Es hätte kaum schöner sein können: Nach einem Jahr Pause wieder Jazztage in Ingolstadt und dann werden sie beim Abschlusskonzert mit der norwegischen Sängerin Rebekka Bakken auch noch von einer solchen Geschichte gekrönt. Sie geht so: Vor über 20 Jahren lebten die Sängerin und der österreichische Jazz-Gitarrist Wolfgang Muthspiel zusammen in New York: Sie schrieben Songs und veröffentlichten Anfang der 2000er-Jahre zwei Alben. Ihre gemeinsame Tour verzauberte damals das Publikum, auch bei den Ingolstädter Jazztagen. Dann trennten sich die Wege. Das wäre vielleicht so geblieben, hätte nicht fast zwei Jahrzehnte später das Festival-Booking um Ingolstädter Jan Rottau sich an das Duo erinnert und einfach nicht locker gelassen.
Und so standen Rebekka Bakken und Wolfgang Muthspiel nun wieder gemeinsam in Ingolstadt auf der Bühne, selbst etwas verwundert. „Wir sind sehr dankbar für diese Initiative“, sagte der Gitarrist, „wir glauben, dass jetzt vielleicht das nächste Kapitel unserer Zusammenarbeit beginnt“. Dass diese Geschichte mehr als ein PR-Gag ist, bewiesen die beiden selbst. Man glaubte ihnen, dass sie sich erst in Ingolstadt zum Proben getroffen hatten – weil Rebekka Bakken bei einem offenbar unerwarteten Intro einen ehrlich fragenden Blick aufsetzte und weil die beiden sich beim Einstieg nach dem Solo auch mal in der Tonart uneins waren.
Andererseits zeigten die beiden bemerkenswerten Songschreiber und Interpreten auch deutlich, warum eine fortgesetzte Zusammenarbeit eine gute Nachricht wäre: Sie agierten, wie es nur Musiker können, die schon viel zusammen erlebt haben und sich intuitiv verstehen. Wolfgang Muthspiel schien sich förmlich an der Performance von Rebekka Bakken festzusaugen und reagierte feinsinnig auf ihre Stimmungen. Und die sind komplex: In der Ballade „Beloved be you“ schmückte sie die simpel aufgebauten Strophen mit unvorhersehbaren Verzierungen. Sie kann kantig-folkig wie in „Didn’t I“ oder auch mystisch-spannungsvoll, wenn sie die gefälligen Gefilde zeitweise verlässt. Der Gitarrist begeisterte mit seinen dank Loop-Technik mehrschichtigen Soloparts, für die ihm Bakken mit ehrlicher Bewunderung die Show überließ. Welche Songs die beiden wohl heute gemeinsam schreiben würden? Laut Bakken haben sie schon darüber nachgedacht. Eins sei im Gegensatz zu den vielen alte Liebesliedern sicher: „The drama is gone.“
Jazztage setzen in der Krise auf Regionalität
Das Konzert von Bakken und Muthspiel setzte einen gelungenen Schlusspunkt hinter ein Festival, das solide durch den Corona-Herbst 2021 gekommen ist: Anspannung war durchaus da, denn 2020 hatte man nach der Eröffnung alle weiteren Konzerte absagen müssen. Auch heuer lief nicht alles glatt. Die Headliner Melody Gardot und Jamie Cullum sagten ihre Tourneen ab. Die Konzerte waren sehr kurzfristig angekündigt und zum Teil deutlich schlechter besucht als sonst. Dennoch gelang es den Verantwortlichen heuer ein Programm mit einigen großen Namen aufzufahren.
Daneben setzte man auf regionale Vielfalt und traf damit ins Schwarze. Denn abseits der großen Namen waren da einige Sternstunden zu erleben: Eine audiovisuelle Minimal-Music-Performance mit einem Strichquartett des Georgischen Kammerorchesters Ingolstadt, ein bombastisches Jazzförderpreisträger-Konzert mit der Sängerin Birgit Zinner und einer komplett regionalen Band, ein großartiger Abend mit dem Münchener Quartett Kilian Sladek Fragments und eine Live-Electro-Performance des Trios Klangphonics aus Regensburg. Diese Acts fühlten sich keineswegs nach einem Notprogramm an und bewiesen: Jazz lebt von der Szene, vom gemeinsam gefeierten Erlebnis. Und das funktioniert, bei guter Organisation, zum Glück auch in der Krise. Sollte das Festival jetzt auch noch ein neues Album von Bakken und Muthspiel angezettelt haben, dann wären die Jazztage 2021 vollends ein Zeichen der Hoffnung.
Text: Katrin Poese
Beitragsbild: Rebekka Bakken und Wolfgang Muthspiel. © Reinhard Dorn