15 Jahre nach der Bandgründung reflektieren Jan Klare und seine Band The Dorf gesellschaftliche Zustände – und machen musikalisch mächtig Druck dabei
Das aktuelle Album von „The Dorf“ irritiert so manchen treuen Fan. Yes! No! Protest Possible steht auf dem Cover. Die Musik klingt genauso, wie diese Optik suggeriert und ist der Sprache immer dicht auf den Fersen. Das ist eine neue Erfahrung bei diesem Kollektiv für aktuelle Musik im Ruhrgebiet. Die Songs, Slogans und Sprachspiele reflektieren gesellschaftliche Zustände und individuelle Befindlichkeiten im Turbokapitalismus.„Protest Possible“ entstand unter Bedingungen, die völlig neu waren. So spontan sich im Endresultat dieses Albums der ungestüme Druck im Kessel entlädt, so ist das Werk in Wahrheit doch ein lange gehegtes Konzeptwerk.
Vor allem die wandlungsfähig agierenden Sängerinnen Marie Daniels und Oona Kastner machen ihren Job exzellent. Das kommt den Wörtern und Sätzen zugute, die sich die beauftragten Gegenwartsautorinnen Lisa Danulat, Natascha Gangl, Laurie Penny sowie der Jazzjournalist Wolf Kampmann und der Publizist Jörn Klare haben hierzu einfallen lassen. Die in 27köpfiger Besetzung agierende Band verleiht den Worten in jedem Moment ein ungestümes Ausrufezeichen.
Die Frage nach dem Warum
Die Musik wuchert und wandelt sich im Verlaufe der neun langen Stücke. Das Titelstück „Protest Possible“ lässt „The Dorf“ wie eine auf Orchesterformat hochfrisierte Punkband erscheinen. „Selbständig“, getextet von der österreichischen Lyrikerin und Dramatikerin Natascha Gangl macht aus dem Getriebensein einer Lebensform ein Sprachspiel, in das sich die musikalischen Strukturen der Band einklinken. Eine Mischung aus Agitprop-Song und Kabarett-Nummer kreiert das Stück „Sag warum?“, das einen neuen Text des Jazzautoren Wolf Kampmann vertont. Preußischer Militarismus, Nazi-Faschismus, DDR-Realsozialismus, später die Verblendungen der Konsumwelt und die schließlich die Auflösung des Individuum in digitaler und medial generierter Systemlogik ersticken als totale Herrschaftssysteme die Frage nach dem Warum.
Das Album „Protest Possible“ bleibt über die gesamte Spiellänge konsequent in diesem Thema drin: Das Stück „And her Tongue“ formt einen Zungenbrecher-Silbensalat, kreiiert aus den Namen einschlägiger Helferlein der Pharmaindustrie, die alles zu ertragen helfen sollen. Die Nummer „Du, Du, Du“ als schicke Soulballade ironisch aufpoliert, rückt einmal mehr dem Zustand von Beherrschtsein zu Leibe. Durch wen eigentlich? Einen Menschen? Eine Maschine? Einen Algorithmus?
Wer braucht den tierfreien Nichtraucherhaushalt?
Zugänglich-heiter, fast etwas wie „easy-listening“ und garniert mit fröhlichen Blechfanfaren liefert das „Tyrannenlied“ vom Menschenfänger ein Psychogramm aller toxischen Verführer. Und da ja – eigentlich ist auch der ganze Kapitalismus mit seinen Verführungen letztlich ein Todeskult, folgert die britische Journalistin Laurie Penny in „ihrem“ Stück, das aus einem ihrer Artikel entstand. „Tierfreier Nichtraucherhaushalt“ ist eine an sich schon für heutige Zivilisationsneurosen bezeichnende Etikettierung. „The Dorf“ ehrt diese illustre Sprachschöpfung mit einer kleinen Rockjazzoper, in der die Theaterautorin Lisa Danulat ins laute Nachdenken kommt. Auf einer ähnlichen Welle funkt das Finalstück „Selbst und Sucht und Sehen,“ welches Jan Klares Bruder, der Publiziert Jörn Klare beisteuerte.
Die musikalische Steigerungskurve der 27 Musikerinnen und Musiker unter Jan Klares Gesamtregie ist zu diesem Zeitpunkt längst auf dem Zenit unterwegs. Von den plakativen Oberflächen der Songs ausgehend tauchen die Arrangements in das weite Universum raffinierter Möglichkeiten ein, die es so in dieser Mischung wohl nur in diesem Klangkörper gibt. Kompliment auch dafür, wie flexibel die rhythmischen Strukturen dem Gestus der Wörter und Silben folgen – auch das gab es wohl selten so in dieser Form.
Jan Klare ist davon überzeugt, dass der Nährboden der Reflexion fruchtbar bleiben muss, damit die kreative DNA im Dorf und darüber hinaus weiter mutieren kann. Deswegen ging mit diesem Projekt ein ausgiebiges Nachdenken und Reden über Musik einher. Nach 15 Jahren erfolgreicher Bandgeschichte wird in erster Linie nach vorne geblickt. Dieses aktuelle Werk legt Zeugnis davon ab.
Text: Stefan Pieper
The Dorf: Protest Possible Umland Records 2020