Der Hawerkamp in Münster ist mit seinen Clubs, Ausstellungshallen, Ateliers und selbstorganisierten Werkstätten ein Reservat der freien Szene – mit einer verschwenderischen Fülle von Streetart und einer selbst im Ruhrgebiet noch selten so rauh und ungezähmt anzutreffenden postindustriellen Patina. Die “Titanick-Halle”bemeitet normalerweise das gleichnamige spektakuläre Straßentheater. Und wo sich zu vieles im Moment im Dornröschenschlaf mit ungewissem Ausgang befindet, wirkte ein Live-Event mit den frei improvisierenden Musikern von Elisabath Coudoux „Emißatet“ umso erfrischender.
Elisabeth Coudoux vereint in „ihrem“ Ensemble viele kreative Potenziale aus der Kölner Szene. Die Cellistin, Bandleaderin und Improvisatorin befreite sich schon vor vielen Jahren von den Konventionen und Konnotationen der klassischen Musiksozialisation. Vor allem Frank Gratkowski, bei dem sie studierte, hat ihr den Weg in die künstlerische Freiheit eröffnet.
Aus dem Moment heraus agieren, auf Augenhöhe kommunizieren, sensibel interagieren und damit Grenzen aufheben, etwa zwischen “Musik” und Geräusch, zwischen Klang und Raum – darum geht es in der Titanick-Halle an diesem Abend. Letztere ist groß und karg. Die “Antworten” auf Cello, Harfe, Posaune, präparierter Snaredrum, Kontrabass und Synthesizer fallen bevorzugt leise und zerbrechlich aus. Ob da eine gewisse Ehrfurcht vor diesen Mauern, die sowieso durch nichts zum Einsturz gebracht werden können, mitschwingt?
Luftströme wandern durch die Posaune von Matthias Muche, erzeugen eigenwillige Geräuschpoesie. Schlagzeuger Etienne Nillesen lässt Gegenstände auf seiner präparierten Snaredrum kreisen, was für sphärische Schwebeklänge gut ist. Elisabeth Coudoux erzeugt viele feinsinnige Effekte und Arpeggien, manipuliert den Klang allein durch „sul ponticello“-Spiel dicht am Steg, erkundet viele weitere neue Terrains, die durch keine Noten irgendwie domestiziert wären. Auch Bassist Robert Landfermann und Harfenistin Kathrin Pechlof demonstrieren, dass sie so viel mehr als “nur” Jazz können. Die heute in Berlin lebende Harfenistin, ein Gast beim “emißatet”, hat zu Beginn des zweiten Sets ihren Bravourpart in einer ausgedehnten Soloimprovisation. Due wird zum Rausch für die Sinne voll imaginativer Kraft und Wärm, was wie ein Gegenpol wirkt zur eher abstrakten Geräusch-Posie seitens ihrer Mitspieler. Und auch die expressiven Soundimpulse, die Philip Zoubek aus dem Moog-Synthesizer beisteuert, animieren dazu, eigene Bilder zu kreieren und Tore zum Unbewussten zu öffnen – so etwas funktioniert umso besser, je mehr Ideen in einem spontanen “Trial and Error” in die Waagschale geworfen werden und dabei – wie im Fall des „Emißatet“ und Kathrin Pechlof- tiefe Musikalität frei wird.
Text und Fotos: Stefan Pieper