Ein Trio, das zaubern kann
Von Michael Scheiner
„70 und kein bisschen leise“, könnte in Anlehnung an einen geflügelten journalistischen Ausspruch auch auf den Luzerner Gitarristen Christy Doran anwenden, klänge es weniger banal. Bei ihm, dem einstigen Hochschullehrer und Mitbegründer der wieder aufgetauchten legendären Electricjazz-Formation OM, gilt diese Zuschreibung aber keineswegs im übertragenen Sinn – seine Liveauftritte mit seinem Trio Sound Fountain sind dynamisch höchst differenziert, eben auch laut. Mit dem vierten Album verweist Doran im Tiel auf den prägenden Einfluss John Coltranes, der in der Zeit als er in der Rave Musical Bar in Philadelphia spielte zu seinem ekstatischen Sound fand.
Eher ungewohnt ist der Einstieg im Titelstück, das in der musikalischen Diktion an Country erinnert, wie sie im lässig-eleganten Spiel Bill Frisells häufig anklingt. Dorans Denk- und Spielweise ist grooveorientierter, drängender und spürbar physischer, er kreiert mit seinen fantastischen Mitmusikern eine dichte, hochkomplexe Musik, die ganz unverhohlen mitreißen, wie auch zu vertieftem Nachspüren anregen und mitnehmen kann. Auch wenn die Gitarre häufig im Vordergrund steht, ist das das Ergebnis des herausragenden Zusammenspiels von Doran, dem argentinischen furiosen E-Bassisten Franco Fontanarrosa und dem Schweizer Schlagzeuger Lukas Mantel am Schlagzeug, der einem regelrecht den Kopf verdrehen kann. Dieses Trio bietet musikalisch-intellektuellen Genuss zwischen wuchtiger Power, komplexer Rhythmik, subtilen Klangerlebnissen und einer diebischen Freude an lustvoller Freigeisterei. Dorans stilistisch weit offenes Spiel wechselt zwischen unregelmäßigen Riffs und flachen Kontrasten, einprägsamen Melodien und eruptivem Ungestüm, repetitiven Mustern und ironischer Breitbeinigkeit. Ein paar Harmonien, dramaturgisch fein plaziert befeuern den Sound und lassen ihn den Hörer umso intensiver erfahren. Mantels Vielgestaltigkeit und klangliche Fülle findet besonders in solistischen Partien in „Next Up“ und im wüsten „One For The Road“ virtuosen Ausdruck. Fontanarrosa überrascht eins ums andere mal mit seiner stupenden Technik, die er selbstbewußt und ausdrucksstark ganz in den Dienst der Musik stellt. Auch in den Anklängen und Parallelen zum Fusion und Jazzrock früherer Zeiten ist es Musik von heute, von drei Musikern mit Gefühl und umwerfender Technik aus dem Hut gezaubert.
CD: Christy Doran´s Sound Fountain, Lift The Bar, 2020, Between The Lines/Challenge Records Int. BTLCHR 71249 ca. 18 Euro