Full Blast. Foto: Hufner
Full Blast in der Akademie der Künste Berlin. Foto: Martin Hufner

Peter Brötzmann 80 – eine Preiskonzert-Erinnerung

Peter Brötzmann wird am 6. März 2021 seinen 80. Geburtstag feiern. Dummerweise an einem Samstag, denn die Radio-Sendungen zu Peter Brötzmann sind dann schon am Donnerstag und Freitag gelaufen (siehe unten die Links mit Sendungen von Lippegaus, Noglik und Loewner). Samstag ist Badetag mit Bundesliga. Auch in Zeiten der Pandemie.

Im Jahr 2011 hat Peter Brötzmann im zarten Alter von 70 Jahren den Albert-Mangelsdorff-Preis erhalten. Verliehen wurde er in der Berliner Akademie der Künste (West). Markus Müller sprach die Laudatio. Manfred Schoof und der mittlerweile verstorbene Frank Dostal überreichten ihm seinen Preis und das Preisgeld. Nele Hertling, damals Vizepräsidentin der Akademie der Künste erinnerte an die künstlerische Situation in den 60er und 70er Jahren.

Martin Hufner berichtete exklusiv für die neue musikzeitung. Seine Beobachtungen mit der notorischen Urgesteins-Faselei wiederholen wir an dieser Stelle. Denn manch Einblick ist vielleicht doch tief genug.


Unterwegs sein –
Jazzmusiker Peter Brötzmann erhielt Albert-Mangelsdorff-Preis

Er ist mittlerweile 70 Jahre und immer noch gilt er als ein, wenn nicht „das“ Urgestein des freien Jazz in Deutschland seit den 60er Jahren. Peter Brötzmann hat zur Eröffnung des Cage-Jahres und zugleich als Auftaktkonzertes des „Workshops Freie Musik“ in der Akademie der Künste Berlin, im Hanseatenweg, den Deutschen Jazzpreis erhalten. Im Trio „Full Blast“ mit Michael Wertmüller (Schlagzeug) und Marino Pliakas (E-Bass) zelebrierte er die Auszeichnung mit bekannter Vehemenz.

Bekannt, doch unbekannt. Der Druck, den Brötzmann musikalisch in seinen verschiedenen Formationen auszudrücken in der Lage ist, ist nicht überraschend. Man weiß es. Aber immer wieder erstaunt es einen, was dann passiert. Es ist kein Metier, keine Routine, es ist jedes Mal wie zum ersten Mal. Man wird praktisch, stehend oder sitzend, nach hinten weggedrückt. Ein dichtes Gebläse und Geschlage, vom Bassspiel als musikalischer Trägersubstanz, gehalten und angetrieben.

Verwunderlich ist eher, dass Brötzmann erst jetzt den Preis zuerkannt bekommen hat. Laudator Markus Müller erinnerte sich, dass er auch schon 1994, bei der ersten Preisverleihung im Gespräch war, aber, wie er meinte festzustellen, nicht „durchsetzbar“ gewesen wäre. Die 90er Jahre waren nicht so golden.

Peter Brötzmann und Nele Hertling. Auf dem Weg. Foto: Hufner
Peter Brötzmann und Nele Hertling. Auf dem Weg. Foto: Hufner

Nele Hertling, Vizepräsidentin der Akademie der Künste, erinnerte in ihrer Begrüßung an die späten 60er und frühen 70er Jahre. Als Brötzmann und die ganze avancierte Jazzszene, gehalten vom Gefühl der Umbrüche, zu freien Formen expressiver Kunstproduktion neigte. Der Remscheider Brötzmann, der in die Großstadt ging, nach Wuppertal, und zusammen mit dem Bassisten Peter Kowald, musikalische Klein- und Großversuche in Richtung Ausbruch wagte. Als die „Workshops Freie Musik“ zu musikalischen Wagnissen wurden, die zwischen Anarchie und Zusammenbruch, zwischen Maulschelle und dem Vorwurf des Repression geführt wurden.

