Man muss schon ein wenig stöbern – heutzutage natürlich ziemlich einfach – um dahinter zu kommen, was der Münchner Sänger und Komponist Kilian Sladek mit dem Albumtitel ausdrücken will. „Syllabulism“ liegt phonetisch nahe beim Wortbestandteil Silbe und beschreibt mit dem anglisierten Nomen den silbenweisen – syllabisch(en) – Gesang über den Notenwerten eines Chorals oder Liedes. Silben in Form von textlosem Gesang prägen das Debütalbum, das Sladek mit seinem jungen Quartett mit Hilfe einer Fundraising-Aktion auf Startnext (Unit Records) auf die Beine gestellt hat. Zuvor ist lediglich eine EP des Quartetts als quasi Appetizer erschienen.
Die sieben Eigenkompositionen Sladeks sind sowohl von ihrem Gehalt, wie auch formal sehr unterschiedlich. Wirkt beispielsweise das entspannt-heitere „Inner Peace“ mit viel Fingerschnippen, rhythmischem Backgroundgesang und Händeklatschen wie eine raue, improvisierte Bobby McFerrinsche Reinkarnation, hebt hinter der Himmelspforte – „Heaven
s Gate“ – der 2017 verstorbene Al Jarreau vergnügt lachend beide Daumen. Nun ist es keineswegs so, dass hier ein Epigonenalbum entstanden ist, aber die beiden Vokalkünstler sind nun mal die Referenzpunkte, wenn es um Jazzgesang und Vokaltechniken geht. Und davon beherrscht der 26-jährige Münchner, der wie seine Mitmusiker an der dortigen Musikhochschule studiert hat, Sladek als Masterabsolvent, jede Menge sehr souverän.
Sein Handwerk und eine enorme stilistische Breite und Tiefe hat er sich als Mitglied der Bayerischen Chorakademie, des Vokalensembles des BuJazzO, dem Jugendjazzorchester der Bundesrepublik Deutschland, sowie bei internationalen Wettbewerben und in Bands wie der großartigen Jazzrausch Bigband erarbeitet. Schwebende Vokalisen in „Silent Warriors“ lassen die Kraft der Mediation spürbar werden, der Sladek mit diesem Stück eine Hommage widmet. Dagegen holt das nachfolgende Titelstück mit seiner bluesig-rhythmischen Ausgestaltung die Hörer*innen rasch wieder auf den Boden oder besser die feucht-warme Strasse zurück, über die das Quartett vergnügt tänzelnd gute Laune verbreitet. Über das extrem schnelle „Mao Tai“ sagt er selbst in einem Interview mit Angela Ballhorn: „Das Stück habe ich in einer Nacht in Peking geschrieben. Ich hatte die konzeptionelle Idee extrem Schnelllebiges ruhige Gegenden und weite Flächen gegenüberzustellen. Die Energielevel habe ich versucht mehr als Stimmungen, denn als Melodien darzustellen“.
In die Vollen geht er noch einmal in „In a spiritual mood“, mit dem das Album ausklingt. Begleitet von großen Gongs gleitet Sladek mit seiner warmen Baritonstimme hier in Oberton- und Kehlkopfgesang – verstärkt durch starken Hall – und öffnet damit ungewohnte Klangräume. Nur bedingt nachvollziehen lässt sich, was der junge, ehrgeizige Künstler über den ersten Song „AZ-5“ – damit wird der Notfallknopf zum Abschalten eines Atommeilers bezeichnet – sagt. Bei diesem liess er sich von der verhängnisvollen Kettenreaktion des Atomunglücks in Tschernobyl inspirieren, die rund acht Jahre vor seiner Geburt die Welt in Panik versetzte. Die eindringliche Komposition startet mit einem Pianoostinato, durch welches das Schlagzeug stolpert. Daraus steigt die scattende Stimme empor, während sich der Song nach und nach aufbaut und in einer Entladung kulminiert, die allerdings kaum etwas von den explosiven Affekten des ausbrechenden Brandes transportiert – „um sich abschließend wieder in verstrahlter Stille zu verlieren“.
Ein insgesamt etwas uneinheitliches Album, welches dennoch ein enormes kreatives Potential und ein pulsierende musikalische Energie sicht- und hörbar macht. Und nicht zuletzt ist es eine Freude endlich wieder einen fähigen Sänger erleben zu dürfen, der seine Fähigkeiten und seine Power hoffentlich bald wieder vor Publikum auspacken kann.
Von Michael Scheiner
Kilian Sladek Quartet, Syllabulism, Unit 10341724
Besetzung: Thomas Ganzenmüller (Kontrabass), Manuel Pliefke (Schlagzeug), Maximilian Hacker (Klavier) und Kilian Sladek (Gesang, Komposition)