Sie war die erste deutsche Jazzpianistin und weltweit eine Pionierin des weiblichen Jazz: die Rede ist von Jutta Hipp. Das Multitalent wurde 1925 in Leipzig geboren, lernte vier Jahre klassisches Klavier, und fand während des Zweiten Weltkriegs durch den Jazz erst wieder zu ihrem Instrument.
Während ihres Studiums an der Akademie für graphische Künste (1942-1945) begann sie zu improvisieren und trat als Amateurin in einer Jazzband im Leipziger „Hot Club“ auf. Heimlich hörte sie die von den Nazis verbotenen Radiosender, vor allem Radio Hilversum und BBC London. 1945/46 entstanden Demo-Aufnahmen mit Freunden aus dem „Lime City Jazz Club“ in Leipzig (unter anderem mit Rolf Kühn), die 2015 erst veröffentlicht wurden.
1946 ging sie mit ihrem damaligen Verlobten Teddie Neubert und Thomas Buhé in den Westen, um in amerikanischen Offiziersclubs und Tanzlokalen am Tegernsee zu spielen. Ihr 1948 geborener Sohn Lionel, ein sogenanntes Brown Baby, wuchs in einem Kinderheim und bei Pflegeeltern auf, er suchte als Erwachsener nie Kontakt zu ihr. Ihr abenteuerlicher musikalischer Weg führte sie nach Stationen in München und Frankfurt am Main schließlich 1955 nach New York als „Europe’s First Lady of Jazz“. Sie spielte unter anderem mit Leonard Feather und Charles Mingus. Dort beendete sie aber kurze Zeit später noch in den 1950er-Jahren abrupt ihre Karriere und nahm einen Job als Näherin in einer Kleiderfabrik in Queens an. Warum? Das versucht dieses Buch zu klären.
Erst 1986 entdeckte sie die Autorin und Musikerin Ilona Haberkamp wieder und stattete ihr zusammen mit Iris Kramer einen Besuch ab. Ein Ergebnis war die Entstehung des Albums „Cool is Hipp is Cool“ als Tribute an Jutta Hipp zum 10. Todestag 2013 mit dem Ilona Haberkamp Quartet feat. Ack van Rooyen und Silvia Droste.
Die Saxophonistin, die zum 90-jährigen von Hipp zusammen mit Gerhard Evertz 2015 eine umfassende künstlerische Gesamtausgabe „The Art and Life of Jutta Hipp“ mit einer zweisprachigen Biografie initiiert und herausgegeben hatte, legt nun eine weiter ausführliche Biografie der eigenwilligen Künstlerin vor.
Erschienen ist „Plötzlich Hip(p)“ im Wolke Verlag. Eingebettet in Musik- und Zeitgeschichte zeichnet Ilona Haberkamp eindrucksvoll den Weg nach, gespickt mit Zitaten aus den mit Jutta Hipp geführten Gesprächen, Ausschnitten aus Briefen, Zeichnungen und Fotos. Eine Labour of Love und lang vermisste biografische Hommage.
Und plötzlich versteht man den Bruch in der Biografie der stets von Lampenfieber belasteten Frau umgeben von Rassismus, Drogenproblemen, die sie selber betrafen, und einer männerdominierten Musikszene. 2003 starb Jutta Hipp an den Folgen einer Krebserkrankung. In ihren zahlreichen Aufnahmen und dank Ilona Haberkamp lebt sie weiter. Ein hochinteressantes feministisches Stück Jazzgeschichte.
Unser Titelbild zeigt Jutta Hipp und Ilona Haberkamp bei einem Besuch in New York 1986, aufgenommen von Iris Kramer (mit freundlicher Genehmigung von Ilona Haberkamp, danke!)