Zwischen funky Grooves, afrikanischen Traditionals und Songs von existentieller Tragweite bewegte sich das Duo Siyou’n’Hell kürzlich im Jazzclub Leer Beutel in Regensburg.
Kein Konzert, welches aktuell stattfindet, geht ohne wenigstens einen kleinen seelischen Striptease über die Bühne des Leeren Beutels. „Nach so vielen Wochen, Monaten der Abstinenz ist es etwas ganz Besonderes“, wandte sich Sängerin Siyou Isabelle Ngnoubamdjum ans Publikum, „hier zu sein.“ Es sei für sie ungewohnt und gleichzeitig sehr vertraut – letzteres hörte man dem Spiel, der Musik des Duo Siyou’n’Hell auch an.
Vom ersten zarten Ton an, in den nach einigen Takten Hellmut Hattler auf seinem E-Bass einstimmt, ist diese starke künstlerisch-emotionale Verbundenheit zwischen den beiden spürbar. „Motherless Child“, ein Spiritual mit dem der afroamerikanische Folksänger Ritchie Havens beim legendären Woodstock-Festival bekannt wurde, machte den Auftakt zu einem Abend mit stürmischen Grooves und ebenso ruhigen, innigen Momenten. Überraschungen hielten die beiden Musiker manchmal eher untereinander parat, wenn Hattler seine Duopartnerin unerwartet Haken auf dem Bass schlug und sie daraufhin in herzhaftes Lachen verfiel.
Der Spaß und die Freude vor realen und nicht nur zahlenmäßigen Zuhörern bei einem Online-Konzert zu spielen übertrug sich eins-zu-eins aufs Publikum, welches begeistert mitging. Auch das vorpandemisch manchmal belächelte oder als plebejisch empfundene Mitklatschen und Mitsingen eines „Yeah, yeah, yeah“-Refrains fand viele offene Ohren und Herzen. Anrührend und weich die „Signs of Love“, die in „einer schwierigen, existentiellen Zeit entstanden“ seien, erzählt Ngnoubamdjum über den Song, der von der Liebe und vor allem auch der Liebe zur Musik erzählt. Konkreter wird Hattler, der ergänzt, dass er vor einigen Jahren lebensbedrohlich erkrankt, fast gestorben wäre – „und Siyou war einfach da!“
Hattler, der seine tiefe Bassgitarre immer wieder wie eine klingten lässt, zählt nicht umsonst zu den virtuosesten Vertretern seines Fachs. Er spielt melodiös, funky, blubbernd oder schlägt harte groovende Akkorde, dass die Beine der Zuhörenden ganz unruhig werden im Sitzen. „Es wär` für mich okay“, meint der knapp 70-jährige Instrumentalist denn auch verschmitzt bei „More Fun“, „wenn ihr auf den Tischen tanzen wollt“. „Wenn die Veranstalter…“, schiebt er grinsend hinterher.
Mit einer souligen Stimme, die weniger vom ureigenen Timbre, aber von der Energie, Lautstärke und Leidenschaft manchmal an Tina Turner erinnert, elektrisiert Sängerin Siyou ihre Zuhörenden und reißt sie mit. Ihr Ausdrucksspektrum ist enorm, reicht von ekstatischen Schreien über leises Glucksen bis hin zu den warmen, innigen Lyrics eines traditionellen kenianischen Liedes, mit dem eine Mutter ihre Kinder mahnt das Vieh reinzuholen, bevor der Reegen beginnt.
Gegen Ende des zweistündigen Konzertes ohne Pause (!) ein Song „Lean on Me“, der stilistisch den Kern von Siyous musikalischer Entwicklung aufzeigt – die Gospelmusik. Beim letzten Stück – vor der stürmisch erklatschten Zugabe – muss Hattler lediglich 3 Töne spielen – „Come Together“ von den Beatles wird gefeiert.
Michael Scheiner