Die Nachtigall als Jazzstar? Frei improvisierender Klangkünstler? Melodiöser Interpret? Ganz so surreal abgehoben ist es nicht, wenn der amerikanische Jazzklarinettist und Philosoph David Rothenberg in seinem Buch von Berlin als „Stadt der Nachtigallen“ erzählt. Selbiges diente nun als Grundlage für eine Hör-CD gleichen Titels. Auf dieser sind – natürlich – Nachtigallen mit ihrem wunderbaren, vielgestaltigen Gesang zu hören, die Stimme von Schauspielerin Eva Mattes, die erzählt wie es zu der Aufnahme gekommen ist und Ausschnitte aus dem Buch liest, Rundfunksprecher Julian Mehne und Rothenberg mit seiner Klarinette.
Vogelgesang hat in der Musik schon häufig eine mehr oder weniger bedeutende Rolle gespielt. Im Barock ist oft darauf Bezug genommen worden, weil Komponisten damit die strengen Kompositionsprinzipien durchbrechen konnten. In der Neuzeit war es vor allem der französische Komponist Olivier Messiaen, der Vogelrufe in einigen Werken eingearbeitet hat. Aber auch der große Posaunist Albert Mangelsdorff aus Frankfurt/Main war fasziniert von Vogelgesang und hat in seiner Musik immer wieder darauf Bezug genommen. Zwei Saxofonisten, der bereits verstorbene Paul Horn und Paul Winter, die beide als Wegbereiter der New-Age-Musik gelten, beschäftigten sich musikalisch mit Vogel- und anderen Tierstimmen und bezogen in ihre Musik auch Naturgeräusche ein.
Rothenberg, der unter anderem Alben mit Marilyn Crispell, Glen Velez und Lewis Porter veröffentlicht hat, geht noch einen Schritt weiter – er spielt mit den Nachtigallen. Dabei ist er überzeugt, dass diese Vögel nicht nur Balz- und sonstige funktionale Rufe von sich geben, sondern tatsächlich auf ihn und sein Klarinettenspiel reagieren.
Auf der CD haben die musikalischen Parts einen eher geringeren Anteil. Es sind poetisch feine melodische Fragmente, die mit dem Gesängen der Vögel korrespondieren. Dahinein weben sich Vokalisen der Berliner Jazzsängerin Cymin Samawatie , die wie der türkischstämmige Elektromusiker Korhan Erel, eine estnische Sängerin Lembe Lokk und ein syrischer Oud-Spieler an Aufnahmen beteiligt waren. Mit ihnen ist er abends losgezogen, um in Parks und Brachflächen, wo besonders viele Nachtigallen um die schönsten Gesänge und Triller wetteifern, mit den Vögel zu spielen. In seinem Buch und Texten geht Rothenberg auch auf die jeweiligen biografischen Hintergründe der beteiligten Musiker ein und sucht nach Verbindungen zwischen den so unterschiedlichen Lebenswelten, wie dem als Zugvogel und dem als Flüchtling. Es ist schon erstaunlich und wunderbar die weibliche Stimme zusammen mit den so unterschiedlichen Vogelrufen und -melodien zu hören. Mag das auch wenig oder gar nichts mit Jazz – aber durchaus mit Improvisation – zu tun haben, das musikalische Feature eröffnet beim Hören und Zuhören neue Gedankenkanäle und ermöglicht Zugänge zu unseren natürlichen Nachbarn im Garten, die auch zu mehr Respekt dem Federvieh gegenüber führen kann.
In einer Zeit, wo sich immer stärker die Erkenntnis durchsetzt, dass wir Menschentiere für die Ausrottung ganzer Heerscharen von tierischen Mitlebewesen ursächlich verantwortlich sind, ist das keineswegs wenig.
Michael Scheiner
David Rothenberg, Stadt der Nachtigallen. Berlins perfekter Sound, Argon Verlag/Rowohlt Verlag isbn 978-3-8398-1790-2,
David Rothenberg – cl
Eva Mattes – sprecherin
Julian Mehne – sprecher
Gastmusiker
Vielen Dank für die schöne Rezension, Herr Scheiner. Ich muß aber eine sehr wichtige Korrektur machen. Die Berliner Jazzsängerin ist Cymin Samawatie, nicht Simin Tander.