(Text und Fotos von Stefan Pieper) Obwohl das neue Konzept noch die Unfertigkeit eines Neustarts verkörpert, fließt der Strom beim Moers-Festival ungebremst weiter. In den letzten beiden Jahren habe viele neue, digitale Vorstöße das künstlerische Schwergewicht beim Moers-Festival durch die Pandemie getragen. Bei der 51. Ausgabe zum 50. Geburtstag behauptete sich – trotz eines aufwändigen virtuellen Überbaus – der gewachsene, analoge Wesenskern des Festivals als überlegene Kraft.
Spaß und Kreativität
Erfreulich stimmen die spontanen Schilderungen von Menschen, die zum allerersten Mal aufs Moers-Festival kommen und hier das Besondere dieses Ortes spüren: Die israelische Multiinstrumentalistin und Komponistin Maya Dunietz beschrieb, dass sie so viel Spaß und Kreativität wie hier selten anderswo erlebe. Bei mehreren grundverschiedenen Konzert-Auftritten saugte sie viel davon auf, um noch mehr davon zurück zu geben.
Ihre spirituelle Komposition „Hai Shirim“ nahm es mit älteren, aber auch neuen Liedern in arabischer Sprache auf, hier in Szene gesetzt von einem fragilen Instrumentalensemble und dem Mädchenchor am Essener Dom. Einen Abend später kostete Maya Dunietz die Möglichkeiten der Orgel in der Stadtkirche mit kreativer Lust aus. Schließlich hatte die Israelin auch das letzte Wort beim Festival – in einer hedonistisch–rasanten Disco-House-Performance zusammen mit dem Schlagzeuger Ram Gabay. Tanzen als Demonstration. Das hätte noch stundenlang so weiter gehen können auf der seit letztem Jahr erfolgreich funktionieren Open-Air-Bühne – wenn Moers nicht in Deutschland liegen würde…
Tim Isfort und sein Team haben die Festival-Infrastruktur geografisch erweitert. Geschichte ist seitdem die Hierarchie aus Hauptspielstätte und Nebenlocations. Was das Ankommen in Moers am Freitagabend umso einladender macht: Zwischen der stilvollen Musikschule und dem Filder-Benden-Gymnasium dominiert entrücktes Sommer-Feeling. Im „Zentrum für nicht-anthropogene Musik“ musizieren sagenhafte Streichquartettmaschinen ganz ohne menschliches Zutun umso neutönerischer.
Laut und wild
Auf einer kleinen Open-Air-Bühne geht es laut und wild zu. Das spärlich beleuchtete Fahrrad trägt in tiefer Nacht durch den leeren Schlosspark, der für langjährige Festivalbesucherinnen und -besucher Erinnerungsort an so vieles ist. Nackedeis im Springbrunnen sind längst vergangene Geschichte. Dafür lebt „Moers“ als Zustand im Jahr 2022 auch mal in einer Evangelischen Stadtkirche: Die Hörenden bevölkern den sakralen Raum festivaltypisch und machen sich auch liegend bereit für neue Klangerfahrungen, die idealerweise das Gegenteil vom Erwarteten sind: André O. Möller reicht eine einzelne Tonstufe, um fast eine Stunde lang deren Klang durch Oktavierungen bis hinunter in tiefste Subbass-Räume und durch feinste Veränderung der Registrierung zu einem dramatischen Prozess auszugestalten. Einige junge Festivalbesucher, für die Moers augenscheinlich vor allem Feiern bedeutet, überbieten sich in euphorischen Schilderungen über das gerade Gehörte, reden von „Drones“ und „Distortions“. Auf genau diese Horizonterweiterung ist auf Moers seit 50 Jahren Verlass.
Moerser „Freyheit“ wie im Jahr 1972
Spielstätten, Artists, künstlerische Ansätze wuchern im 50. Jahr des Moers-Festivals ins Unermessliche – und längst auch in den virtuellen Raum. Freiheit, oder diese „Freyhedt“ von Moers heißt aber in erster Linie, physisch einzutauchen in einen Strom aus Ideen, Liveerlebnissen und Begegnungen mit Menschen.
Die große Überraschung: Eine neue, übrigens fremdkuratierte Bühne, „Annex“ genannt, wurde zum stärksten Magneten auf dem Festival. So ähnlich muss es früher im Schloss-Innenhof zugegangen sein, alsder Freejazz wie ein mächtiges Ventil Ohren und Geister von allem reaktionären Mief frei blies. Die spielwütige Reinkarnation von sowas liefert eine Adhoc-Besetzung um die niederländische Band Spinifex nebst Doppelbefeuerung durch zwei Schlagzeuger. Auch ja: Tim Isfort hatte bei seiner Abschiedsrede im letzten Jahr ja auch versprochen, dass es diesmal wieder wie 1972 sein würde.
