Vom nächtlichen Küchenmeeting ihres Debütalbums sind die Insomnia*stinnen auf die Strasse gewechselt. Vielmehr auf die ,Rail road’, denn die drei Musikanten nutzen umwelttechnisch korrekt den Schienenverkehr, um zu ihren Auftrittsorten zu gelangen. Dort rollt das schwergewichtigen Trio dann seinen Klangteppich aus scheckigen, tanzbaren Rhythmen, feinen Melodien und verschlungenen Soundgeweben aus, auf dem sie mit dem Publikum in eine eigene Welt reisen.
Es ist eine Welt aus „Frosch-Rock“ (Frog Rock) mit geblähten Backen, einem Mittagsschläfchen im „Schatten eines Elefants“ (Sleeping in the Shade of Elephants) und Träumen, die vom Londoner South East (Dreaming of South East London) bis zu den Sternen (Super Constellation) reichen. Wie beim Erstling spielen bei den Bläserinnen und ihrem Schlagzeuger Ironie und Witz eine gewichtige Rolle, wenn die Goldene Hochzeit (Golden Wedding) in eine schnappatmende Verwirrtheit taumelt und ein Drum-Solo das Ding wieder anschiebt.
Ironie, Witz und tiefere Bedeutung
Eine innere Reise oder Hinwendung beschreibt die Mini-Brassband in Anne Lucks` (trombone) wunderbar zarter und persönlicher Komposition „So dicht Bei Mir“. Diese scheint selbst in der mehrfach übersetzten Form einer Studioaufnahme Charakter und menschliche Züge offenzulegen. Es ist eine Art musikalisch-künstlerischer Introspektion, die dazu animiert Haltung zu zeigen und Respekt verdient.
Ihre Zusammenarbeit begannen Lucks und die Baritonsaxophonistin Almut Schlichting 2017, der Schlagzeuger Christian Marien kam ein Jahr später hinzu. In ihrer Miniatur-Ausgabe einer Brass Band jonglieren sie mit wechselnden Rollen zwischen Rhythmus und Melodie und durchqueren so eine betörende Landschaft aus freien Formen, Funk, Punkrock und New Orleans Brass Band. Gemeinsam öffnen sie ihre eigenen Stücke in alle Richtungen, angetrieben von einer Mischung aus improvisatorischem Schwung und bestens verzahnten Grooves.
Auf ihrem Roadtrip glauben sie keinen Raum für Illusionen (No Place for Illusions) zu haben, klingen aber gleichzeitig so träumerisch und selbstvergessen, als würden sie sich selbst an der Nase herumführen. Denn Illusionen können durchaus Kraft entfalten und Träume Wirklichkeit werden lassen. Das Holz für Wacky (Wood for Wacky), womit vermutlich das Metalfestival Wacken gemeint ist, dagegen könnte ohne weiteres etwas mehr Druck und Speed in seiner holprig-schrägen Verliebtheit vertragen. „La Valse Montagne“ schließlich, wie die Mehrzahl aus der Feder Schlichtings, ist ein wunderbar hingetupftes Vergnügen, das spontan zum Tanz mit scheppernden Kuhglocken herausfordern kann. Wenn schon das Album soviel Vergnügen macht…
Text: Michael Scheiner
Beitragsbild: Alexander Beierbach
INSOMNIA BRASS BAND, Road Works, Tiger Moon Records TMR 011 CD, www.tigermoonrecords.com
Anke Lucks – trombone
Almut Schlichting – baritone saxophone
Christian Marien – drums