Zentriertheit und innere Schnelligkeit
Seit fünf Jahren lädt Pablo Held regelmäßig Musikerinnen und Musiker aus aller Welt und aus der Kölner Szene ins Loft in Köln-Ehrenfeld ein. Hier wird aufgenommen, gestreamt – und vor allem spontan auf Traum-Level musiziert. Neu-Begegnungen, die es so vorher noch nicht gegeben hat, sind ausdrücklich erwünscht. Ein neues, rein digitales Compilation-Album zieht beeindruckende Bilanz.
Es ist ein Luxus, aus 20 verschiedenen Liveaufnahmen jeweils das allerbeste, was hier passierte, herausdestilliert zu kommen und dies oft in epischer Länge von bis zu 15 Spielminuten pro Stück. Das rein digitale Format dieses Albums braucht ja auch auf keine zeitliche Limitierung von bis zu 74 Minuten wie auf einer CD Rücksicht zu nehmen.
Es dürfte kein Zufall sein, dass Pablo Held das Album mit Wayne Shorters „Nefertiti“ beginnen lässt, was hier mit Bo van der Werf, Florent Nisse und Iago Fernandez noch wilder wuchern und sich verästeln darf. Wayne Shorter ist ein erklärtes Idol für Pablo Held, beide haben sich oft kommunikativ und musikalisch miteinander ausgetauscht. Wayne Shorter schätzt an Pablo Held dessen „Zentriertheit, seine innere Schnelligkeit und auch dieses Geschichtenerzählen“. Sämtliche Stücke des Albums demonstrieren, was damit gemeint ist. Temporeiche Interaktion pflegt das Stück Finding Zbiggy mit Nelson Veras, David Helm und Guilhelm Flouzat. El Bardo mit Jorge Rossy, Robert Silmann und Matthias Pichler besticht durch seine lyrische Sopransax-Linie, die einmal mehr den Geist Wayne Shorters aufblitzen lässt. Eine Sternstunde der ganz anderen Art markiert die kammermusikalische Begegnung auf zwei Flügeln zwischen Pablo Held und Johanna Summer. Als extrem konsensfähig mit Pablos Helds künstlerischer Philosophie erwies sich die neuartige kammermusikalische Jazz-Sprache dieser jungen Pianistin. Es folgt ein Zeitsprung zurück in die wilde Virtuosität der Fusion-Ära, wenn Pablo Held sein Rhodes-Spiel mit einer weitgehend elektrischen Band „fusioniert“. Die Spiellust von Gary Husband, John Schröder, Norbert Scholly und Oliver Lutz ist hier unbegrenzt. Im Kölner Loft finden regelmäßig auch avantgardistischere Begegnungen statt. Dafür holte sich Pablo Held relevante Figuren ins Loft: In diesem Fall die Synthesizer-Künstlerin Liz Cosack, die Cellistin Elisabeth Coudoux, ebenso Christian Lillinger und Robert Landfermann am Bass. Auch diese Freigeister richten hellwache Antennen auf die musikalische Diktion ihres Gastgebers. Menschen mit ausgeprägtem Charakter haben viele Schnittstellen mit unterschiedlichen Mitmenschen: Albert Sanz ist ein Modern Jazz Pianist mit spanisch-südamerikanischen Wurzeln und einem tiefen Verständnis der Jazztradition. Für Pablo Held ist dies das Bezugsfeld, um zu zweit zur Cooljazz-Nummer „Bird`s Eye“ aufzuspielen. Auf diese wohl „klassischste“ Nummer folgt wieder ein subtiles Kaleidoskop aus harmonischen Vernetzungen im Stück „Seizing“, wo Pablo Held Besuch von Christopher Dell, Jonas Westergard und Leif Berger bekam. Viel Luft zum Atmen nehmen sich die Beteiligten im Stück „Twenty Years, einer feinfühlig neue Räume austastenden Improvisation. Dafür waren Kit Downes, Saen Carpio und die Jazz-Harfenistin Kathrin Pechlof ins Loft gekommen. Dies sind nur einige Beispiele für noch viele weitere Konstellationen in den fast 200 gebotenen Musikminuten. Durchaus vergisst man zuweilen, auf einer Compilation „unterwegs“ zu sein. Dafür sind die Mitschnitte zu dramaturgisch pausibel aneinander gefügt und atmen einen gemeinsamen Geist, der letztlich immer von Pablo Held ausgeht. Auf Pablo Helds Personalunion von Leader und Partner ist bei allen Stücken Verlass: Sein Klavierspiel gerät nie zum Selbstzweck. Das Hören auf andere scheint immer noch ein paar Gramm mehr Gewicht als das Selberspielen zu haben. Auch das dürfte eine Rolle spielen, warum hier so viele Musikerinnen und Musiker aus diversen künstlerischen Kontexten zur Höchstform auflaufen.
Text: Stefan Pieper
Beitragsbild : Thomas J. Krebs
Meet Me At The Loft | Pablo Held (bandcamp.com)
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