Manchmal wirkt Matthias Schriefl wie ein Grimmelshausen des Jazz. Dann schlüpft er in die Rollen eines Simplizissimus’, um Aberwitziges mit der Geste des Naiven zu präsentieren. Ein bisschen Unsicherheit ist auch dabei, etwa dem strukturell rätselhaften Medium des Streams gegenüber, das der Unmittelbarkeit des Live-Erlebens die Glocke des Artifiziellen überstülpt, ohne künstlich sein zu wollen. Famos einerseits, weil es das Verbotene – den Kontakt mit der Musik in der Gemeinschaft von Künstler und Publikum – als mediale Mischform zugänglich macht, bleibt es für jemanden wie Schriefl ein Konstrukt, das er irgendwie zu untergraben versucht. Denn normalerweise zehrt seine Präsenz von der Interaktion mit den Zuhörern, vom Aberwitz schräger Aktionen, seltsamer Kostüme und schriller akustischer Überraschungen in Kombination mit betörender Musikalität und hinreißender Virtuosität. Beim Medium Stream bleiben davor noch enigmatisch alberne Ansagen übrig und die Konzentration auf den gestalterischen Gehalt, der allerdings vor Opulenz nur so brodelt.
Ein rasantes Gipfeltreffen
Und der die beteiligen Musiker des Septetts Six Alps & Jazz schwitzen lässt. Denn Schriefl hat eingedenk des fast vergessenen Jubeljahres ein Beethoven-Programm konzipiert, das einige Gassenhauer des Meisters mit einer Mischung aus Frechheit und Ehrfurcht auf sein multiinstrumentales Crossover-Ensemble überträgt. In Ermangelung eines Konzertalltags und daher auch der Spielroutine fordert es mit wild komplexen Arrangements heraus, die farblich, rhythmisch, strukturell die Vorlagen neu sortieren, oft haarscharf an der Gernegrenze zur Satire entlang, die Schriefl aber souverän nicht überschreitet. Die „Pathétique“ wurzelt dabei mal in louisianischen Sümpfen, um zu Gil-Evans’schem Klangschillern überzuleiten oder dem Pathos den Groove zur Seite zu stellen. Eine „Elise“ wird zum Powerstück zerhekselt und der Götterfunke mit reichlich Emphase in den Raum gerufen.
Volltönendes Vergnügen
Schriefls inhaltliches Schelmentum ist ein volltönendes Vergnügen für den Intellekt und es funktioniert nur deshalb so stimmig, weil die Six Alps & Jazz ein Hochleistungsensemble ist, das von den fliegenden Instrumentenwechseln bis zum Akzentdetail den Wahnwitz des Experiments in Wirklichkeit übersetzen kann. So kommt der alte Ludwig doch noch zu seinem Jubiläums-Recht einer wohlmeinend ungehörigen Adaption und die Welt konnte das Konzert im klanglich wie optisch rundum professionellen Stream des Jazzclubs Unterfahrt miterleben. Schön, dass es das gibt und auch weiterhin geben wird. Denn die pandemische Gesundheitsvorsorge wird das Publikum voraussichtlich bis Weihnachten in den Heimclub schicken. Und das Team in der Einsteinstraße lädt weiterhin und unermüdlich zum Ko-Erleben ein. Geplant sind Streams mit David Murray, Henning Sieverts & François Thuillier, Ark Noir, Alexander von Schlippenbach, Geoff Goodman, Emil Branqvist, Jenny Evans und vielen mehr. Genaueres erzählt die Website www.unterfahrt.de.
Ralf Dombrowski
Das war ein herrlich schriefliger Spaß auf höchstem Niveau der Arrangements und der Instrumentalisten. Zweifellos einer der originellsten Beiträge zum Beethoven-Jahr. Dank der Unterfahrt-Techniker auch von Anfang bis Ende sehr gut zu empfangen.