Ist heute eine Zeit für eine Renaissance, im Zeitalter kultureller und gesellschaftlicher Erschöpfung? In einer Zeit, da die musikalischen Impulse immer weniger zu wiegen scheinen, als deren Verwurstung durch Vermittlungsinitiativen? Brötzmann selbst sieht in seiner Dankesrede einige Probleme. Der kulturelle Boden in Deutschland sei nicht gut bestellt, stellt er fest. Er komme gerade von einer Chinareise zurück, auf der er drei Wochen lang musikalisch zu tun hatte. In Deutschland könne er die Orte, auf denen er auftreten könne und die wenigstens eine minimale Gage anbieten könnten, an einer Hand abzählen. Da sei selbst Österreich ein Vorbild. Früher sei das anders gewesen, man habe drei bis vier Wochen zwischen Kiel und Villingen („oder sogar München ab und zu“) unterwegs sein können. Warum dies so wichtig ist? Man lerne diese Musik „nur on the road“, sagt Brötzmann. Diese Musik sei keine Musik, die man lehren kann: „Deswegen sind auch Musikhochschulen in unserem Falle völlig nutzlos. Man muss unterwegs sein, man muss zusammen unterwegs sein.“

„Deswegen sind auch Musikhochschulen in unserem Falle völlig nutzlos. Man muss unterwegs sein, man muss zusammen unterwegs sein.“

Peter Brötzmann

Und so ist Peter Brötzmann unterwegs, sein Leben lang schon. Ihn begleiten, wenn man sich beim anwesenden Publikum umschaut, die Jungen und die genauso Bärtigen wie er selbst. Zwischendrin, in der langwierigen Laudation von Markus Müller macht sich für einen Moment Unmut breit. Es möge losgehen. Und einer sagt es auch laut. Zeichen der Zeit, er bekommt für Momente ebenso Zustimmung wie Kopfschütteln als Resonanz.

Dann nach der Preisverleihung durch Frank Dostal (GEMA-Stiftung) und Manfred Schoof (Deutscher Komponistenverband), geht es wirklich los. Mit dem musikalischen Druck, der seine Musik immer wieder begleitet.

Als drittes und letztes Stück spielen „Full Blast“ Colemans „Lonely Woman“ – eine Ballade verklärungsfrei. Schön, dass diese Musik niemals Tagesbegleitmedium geworden ist.

Sein Preisgeld, so Brötzmann, will er für seine Zähne aufwenden.


Nachtrag: Wir wissen jetzt nicht, ob das Preisgeld für die Sanierung gelangt hat.


Die Radiosendungen der letzten Tage

4.3.2021: 21:05 bis 22:00 | Deutschlandfunk (Karl Lippegaus)
JazzFacts: Der Unbezähmbare – Porträt des Wuppertaler Musikers Peter Brötzmann (nachhören)

5.3.2021: 23:03 bis 00:00 | SWR 2 (Thomas Loewner)
SWR2 NOWJazz: Full Blast – Peter Brötzmann zum 80. Geburtstag (website – nachhören)

5.3.2021: 23:30 bis 00:00 | NDR Kultur (Bert Noglik)
Jazz – Round Midnight: Kompromisslose Leidenschaft – Peter Brötzmann wird 80 (nachhören)

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2 Kommentare

  1. Gratulation Peter Brötzmann zum 80.! In den Achtzigern hatte ich mal in einer Konzertrezension in einem Magdeburger Blatt die Maßeinheit des Jazz als Brötz definiert. Also 100 brötz = brodelnde Lava plus x. Aber die 100 hat nur er selbst erreicht. Gern erinnere ich mich an seine Konzerte mit ostdeutschen Jazzern hierzulande. Unvergessen. Jazz ist für mich, wenn das Kondenswasser der Bläser in die Drinks tropft und die Leute später wie von Sinnen von den Stühlen hochspringen, wenn in einer Konzertpause in der Küche nebenan versehentlich Geschirr zu Boden gekracht war.

  2. Aller herzlichen Dank für alle und einem , dem wir so viele unvergessliche Stunden zu verdanken haben …. es gibt nicht genug Worte, die diese Emotionen wieder geben können, die einen in sich vibrierenden Körper glücklich nach einem Konzert nach Hause begleiten …. Danke Peter Brötzmann

Kommentare sind geschlossen.