corona-Tal mit 20 % mehr Besuchern wieder herausarbeiten, aber ein neues Konzept, das auch jüngere Besucher zu einem Festival mit rundum interessantem Jazz-Programm anlockt, ist noch nicht gefunden. Es gibt anscheinend keinen Nachfolger für Joe Viera mit Überblick über die längst breitere weltweite Szene, der das Festival in eine sichere Zukunft führt. Das 50 Jahre alte Konzept mit den allseits anerkannten Stars des Jazz, die ein großes Publikum magnetisch anziehen, funktioniert so heute nicht mehr, schon weil es diese Stars nicht mehr gibt.
Attraktiv war Burghausen wieder dort, wo es Neues wagte: beim Finale des 13. Europäischen Nachwuchs-Jazzpreises und dem abschließenden Konzert „Next in Jazz“, beide im intimeren Stadtsaal. Mit dem Landes-Jugend-Jazzorchester unter der bewährten Leitung von Harald Rüschenbaum präsentierte sich dort eine frische Bigband, samt achtköpfigem Vokal-Ensemble. Die LJJB überzeugte unter anderem mit „Ocean Eleven“ von Trio Elf, das sie ihrem 2021 verstorbenen Klavier-Coach Walter Lang widmete. „Wir hatten was mit Björn“ nennen die Posaunistin Maria Trautmann und die Vokalistin und Gitaristin Maika Küster ihr Quartett, mit denen sie sich stark von Jazz beeinflusstem Singer-Songwriting widmen. Die klare Stimme und die abwechslungsreiche Posaune kontrastierten und ergänzten sich schön, waren teilweise aber auch etwas gleichförmig. Das Quartett Jin Jim erinnerte mit dem prägenden Flötisten Daniel Manrique-Smith, der auch Multiphonics einsetzte, von fern an Jeremy Steig in seinen besten Momenten, führt aber mit dem Gitarren-Gegenpol Johann May stilistisch weit über Jazzrock hinaus bis zur indischen Musik. Ein glorreicher Festival-Höhepunkt und Abschluss.
Der Einstieg gelang vielfältig und auf hohem Niveau beim Nachwuchs-Wettbewerb mit zwei Bands aus Italien und je einer aus den Niederlanden, Polen und Deutschland. Die Sieger, das Nils Kugelmann Trio aus München, gewannen verdient und sorgten beim Eröffnungskonzert am nächsten Tag gleich für den melodiösen, vielseitigen, lebendigen und dynamischen Auftakt, der gleich auch zu einem Festival-Glanzlicht wurde. Dabei hatte sich das Trio mit Kugelmann am Bass, Sebastian Wolfgruber am Schlagzeug und Philipp Schiepek an der Gitarre, der den erkrankten Pianisten Luca Zambito mehr als nur ersetzte, erst zwei Tage zuvor zusammengespielt. Der Nachwuchsförderung hat sich auch Fusion-Gitarrenveteran Lee Ritenour verschrieben. Mit seinen Friends gestaltete er ein Retrokonzert, dabei sein Sohn Wesley. Dessen Namenspate, Wes Montgomery, war das Gitarren-Idol des Vaters, der mit Erzählungen aus seiner Karriere durch den Abend leitete, garniert mit seinen alten Hits von Jobims „Stoneflower“ über „Captain Fingers“ bis zur Ballade für seine Mutter Pearl. Das war virtuos gespielt, klang aber doch etwas museal.
