Der Junge Münchner Jazzpreis hat auch ein bisschen Glück gehabt. Als im vergangenen Jahr zum Beispiel viele Veranstaltungen abgesagt werden mussten, lag er so günstig zwischen den pandemischen Verschlussphasen, dass er sogar live vor Publikum durchgeführt werden konnte. Die Kontinuität blieb gewahrt. „Ich kann es kaum glauben,“ meint Andreas Heuck, „aber wir gehen in unser zehntes Jahr!“ Selbst ein begeisterter Musikhörer, gehört er zu den Gründungsmitgliedern des Vereins mucjazz, der als private Initiative unter anderem ins Leben gerufen worden war, um eine Lücke zu schließen. Denn Jazz wurde zwar von der Landeshauptstadt gefördert, aber unsystematisch und vor allem in Form von Stipendien oder Musikpreisen. Abgesehen vom BMW Welt Jazz Award gab es keine überregional wahrgenommene Auszeichnung.
Das änderte sich durch die Beharrlichkeit von mucjazz und einiger Unterstützer, so dass die Situation inzwischen vergleichsweise komfortabel ist. Die Stadt freut sich und ihr Oberbürgermeister Dieter Reiter hat die Schirmherrschaft übernommen. Neben den Vereinsmitgliedern und Spendern gehören Institutionen wie die Kulturstiftung der Versicherungskammer zu den Förderern. Der Bayerische Rundfunk ist mit Ü-Wagen und BR Klassik im Boot, der Jazzclub Unterfahrt steht als Austragungsort des Konzertfinales und als Streaming-Host zur Verfügung. Eine kompetente Jury mit Journalist:innen wie Laura Wächter, Oliver Hochkeppel und Musikern wie Michael Wollny und Nils Wülker sichtet die anonymisierten Bewerbungen, in diesem Jahr immerhin 33 Einsendungen aus ganz Deutschland. Und die Musiker:innen stehen mit einem Leuchten im Gesicht auf der Bühne, wenn sie es unter die ersten drei geschafft haben, die vor Publikum um den Jungen Münchner Jazzpreis antreten.
Karoline Weidt zum Beispiel hatte während der vergangenen Monate bereits die Gelegenheit, als artist in residence der Villa Waldberta sich über das übliche Maß hinaus mit Komponieren zu beschäftigen. Dem Programm ihrer Dresdner Band kam diese gestalterische Konzentrationsphase zugute, denn das Quartett mit dem Pianisten Mikolaj Suchanek, der Bassistin Loreen Sima und dem Schlagzeuger Valentin Steinle gönnte sich ein Set abseits des Gewohnten. Zwar fand auch die jazzende Moderne etwa durch die Adaption eines Wayne-Shorter-Stücks Platz im Repertoire. Die meisten Lieder jedoch waren Songs im Wechselspiel von sanfter, kammermusikalischer Textur und improvisierender Gestaltungsfreude. Weidt selbst lehnte sich zurück in den Sound ihrer Band, führte ihn mit klarer, stellenweise dynamischer Emphase an, ließ aber die Gesamtwirkung der Musik als gemeinsame Aussage unberührt.
Aus Nürnberg stürmte das Trio des Pianisten Lukas Langguth auf die Bühne, mit wild romantischem Gestus und der Tendenz zur musikalischen Überfülle. Sie agierten brillant, der Schlagzeuger Jonas Sorgenfrei mit der Fähigkeit zur simultanen, kommentierenden Abstraktion des Gespielten, ohne dabei etwas dem rhythmischen Netz entschlüpfen zu lassen. Der Bassist Hannes Stegmeier fungierte in fortwährender Kommunikation nach beiden Seiten als eine Art Anker des Projekts, ebenfalls hervorragend in der Kunst beiläufig versierter Strukturierung. Der Pianist Lukas Langguth wiederum war kaum zu bremsen, in sich überschlagenden Ansagen ebenso wie in einem überbordend ornamentierenden Spiel, dessen pointierte Geschmeidigkeit dann die Jury überzeugte, ihm den Solistenpreis des Abends zuzusprechen.
Am überzeugendsten schließlich jonglierten der Pianist Luca Zambito und sein Quartett mit den Ideen des modernen, aber nicht in experimentelle Beliebigkeit entgleitenden Jazz. Es war eigentlich ein Sprung in die Neunziger, als Bands wie das Quartett von Joshua Redman die Tradition mit konstruktiver Kraft entrümpelten, wobei Zambito, der Saxophonist Moritz Stahl, der Bassist Nils Kugelmann und der Schlagzeuger Valentin Renner mit dieser Hommage nicht nostalgisch klangen. Ihre Stücken wirkten sehr präsent, organisch wogend im Bandgefüge und mit dem Handwerkszeug der Jazzmoderne so vertraut, dass sie nicht mehr darüber nachdenken mussten. Das wiederum ermöglichte einen Flow fortwährend zirkulierender, sich beeinflussender Impulse, vergleichbar einem neuronalen Geflecht reagierender Gleichzeitigkeit, ohne die gemeinsame Linie zu verlieren. Einfacher gesagt: Die Musik explodierte, ohne zu verglühen. Ein erster Platz aus dem Zentrum des klassischen Jazz, gespielt mit dem Selbstverständnis der offenen Gegenwart. Andreas Heuck und mucjazz können sich freuen. Der Junge Münchner Jazzpreis hat innerhalb noch nicht einmal eines Jahrzehnts ein Niveau erreicht, das sich weit über die Stadt hinaus sehen lassen kann.
Fotos und Text: Ralf Dombrowski
Das Beitragsbild zeigt die Siegerband: Pianist Luca Zambito und sein Quartett