„Jazz trifft Oper“ hieß es zum Auftakt der Saison im Nationaltheater in München. Die Bayerische Staatsoper lud bis zum 26. 9. zum „Septemberfest“ ein, mit dem sie erstmalig die neue Spielzeit mit dem Publikum feiern wollte. Höchste künstlerische Qualität sollte für die gesamte Breite der Bevölkerung zugänglich und erlebbar sein. Diese Vision zählt zu den wichtigsten Zielen des neuen Staatsintendanten Serge Dorny. „Ich glaube nicht, dass ich ein Türhüter bin für ein Mausoleum“, postulierte er schon bei seiner Vorstellung im März. Bei „Jazz trifft Oper“ wurde die Vision nun schon mal ein Stückchen Realität.
Das ursprünglich geplante Konzert mit der „Special Edition“ des italienischen Trompeters Enrico Rava musste abgesagt werden. An seiner Stelle kam nun mit Michel Portal eine andere herausragende Persönlichkeit des zeitgenössischen europäischen Jazz. Aber der Klarinettist ist ebenso in der Filmmusik und in der Klassik zu Hause, reüssierte in der Neuen Musik ebenso wie als Begleiter und Arrangeur von Edith Piaf.
Fast acht Jahrzehnte für die Musik
In seiner einzigen, leise auf Französisch gesprochenen Ansage, zu der ihn sein Pianist erst drängen musste, entschuldigte der 85-Jährige schalkhaft seine fehlenden Fremdsprachenkenntnisse. Neben dem Klarinette-Üben seit dem sechsten Lebensjahr habe er zu nichts anderem Zeit gefunden. Im festlichen Rahmen des Nationaltheaters, das vielleicht zur Hälfte mit Zuhörern gefüllt war, die doch eher Stammpublikum des Hauses zu sein schienen, betonte Portal seine Liebe zur klassischen Musik wie zum Jazz. Fast kein Tag vergehe, ohne dass er Mozart, Schubert oder Schuhmann höre oder spiele. Es folgten artige Komplimente zum beeindruckenden Ambiente des Hauses. Die sonstigen spärlichen Ansagen übernahm Bojan Z auf Englisch: „Mein Deutsch ist kaputt.“
Ein Fokus auf dem Zusammenspiel
Im knapp anderthalbstündigen Konzert auf der Vorbühne über dem Orchestergraben stellte Portal sein letztes, Anfang dieses Jahres erschienenes Album „MP 85“ (Label Bleu CD LBLC 6736, EAN 3 521383 464687, LP LBLV 6736) vor, das 2020 anlässlich seines 85. Geburtstags entstand. Von der Originalbesetzung war in München nur Bojan Z. (Flügel, E-Piano, Synthesizer) dabei. Andreas Tschopp vertrat virtuos und technisch versiert Nils Wogram an der Posaune. Nicht nur in dessen herausfordernder Up-Tempo-Nummer „Splitting the Difference“, in der auch die Schnelligkeit von Lippen und Zug-Arm gefordert war, erwies sich Tschopp, den man auch aus Andreas Schaerers Band „Hildegard lernt fliegen“ kennt, als ebenbürtig. Großartig dabei nicht nur die Soli der Melodieinstrumente, sondern auch die Unisono-Passagen, kurz und witzig. Überhaupt prägte neben der Ausstrahlung des Solisten Portal das Zusammenspiel der Band den Abend, immer wieder auch im Unisono von Bassklarinette und Posaune, wie es auch von Bojan Zulfikarpašic‘ Komposition „Full Half Moon“ in Erinnerung ist.
Bescheiden und zurückhaltent im Auftreten, zupackend, einfühlsam und witzig im Spiel
Beginnend mit perkussivem Spiel auf Deckel und Rahmen des Flügels, in das sich nacheinander Bassklarinette und Posaune mit einer choralartigen Melodie einbringen, entwickelte sich ein Hauch von Orient. Östliche Stimmung verbreitete auch das elegische „Armenia“, geprägt vom zweistimmigen Bläserspiel. Wie dieses Stück stammten alle weiteren aus der Feder des Bandleaders, der sie oft mit sparsamen Bewegungen einhändig dirigierte. Melodiösität und rhythmische Vielfalt waren auch die Merkmale der übrigen Kompositionen. Sie waren kein Rückblick auf eine fast 80-jährige Musikerkarriere, sondern die Momentaufnahme seines derzeitigen Schaffens, in dem die Freejazz-Vergangenheit nur gelegentlich am Rande aufschien wie in „Jazzouli“. Immer wirkte der Meister in seinem gelassenen Auftreten sehr bescheiden und zurückhaltend, ja fast schüchtern. Im musikalischen Ausdruck auf der Bass-, gelegentlich auch Sopranklarinette und auf dem Sopransaxophon aber war er zupackend, einfühlsam und witzig.
Julien Herné an der Bassgitarre sorgte im Hintergrund für eine dezente Basis, ohne die solistischen Freiräume, die Bruno Chevillion auf der CD hat. Stéphane Galland am Schlagzeug zeigte sich als zurückhaltender, filigraner und zugleich differenzierter Begleiter und auch einmal Solist am Schlagzeug.
Jazz und Oper sollten sich in München ruhig öfter treffen.
Godehard Lutz
Beitragsbild: Michel Portal. Bild: Wilfried Hösl