Eigentlich war alles geplant: eine große Tour mit Herbie Hancock zu seinem 80. Geburtstag, die Veröffentlichung einer Solo CD mit begleitenden Club-Konzerten im Herbst … und dann kam schließlich alles anders! Aber irgendwie muss man sich in dieser Situation zu helfen wissen.
Da sich der Gitarrist Lionel Loueke momentan in Europa aufhält wurde telefoniert, organisiert und so ergab sich nun trotz aller Widrigkeiten wenigstens eine kleine, feine „Mini-Solo-Tour“ mit Auftritten Berlin, München, Wien und Barcelona. Letzte Woche führte ihn sein Weg in den Münchner Jazzclub Unterfahrt, der nach wie vor Live-Konzerte veranstaltet und diese für ein treues Jazz-Publikum streamt. Genau vor einem Jahr, am Freitag, den 13. März (!), mussten landesweit alle Konzerte abgesagt werden. So auch im Jazzclub Unterfahrt. In der Zwischenzeit fanden dort nichts desto trotz 156 Konzerte statt, die über 100.000 Zuhörer live an den Geräten verfolgten. Allein 40.000 Jazzfans begleiteten die Konzerte dabei in voller Länge und konnten so online per Stream erstklassigen „Live-Jazz“ genießen.
Mit Spannung wurde vergangenen Samstag die Ankunft von Lionel Loueke in München erwartet. Offizielles „get in“ war um 16:30h geplant, doch die Zugverbindung brauchte 120 Minuten länger, und so kam Loueke zwar verspätet, trotz allem aber gechillt im Münchner Jazzclub Unterfahrt an. Auf der Bühne vorbereitet waren ein Stuhl, zwei Scheinwerfer und ein paar Kabel – das war im Technical Rider aufgeführt. Und mehr braucht Lionel Loueke auch nicht. Seine einzigartige E-Gitarre, die nur aus einem Rahmen und besaitetem Hals besteht wird unkomplizert zusammengesteckt, ein Foot-Pedal aufgestellt, Kabel angeschlossen, In-Ears verbunden … Saiten stimmen, anspielen, Mikrofoncheck, Balance o.k., Licht für den Stream passt, fertig! Da bleibt trotz knapper Zeit bis zum Auftritt noch genügend Muße für einen Imbiss, erstellen der Setlist und kurzer Rückzug in die Backstage-Lounge, um dann einen spannenden Abend in Angriff zu nehmen.
Louekes Spiel ist, trotz aller rhythmischen Finessen und Grooves, immer close to the heart. An diesem Abend nimmt er das Online-Publikum mit auf die Reise in den musikalischen Kosmos des Jazzpianisten Herbie Hancock. Was Louekes Versionen der Titel ausmacht ist die fantastische Kombination von Originals und afrikanischer Tradition, die grundsätzlich in seine Musik und Improvisationen einfließen. Der Konzertabend begann gleich mit dem Knaller „Hang Up Your Hang Ups“, gefolgt von „Driftin‘ “, „Tell Me A Bedtime Story“, „Rockit“, Louekes Tribute „Hommage To HH“, dem Klassiker „Butterfly“ & last not least „Cantaloupe Island“. Als Zugabe präsentierte er schließlich ein eigenes, sehr bewegendes Stück „Vignin – a song for peace and love“. Schöner und versöhnlicher kann ein Abend nicht ausklingen. Ein Konzerthighlight, das einem lange in Erinnerung bleiben wird.
Lionel Louekes aktuelle, auf dem Label Edition erschiene Aufnahme „HH“ bedeutet natürlich nicht Hansestadt Hamburg, sondern steht als Abkürzung für seinen Mentor Herbie Hancock, dem er dieses Album gewidmet hat. Die Herangehensweise an Klassiker wie z.B. „Speak Like A Child“ oder „Rockit“ sind typisch für Loueke. Er lässt Themen erkennbar klar strukturiert und schafft durch rhythmisch clevere Nuancen, musikalisch gepaart mit afrikanischen Einflüssen, eine beindruckende Hommage, die auf diese Weise gleichwohl die Vielseitigkeit von Hancocks Kompositionen widerspiegeln. Auf „HH“ nimmt sich Loueke insgesamt zwölf Hancock Titel vor, ergänzt um zwei Eigenkompositionen, in denen er sich souverän vor dem Meister verbeugt. Ein rundherum gelungenes Solo-Tribute-Album, das von Anfang bis zum Ende begeistert!
CD, Vinyl & Digital: Lionel Loueke „HH“
Edition Records EDN 1161 LC28731
Text & Fotos: Thomas J. Krebs