(Von Sophie Emilie Beha) Die Kompositionen von Hülsmann und ihren Bandkollegen für das achte ECM-Album sind im gemeinsamen Spiel entstanden, geboren aus einer natürlichen Kontinuität. „Fluid“ beispielsweise ergab sich aus einem Online-Projekt, das die coronabedingt ins Wasser gefallene Usbekistan-Tour ersetzen sollte.
The Next Door
Julia Hülsmann hat es ursprünglich für ihr Quartett und die Trompeterin Hildegunn Øiseth geschrieben, auf „The Next Door“ erklingt es in einem schimmernden Arrangement mit einem freifließenden, wie locker aus dem Ärmel geschüttelten Klavier-Solo. Es wird abgelöst von Uli Kempendorff – demjenigen, der das neunzehnjährige Trio zum Quartett ergänzt. Aus seinem Tenor-Saxofon perlen endlos erscheinende Sechzehntelketten.
Sein Spiel ist dabei immer klar, nie verhangen und geht konfliktlos auf das Spiel der anderen ein. Von Kempendorff stammt das Stück „Open Up“. Hier tänzelt er über stolpernde Becken-Rhythmen und schraubt sich schwindelfrei in Höhen, nur um danach seinen Bandkolleg*innen Platz zu machen.
Die Auswahl der Stücke für die CD sei ein demokratischer Prozess gewesen, sagt Hülsmann. Und genau hier liegt das Qualitätsmerkmal dieses Albums: Balance. Wie in einem Mobile ist hier das große Ganze wie das kleine Detail genau austariert, und zwar weniger mit Perfektion als vielmehr mit Intuition. Es verbindet die einzelnen Teile, die dabei für sich eigenständig und frei bleiben.
Gesamtkunstwerk
Die Ausgewogenheit erhält in dieser Musik im Mikro- wie im Makrokosmos großes Gewicht. Man hört dem Album an, dass es als Gesamtes gedacht ist. Die einzelnen Stücke gehen nicht nur gut ineinander über, sondern ergänzen sich – wie die Farben einer gut abgestimmten Palette. So kommt es wahrscheinlich auch, dass Hülsmanns „Jetzt Noch Nicht“ zweimal auf der Platte vertreten ist. Die Atmosphären darin könnten nicht unterschiedlicher sein.
Wie auch auf den letzten Alben taucht neben den Eigenkompositionen wieder ein für Hülsmann typisches Coverstück aus der Popmusik auf. Dieses Mal ist es „Sometimes It Snows in April“ von Prince (an das sich übrigens auch schon der Pianist Ludovico Einaudi herangewagt hat). Hülsmanns Arrangement ist reduziert, das Gefühl transportiert sich trotzdem mühelos. Dieses Album ist nicht nur unprätentiös, sondern auch raffiniert und balanciert. Es beeindruckt durch seine Gegensätze, die sich offenbar in zwölf verschiedenen Schattierungen vereinen lassen.
CD-Tipp
Julia Hülsmann Quartett: The Next Door