Impro-Dialog
Vom hier zum ersten Mal Erlebten anstecken ließ sich auch die japanische Geigerin Sana Nagano anstecken. Jenseits ihres kraftvollen Band-Konzertes in der Festivalhalle freute sie sich auf der Ladefläche des kleinen „Moers-Mobils“ über Frischluft, was wiederum einen filigran-fantasievollen Impro-Dialog mit dem Saxofonisten Jan Klare beflügelte. Beide ließen sich von Sound-Loops aus mehreren Dutzend analoger Tonbandmaschinen zu Großartigem inspirieren.
Jan Klare führte eine der politischsten Darbietungen dieses Festivals: „Three Fingers in the Dark“ – benannt nach der Freiheits-Geste des burmesischen Volks im Angesicht von Diktatur und Unterdrückung, suggerierte auf musikalischem Weg eine „Zärtlichkeit zwischen Völkern“. In diesem Sinne hat Tim Isforts Langzeit-Projekt „Myanmar meets Europe“ jenes etwa zehnjährige Zeitfenster der Freiheit zwischen zwei Militärdiktaturen mit viel produktivem Idealismus ausgeschöpft. In der Halle machte eine große Besetzung, zu der auch der burmesische Perkussionist Hein Tint gehörte klar, dass Pentatonik der burmesischen Musik und Jazz eine gemeinsame Sache sind. Wie einfach könnte es in der Welt zugehen, wenn Politik sich mehr von der Musik abguckte! Aber weil dies nicht so ist, mündet der Sound in Dystopie – oder nennen wir es ruhig angesichts der Zeitumstände seit dem Militärputsch im letzten Jahr „Realität“.
Brückenschläge in die Zukunft blicken
Der postmodern-beliebige World-Music-Ausverkauf ist vorbei – in Moers geht es um in die Zukunft eines kulturellen Miteinanders: Angelika Niescier und John-Dennis Renken projizierten ihre Jazz-Visionen auf das malayische Perkussionsensemble „The Hidden Tune“ – und dies antwortete mit geschmeidig-choreografischer Rhythmus-Kunst.
Nebst berechtigter Kritik an zu wenig Information in den Programmtexten brachten diese doch an einigen Stellen das künstlerischen und „kuratorische“ Anliegen in Moers auf den Punkt – etwa im Fall des Elektronik-Musikers Robert Henke: Dieser erfüllte in der Festivalhalle das so Beschriebene, wenn er auf mehreren archaischen Computern aus den 1980er Jahren sein Publikum auf eine „Erkundung der Schönheit einfacher Grafiken und Klänge“ mitnahm. Fazit: „Alles, was im Rahmen des Projekts präsentiert wird, hätte bereits in den 1980er Jahren gemacht werden können. Aber es brauchte den kulturellen Hintergrund von heute, um die künstlerischen Ideen zu entwickeln, die das Projekt antreiben.“ In diesen Worten steckt die Formel für die produktive Wirklichkeit des ganzen Festivals im Jahr 2022. Disparate kulturelle Hintergründe vereinen sich, reiben sich aneinander. Umso mehr, je frischer die Impulse aus dem Heute sind. Das Team um den künstlerischen Leiter Tim Isfort und der Geschäftsführerin der Moers Kultur GmbH, Jeanne-Marie Varain schöpft aus solchen Ressourcen, um in die Zukunft zu blicken.
Seit Tim Isfort dort die Leitung übernommen hat geht das Niveau permanent nach unten. Masse statt Klasse ist bei ihm angesagt. Bei nur sehr wenigen Darbietungen lohnt es sich überhaupt bis zum Schluss zu verweilen (bei den Vienna Improvisers zum Beispiel) 80 – 90% ist einfach nur zweite Liga. Infos zur Musik? Fehlanzeige, stattdessen stehen Albernheiten im Vordergrund, so etwa fliegende Haare bei der PK. Sollen wir das lustig finden? Kindisch ist das. Neben dem schwachen Gesamtprogramm (sowas hat es weder bei Reiner Michalke noch bei Burkhard Hennen gegeben) verliert man auch so schnell die Lust irgendwo länger zu verweilen. Für eine Krakauer und ein Bier 9,50€? Hallo geht’s noch?
Am Sonntag nachmittag (nach dem Konzert mit den Vienna Improvisers) bin ich zum Hotel um die Koffer zum packen. Solange Tim Isfort dort verantwortlichn ist werde ich keine Festival dort mehr besuchen. Das ich sowas nach 35 Jahren sagen muß ist schon erstaunlich, nie habe ich mir vorstellen können Pfingsten woanders zu sein als in Moers. Aber Tim Isfort hat’s wirklich geschafft.
Konzept für die Zukunft, durch halb Moers zu laufen um ja nichts zu verpassen? Ich gehe davon aus das nach auslaufen der Fördergelder von Bund und Land das Festival eh nicht mehr lange existieren wird. Wir können zusehen wie Herr Isfort es weiter voll vor die Wand fahren wird und es noch vor Ablauf seines Vertragens (2028) Geschichte sein wird