Neues Album: „Chansons de Cologne“ – der Titel deutet schon an, was Christine Corvisier, die aus Südfrankreich stammende, in Köln lebende Saxophonistin, Komponistin, Arrangeurin und Bandleaderin auf ihrem neuen Album verspricht: Eine Hommage an die Chansons, die sie während ihrer Kindheit und Jugend in Nizza begleitet und die sie während ihrer Studien in Nizza, Amsterdam sowie NYC und später in ihrer beruflichen Karriere auch beeinflusst haben – bis heute. Zugleich verbeugt sie sich vor den Komponisten und berühmten Interpreten dieser unsterblichen Melodien, die sie als Jazzmusikerin neu interpretiert und auffrischt, gewissermaßen zu neuem Leben erweckt.
Edith Piaf ist frühes Vorbild
Bereits auf ihren früheren Alben, die sie zumeist mit eigenen Kompositionen bespielt hatte, gab es einzelne Rückgriffe auf die Welt der Chansons. So wagte sie sich auf ihrer ersten eigenen CD „Walkin‘ Around“ (2007) mit einem die ausgespielte Melodie nur erst leicht zu improvisierenden Arrangement an den Edith-Piaf-Klassiker „La vie en rose“, um sich auf der nächsten CD „Reconnaissance“ (2015) ein weiteres, durch Piaf populär gewordenes Chanson – „La foule – que nadie sepa mi sufrir“ – in einer mitreißend vitalen Performance vorzunehmen. Im selben Jahr folgte auf der zu Unrecht weniger beachteten CD „First Takes“ im Duo mit dem griechischen Pianisten Spyros Manesis Edtih Piafs berühmte, hier fast getragen zelebrierte „Hymne à l’amour“.
Bald reifte das Projekt zu einem ganz dem Chanson gewidmeten Album heran, aber der Aufnahmetermin verzögerte sich Corona-bedingt immer wieder. Vor wenigen Tagen, am 23. September, konnte Christine ihren Fans und der Jazzszene endlich die Veröffentlichung von „Chansons de Cologne“ mitteilen. Wie schon auf „Reconnaissance“ setzt sich das Christine Corvisier 5tet aus profilierten Musikern der Kölner Szene zusammen: neben ihr selbst auf Tenor- und Sopransaxophon, Bassklarinette und Flöte sind der Gitarrist Martin Schulte, der Pianist Sebastian Scobel, David Andres am Bass und Silvio Morger an den Drums (letzterer alternierend bei Konzerten mit Alexander Parzhuber).
Charle Aznavours dramatischer Stil mit drei Chansons gewürdigt
Wie um alte Hörgewohnheiten zu schonen, wurde als Opener das alte Schlachtross „C’est si bon“ von Henri Betti in die Arena geführt, in gemächlichem Trab die Melodie gewissermaßen werkgetreu auf dem Tenor in die Ohren geträufelt, ehe der Gaul dann fast übergangslos frisch aufgesattelt wird zu einer im lässigen Bossa-Rhythmus gehaltenen Improvisationsgala mit ersten Soli auf Piano, Tenor und Gitarre. Dann geht es aber gleich in die Vollen mit „Emmenez-moi“, einem der drei auf der CD dramaturgisch geschickt verteilten Welterfolge des unvergleichlichen Charles Aznavour. Luftig und unangestrengt perlen die Soli auf Sopran, Bass, Gitarre und Schlagzeug in dem zwischen zwei Drittel und vier Viertel changierenden Arrangement von Christine, die auf dem Tenor einen energetischen Schlusspunkt setzt, ähnlich dem bewegend pathetischen Finale Aznavours auf der Bühne.
In der Mitte des Albums findet sich das hierzulande vielleicht weniger bekannte Aznavour-Chanson „Tous les visages de l’amour“, das Christine hier – wie auch für die anderen Stücke – so arrangiert hat, dass die zu Grunde liegende Melodie im Ensemblespiel immer wieder erkenntlich auftaucht. Herausragend Martin Schultes schwereloses Gitarrensolo. Christine glänzt auf dem Tenorsaxophon mit ihrem charakteristischen vollen Ton, besonders in den tiefen Lagen. Ihr Spiel gleicht hier Charles Aznavours Melodramatik, seinem unvergleichlichen Pathos. Ihre Affinität zu dem alten Barden zeigt sich auch darin, dass er auf dem Album allein mit drei seiner Chansons vertreten ist, so auch mit seinem Longseller „La bohème“, bei dem Christines wahrhaft furioses Solo mitreißt, zu dem Sebastian Scobel einen fesselnden pianistischen Kontrapunkt setzt und Silvio Morger vom Drumset aus treibt und treibt.
