Im Jazzfach steckt sie manchmal immer noch. Früher hat Gabriele Hasler „God Is A She“ gesungen und wurde von gestandenen Jazzern wie Bog Degen, Manfred Bründl und ihrem damaligen Partner, dem Modern-Jazz-Schlagzeuger Jörn Schipper begleitet. Von Album zu Album hat sich die aus Hessen stammende Komponistin und Stimmkünstlerin jedoch weiter von herkömmlichen Songstrukturen und Genregrenzen entfernt. Gleichzeitig ist sie immer tiefer in die Sprache selbst als Ausgangsmaterial für ihre Kompositionen eingedrungen.
Dabei überlagert der klangliche Aspekt von Worten nicht selten deren eigentliche Bedeutungsebene. Schon die Vertonung von Texten des in Rumänien geborenen Dichters Oskar Pastior (Sonetburger, frösche und teebeutel) und der Dichterin Gertrude Stein eröffnete mittels feinst geformten Stimmgeräuschen ungeahnte musikalische und Klanguniversen.
Herden und andere Büschel
Mit ihrem Anfang 2020 aufgenommenen und von ihr selbst produzierten Soloalbum „Herden und andere Büschel“ durchstreift die mittlerweile im Wendtland lebende Musikerin mit ihrer Stimme das Tierreich. Es zirpt und schnarrt, rauscht und schwirrt ohne dass die Anmutung entstehen könnte, hier gehe es um ein besseres Huhn, Schaf oder das dünne Gefiepe einer Maus. Verdoppelt und in rhythmischen Klangbildern vervielfacht trifft die vielfach elektronisch verfremdete Stimme auf spannende Echoklänge, Glucksen und aufgescheuchtes Geflattere. In jeweils kurzen Stücken spürt Hasler in faszinierenden Kompositionen verschiedenen Tierpopulationen nach, die Gruppen – Schwarm, Herde, Sprung oder Geheck – auftreten. Neben den packenden musikalischen Räumen, die sich hier auftun, ist damit immanent auch ein gesellschaftlich-ökologisches Statement verbunden.
Termiten
Auch in den übrigen Stücken geht es, wie in „Termiten“, manchmal um größere Einheiten. Hier zerlegt Hasler einen sachlichen Text über eine Aktiengesellschaft nach und nach in konkrete Poesie. Sie lässt bei der Rezitation einen Buchstaben nach dem anderen weg und enthüllt damit einerseits die Lächerlichkeit des Gegenstands, verleiht ihm gleichzeitig aber auch eine große künstlerische Kraft. Emphatisch ihr Stück über einen zwangsneurotischen Verkäufer in einem Bekleidungsgeschäft. Dieser muss die Bügel auf den Kleiderständern immer wieder in exakte Abstände rücken, sonst ist die Symmetrie des Raumes gestört. „Vögel I & II“ bezieht sie auf Valère Novarinas „Die Rede an die Tiere“ und trägt vor geheimnisvollen Klangräumen erfundene Vogelnamen vor. Vergnüglich auch ihre „Erklärung für das nicht so erfolgreiche Leben von Schafen“ durch Aneinanderreihung von simplen, blöden und krätzigen Eigenschaften.
Musikalische Klangpoesie
Diese Wortakrobatik, um es mit einem artistischen Bild zu versuchen, ist der Kern von Haslers großartiger Kunst. Sie kombiniert, vertauscht und würfelt Sätze, Begriffe, Worte und sinnfreie Laute durcheinander. Sie verknüpft sie, türmt sie übereinander und kreiert damit eine berauschende musikalische Klangpoesie. Ähnlich wie bei Ernst Jandl, der auch oft mit Jazzmusikern zusammen aufgetreten ist, um seine wunderbaren Gedichte vorzutragen, eröffnet Hasler damit unerwartete Blick- und Hörrichtungen – und im besten Fall auch ein neues Verständnis zum Beispiel zum Verlust der Artenvielfalt.
CD:
Gabriele Hasler: Herden und andere Büschel, Laika-Records
Besetzung:
Gabriele Hasler – stimme(n), komp, text
Beitragsfoto: Annett Melzer