Daheim spielt die Musik: Zweites Soloalbum des Pianisten Florian Favre

Auf seinem neuen Album widmet sich der Schweizer Pianist Florian Favre seiner musikalischen und geographischen Herkunft: unaufdringlich, humorvoll und verspielt.

Inspiration: Heimat

Stellen Sie sich Idylle vor: saftiggrüne Wiesen, dahinter ragen schneebedeckte Berge in den blitzeblauen Himmel. Von weiter Ferne hören Sie sanftes Kuhmuhen und das dazugehörige Glockengebimmel. Diese Kulisse ist Heimat und derzeitiger Lebensraum des Pianisten Florian Favre. 1886 im westschweizerischen Fribourg geboren lebt er momentan nur wenige Kilometer davon entfernt in einem schnuckeligen Dorf voller verwinkelter Gässchen. Nur einen Katzensprung entfernt von seinem Elternhaus.

Florian Favre wurde von dieser Umgebung zu seinem zweiten Soloalbum inspiriert – den Wiesen, Bergen, Kühen, Menschen und ihren Geschichten, Traditionen, Liedern. Es trägt den Titel „Idantitâ“ – in der Sprache Patois, die in dem Landkreis gesprochen wurde, wo Favre aufgewachsen ist. Heute ist sie quasi ausgestorben. Favres Großeltern konnten noch ein paar Brocken sprechen, der Jazzpianist verbindet mit der Sprache eine Zugehörigkeit zu seinem Zuhause.

Organische Gebilde aus Folklore und Modern

Und dem widmet sich Favre auf „Idantitâ“ (Label: Traumton), zunächst einmal, indem er sich dem musikalischen Erbe seiner Heimat annähert. Mehr als die Hälfte der zwölf Stücke basieren auf Folkloreliedern. Favre zeigt sie nicht nur, er durchleuchtet, dekonstruiert, dreht und wendet ihre Einzelteile und montiert sie schließlich wieder zu organischen Gebilden zusammen. Wie zum Beispiel „Le Lutin du chalet des Rêbes“ vom Komponisten Joseph Bovet (1879-1951), der um die 200 Stücke geschrieben haben soll. Das eigentliche Lied ist für Chor, ein schlichtes Strophenlied. Favre erweitert die Melodie um tonartfremde Schlenker, baut unerwartete Akkorde ein, aber auch ein simples, eingängiges Zwischenspiel, mit jeder Strophe erkundet er neues, musikalisches Terrain. Das trifft auch auf die anderen Adaptionen zu, viele basieren auf Bovets Kompositionen.

Die Stücke wechseln sich ab mit Eigenkompositionen. Auch hier thematisiert Favre seine Heimat – in „Our Cowboy“ mit Selbstironie und Augenzwinkern. Anders als der Inhalt beschränkt sich die Musik nicht auf Favres Herkunft. Zunächst hat er klassisches Klavier gelernt, dann in Bern Jazzpiano und Komposition bei Django Bates studiert. Schnell waren aber auch Einflüsse aus Hip Hop, Pop und Techno in seiner Musik zu hören. Auf „Idantitâ“ ahmt er mit präpariertem Klavier ein Drumset nach: „Don’t burn the witch“ beginnt mit einem markanten Rhythmus, der so gar nicht nach Flügel klingt. Das obere Register hat Favre mit Gewichten präpariert, das mittlere mit einem Spanisch-Wörterbuch und das tiefe mit einem Klavierstimmdämpfer. So entstehen Bassdrum, Kickdrum und Snare.

Balancierte Gegensätzlichkeit

Florian Favre hat keine Berührungsängste. Er zuckt nicht vor eingängigen, simplen Elementen zurück, trotzdem ist seine Musik nie banal. Feingliedrige, hauchdünne Lyrikpassagen ummanteln hakenschlagende Rhythmen und schroffe Sounds. Trotz der vielen Gegensätzlichkeiten entstehen keine Brüche. Auch wenn so gar nicht beabsichtigt, wirkt es eher, als gäbe es zwischen den Stücken Brücken und subtile Überleitungen – hier ein Nachhall, dort eine Akkordfolge oder eine Atmosphäre. Einzig in „Nouthra Dona di Maortsè“ touchiert Favre die Kitschgrenze, indem er im letzten Drittel den ohnehin schon poppigen Teil mit „aaah“- und „uuh“-Gesang unterplüscht.

Text: Sophie Emilie Beha

Soundcloud-Link:

https://soundcloud.com/traumton/sets/florian-favre-idantita/s-Eu8EiFXmTaY?si=7c74b35ca26445eaac3a2811b3166e98

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