Elegante Arrangements großer Klassiker
„Non, Je ne regrette rien“, der größte Erfolg der legendären Piaf, wird in Christine Corvisiers Arrangement ein wenig entdramatisiert, leichtfüßiger als das hymnische Original, im Ensemble beginnend wie ein Flamenco, über dem die vom Tenorsaxophon getragene Melodie schwebt, die dann von Sebastian und Christine wie in Puzzleteile auseinander genommen und in der Coda wieder zusammengesetzt wird.
Der Gitarrist Sascha Distel, der mit bald allen französischen und internationalen Jazzstars seiner Zeit gespielt hat, machte auch gern Ausflüge in die Sphäre von Song und Chanson, was in Frankreich für Jazzmusiker nicht als ehrenrührig gilt. „La belle vie“, eines seiner populärsten Lieder, arrangierten Christine und Sebastian zu einer eleganten lay back Swingnummer zum Finger schnippen, beginnend mit einem melodiösen Bass-Solo von David Andres, das er in einen die Piano- und Tenor-Soli begleitenden Walking bass einmünden lässt. Ebenso beliebt in den Siebzigern war das sentimental verträumte Sommerlied „Le Sud“ von Nino Ferrer, das steigernd von Gitarre, Tenor und einem kompakten Bandsound energetisch aufgeladen wird, gewissermaßen vom Bummel auf dem Boulevard zur wilden Fête in der Disco.
Etwas aus der Chanson-Programmatik heraus fällt „La valse d’Amélie“ aus dem Erfolgsfilm mit Audrey Tautou als bezaubernd naiver Kellnerin Amélie Poulain, aber ein durch und durch französisches Timbre durchzieht das Arrangement von Christine, ihre quirligen Soli auf dem Tenor, Davids klangschönes gestrichenes Bass-Solo und Martins romantische Gitarrenklänge. Und auch Töchterchen Emmas junge Amélie-hafte Stimme ist zu hören.
Kontrastreiche Eigenkompositionen
Christine fügt in den Reigen der Chansons drei eigene Kompositionen ein: „Lumière s. v. p!“, eine hart groovende Angelegenheit mit rockigem Tenorsaxophon, schneidenden Gitarrenriffs, einem kontrastierend zurückhaltenden Piano und einem von Bass und Schlagzeug getriebenen kompakten Bandsound. Das nur im Titel ähnlich klingende „Lunaire“ erzählt eine meditativ verträumte Geschichte, die aber von der Gitarre und der Band rockig „aufgemotzt“ wird, was wohl auf den Co-Arrangeur Philipp Brämswig zurückgeht, Christines Ehemann, einem in der rheinischen Szene vielgefragten Gitarristen, Komponisten und Bandleader. „The modern Cinderalla“, Christines dritte Komposition, ist ebenfalls in sich gegensätzlich: die sanfte meditative Stimmung wird hart und funky unterbrochen – Cinderella wird aus ihrer Märchenwelt in die harte Gegenwart gezerrt.
Das gleich ins Auge fallende, künstlerisch heiter und bunt gestaltete Cover mit Fotos einer charmanten, ein positives Lebensgefühl ausstrahlenden Christine Corvisier gleicht einem Amuse gueule zum reichhaltigen Menu dieses empfehlenswerten Albums voller Zutaten aus der Tradition unvergessener Chansons im Mantel besten zeitgenössischen Jazz‘ mit fünf hochklassigen Musikern. Gewissermaßen als herzhaftes Dessert brilliert Christine unbegleitet auf dem Tenorsaxophon mit einer von Einfällen überschäumenden Improvisation über „Les feuilles mortes“ von Joseph Cosma, dem Chanson par excellence, zieht sie alle Register von sopranigen Höhen bis in die baritonalen Gefilde – très magnifique!
Dieser Rezension ist einfach nichts hinzuzufügen, ich sehe das Album genau so. Für mich ist es Christine‘s bestes Album. Sie wird immer besser, und ihre Band auch! Hier sind fünf Musiker am Werk die ihr Handwerk und sich selbst untereinander blind verstehen. Es macht ganz große Freude die CD zu hören.