Von Blues bis Party
Attraktiv und gegensätzlich war das Doppelkonzert am Donnerstag mit Heiri Känzig’s Travelin‘ und Lakecia Benjamins Phoenix, das einen Platz am Wochenende verdient hätte. Der Schweizer Bassist verarbeitete seine Reiseerinnerungen von Mombasa bis Istanbul und zurück in die Schweiz zu spannenden und abwechslungsreichen Kompositionen. Neben den beiden Instrumenten-Brüdern Kontrabass und Oud war die Musik geprägt durch die wunderbaren Vokalisen von Veronika Stalder, die sich aufs feinste mit dem weichen Trompetenklang von Shems Bendali verbanden. Gewohnt expressiv, wie schon 2017 im Soulkonzert in der Wackerhalle, jetzt aber wesentlich jazziger, gestaltete die Altsaxophonistin den zweiten Teil des Abends ganz in Gold gewandet zum nächsten Highlight. Ihr Tribute for Coltrane war durchgängig in ihrem Sound zu hören, nicht nur im John und Alice gewidmeten „My Favourite Things“. Ihre freie und intensive Version von „Amazing Grace“ erhob sich weit über deren abgedroschene Varianten und wurde zur ergreifenden Hymne. Die ausgereifte Saxophonistin hat neben ihrem immer noch ausgeprägten Hang der zur Show auch eine Verliebtheit in Triller. Zur neuen Klasse Benjamins passten auch ihre Mitspieler Zaccai Curtis am Piano, Ivan Taylor am Bass und EJ Strickland am Schlagzeug.
Der nächste Abend der Internationalen Jazzwoche Burhausen war von dieser musikalischen Qualität ebenso weit entfernt wie vom Jazz. Die westafrikanischen Party-Rhythmen von Supergombo aus Lyon und ihre Animations-Show brachten zwar viele Besucher zum Tanzen, waren bei einem Jazzfestival aber deplaziert. Und die folgende Robert Randolph Band hätte besser in den Blues-Nachmittag gepasst. Immerhin konnte man ausführlich den klanglichen Möglichkeiten einer Pedal Steel Guitar lauschen und erleben, wie im laufenden Konzert eine gerissene Saite souverän gewechselt wurde. Der Samstagnachmittag brachte den Bluesfreunden dann mit Trudy Lynn aus Houston/Texas und Torenzo Cannon and the Chicago Way zwei wirklich großartige Vertreter des traditionelleren Blues.
Licht-Klang-Gewitter und Edel-Blech-Finale
Am gleichen Samstag sorgte der Avantgarde-Abend im Stadtsaal für Enttäuschung: Tubist Theon Cross hatte wegen des Flugstreiks kurzfristig abgesagt. Jaga Jazzist nutzte die Chance für einen zweistündig durchgepowerten Auftritt, der mit Soundgewittern, diffusen Klangwolken von rund 30 Instrumenten, Basston-Druckwellen, zuckenden Scheinwerfer-Blitzen von der dunklen, vernebelten Bühne direkt ins Publikum diesem einiges abverlangte. Einzig Posaunist Erik Johannessen war mit einem längeren Solo zu hören. Auch wenn das Oktett aus Multiinstrumentalisten um Lars Horntveth an sieben Blas- und Saiteninstrumenten und Bruder Martin am Schlagzeug, mit Schwester Line mit Tuba, Euphonium, Glockenspiel und Stimme seit 29 Jahren in etwa gleich spielt, entwickelte sich dabei eine Sogwirkung, welche die meisten Zuhörer bis zum Schluss aushalten ließ.
In der Wackerhalle unterhielten währenddessen und darüber hinaus bis Mitternacht die vier Trompeter von Trumpet Summit gepflegt mit Jazzstandards und einigen Mätzchen. Für die ist in erster Linie natürlich Spassvogel James Morrison verantwortlich, der sein Flügelhorn während des Spiels drehen und mit den Ventilen nach unten spielen oder sie von Jon Faddis bedienen lassen kann. Im Vordergrund standen aber die vier sehr unterschiedlichen Trompetenstimmen von Morrison, Faddis, Thomas Gansch und Gileno Santana, die zusammen und in verschiedenen Kombinationen zu hören waren, auch im stimmungsvollen Duo von Gansch mit Gitarrist Libor Smoldas, ansonsten begleitet von Geoff Gascoyne und Gregory Huchinson an Bass und Schlagzeug.
Die meisten Konzerte wurden vom BR live gestreamt und sind weiterhin auf br-klassik.de/concert abrufbar. BR Klassik sendet in der Jazztime im April, Mai und Juni Konzertmitschnitte im Radio. Und vom 12.-17. März 2024 folgt die 53. Internationale Jazzwoche Burghausen.
Text und Fotos: Godehard Lutz