(von Stefan Pieper) „Bohren und der Club of Gore” wurden schon mit allerhand Attributen beschrieben – eines davon lautet immerhin „Horror-Jazz” –, die aber alle irgendwie in ein schwarzes Loch hinein laufen, wo ein Mysterium mit magischer Anziehungskraft übrig bleibt: Langsam ist die Musik, manchmal sogar noch langsamer. Oder sogar extrem langsam. Das gibt Raum. Und zwar für den Raum. In dem viele hundert versunken lauschender Menschen in Bochums Christuskirche, diesem freigeistigen Kulturort, zu Teilnehmenden werden.
Nach fünfjähriger Abstinenz legten sie im Jahr 2020 ein überzeugendes Comeback hin – zuerst mit ihrem neuen, cineastisch reichhaltigen, aber zuverlässig düsteren Album „Patchouli Blue” und nun auch mit einer internationalen Live-Tournee. (Am 26. Mai geben sie sich in Augsburg die Ehre…)
Schwere Klangflächen füllen ein Metrum, das so langsam wie Glockenschläge um Mitternacht dahin wandelt. Jeder Harmoniewechsel ist ein Ereignis für sich, weil eben in so weiträumige Taktung gesetzt. Keine heile Welt und bloß nichts in Dur – das ist Balsam für die Seelen der vielen meist dunkel gekleideten „Karnevalsflüchtlinge” an diesem Rosenmontag, an dem der Auftritt stattfindet. Alles entfaltet durch die radikale Minimierung von Licht und Tempo umso mehr expressive Wucht: Mal ein tieftrauriges Arpeggio über die Gitarrenseiten oder ein Ennio-Morricone-Riff – oder ein einsam klingender, aber bald auch wieder vergehender Hammondorgel-Sound. Über allem schwebt, klagt und betört das bittersüße Saxofon, traurig, tröstend, weiträumig atmend und oft alles zugleich. Sanft plüschige Romantik und tragische Schönheit verführen zum Darinversinken.
Verflüchtigung in der Schwärze
Dass es auch optisch mehr stockdunkel als halbdunkel ist, braucht kaum erwähnt zu werden. Die Musiker auf der Bühne erscheinen wie schemenhafte Geister, um sich schnell wieder in der Schwärze zu verflüchtigen. Hinter so viel bewusster Anti-Inszenierung steht aber eine durchdachte instrumentale Rollenverteilung. Bassist Robin Rodenberg, der einen Zwitter aus E-Bass und upright-Bass bevorzugt, bestimmt die Richtung zwischen wabernden Drones und traurigen Klagegesängen. Morton Gass vereint den Synthesizer, der auch als solcher konsequent gespielt wird mit Orgel, Fender Rhodes und Vibrafon und spielt auch manchmal ein (extrem minimalistisches!) Schlagzeug dazu.
Der Auftritt ist ein Livekonzert und das ist den Musikern sehr wichtig, also werden die Stücke moderiert. Aber das Spieltempo der Band hat anscheinend auf den Sprachfluss abgefärbt. Was wiederum so verpeilt wirkt, dass es schon wieder – das ist Kalkül – prallen absurden Humor freisetzt.
Die Stimmungen in dieser Musik gehen ganz klar in Richtung dunkler Cineastik eines David-Lynch. Danach sollte dieser Abend Lust machen, nochmal Twin Peaks oder Lost Highway aus dem DVD-Regal zu holen. Live zusammen mit vielen anderen in der Bochumer Christuskirche ist man als Regisseur des eigenen Hörfilms im Kopf ganz auf sich allein gestellt und trotzdem mit so vielen miteinander. Im Rahmen der Reihe urban urtyp werden in der Bochumer Christuskirche regelmäßig Konzerte mit erheblichem Coolness-Faktor veranstaltet. Und ja – man kann durchaus behaupten, dass sich der spirituelle Raum bei Bohren und der Club of Gore mit so etwas wie Andacht erfüllt, begleitet vom regelmäßigen Klirren umfallender Bierflaschen als etwas subversive Lebensäußerung aus dem Hier und Jetzt.
Beitragsbild: Bohren und der Club of Gore / Foto: Stefan Pieper