Es gibt Musik im 4/4-Takt, im 3/4-Takt und im Jazz auch gerne balkanesk-angehauchte 5/4- oder 7/8-Takte. Die Jazzrausch Bigband lässt alle diese Möglichkeiten links liegen und hat sich von Beginn an spezialisiert auf den 1/1-Takt, sprich auf Techno-Grooves. Auf stupide Beats per minutes lässt sich diese Formation aber nicht herunterrechnen. Das war am gestrigen Donnerstagabend auch im Jazzrausch-Konzert vor imposanter Glas- und Stahlkulisse der Piazza des Gewerbeparks Regensburg zu hören. Nach einjähriger erzwungener Corona-Pause ging die 2016 im Münchner Club „Töchter & Rausch“ geborene Band auf der Piazza ihrem Gewerbe nach und stellte die ihre neue CD „téchne“ vor.
Ein erstes Resümee: Bandleader Roman Sladek, Komponist Leonhard Kuhn und die knapp 20-köpfige Formation sind sich treu geblieben: auf dem 1/1-Klangteppich aus dem Computer entfaltet die Band mit Schlagzeug, Posaunen, Trompeten, Tuba, Saxophonen und Bassklarinette, Gitarre und Bass ein Feuerwerk an Bigband-Sounds. Entfesselte Improvisationen, etwa von Moritz Stahl, Daniel Klingel und Florian Leuschner, geben dem Wörtchen „Jazz“ im Bandnamen neuen Sinn. Was den Ursprung des Namens „Jazzrausch“ betrifft: Jazz wird hier nicht mit den im Techno-Wesen gebräuchlichen bunten Pillen in Verbindung gebracht. Allein die Musik erzeugt den Rausch. Betitelt nach dem bereits erwähnten Club „Töchter und Rausch“ in München suchte die Band bald ein neues Domizil, da dieser wegen nächtlicher Ruhestörung schließen musste. Man blieb in München und zog um von der Falkenturmstraße in die Goethestraße 21 und wurde Resident Band im Techno Club Harry Klein, wo man das Publikum mit Jazz-Techno anwärmte bis die DJs ab Null Uhr das Regiment über die im Groove wogende Menge übernahmen.
Wie gewohnt hat Jazzrausch nicht nur Musik für Po, Beine und Bauch im Programm, sondern will Intellektuelle oder – trotz aktueller Nachrichtenlage – unverdrossen sinnsuchende Menschen im Publikum ansprechen. Nach Vertonungen von Texten des Philosophen Wittgenstein (Dancing Wittgenstein), nach den geschmackvollen Arrangements geistvoller Weihnachtslieder (Still! Still! Still!) und einem nicht zufällig im Beethoven-Jahr 2020 lancierten Beethovenalbum (Sonata) bietet das Album „téchne“ des Jahres 2021 neben Beats und tiefsten Bässen auch Hochkultur: einen Song „Der Literat“ mit einem Gedicht von Hugo Ball. Komponist und Soundtüftler Leonhard Kuhn las schon lange gerne die Verse des Dadaisten und Hesse-Biographen Ball und entdeckte dabei auch „Der Literat“, für ihn ein perfekt für „Jazzrausch“ geeignetes „lautmalerisches Techno-Gedicht“:
Ich bin der große Gaukler Vauvert
In hundert Flammen lauf ich einher.
Ich knie vor den Altären aus Sand,
Violette Sterne trägt mein Gewand.
Aus meinem Mund geht die Zeit hervor,
Die Menschen umfaß ich mit Auge und Ohr.“
Besser als Hugo Ball postum kann keiner das künstlerische Credo der „Jazzrausch“ Bigband beschreiben. Wer sich vom berauschenden Sound des jungen Orchesters mit Auge und Ohr umfassen lassen will, Jazzrausch ist noch bis Ende des Jahres auf Deutschlandtour:
www.jazzrauschbigband.de/#dates
Text: Andreas Kolb / Fotos: Susanne van Loon