Auf den ersten Blick scheint alles normal zu sein, die 31 Stufen hinunter in den Keller des Münchner Kulturzentrum Einstein, den langgezogenen Gang entlang zum Jazzclub Unterfahrt, aber dann – kein Licht am Ende des Tunnels! Alles ist dunkel und auch am Eingang des Clubs leere Plakatrahmen. Beim Betreten der Unterfahrt fällt der Blick leicht melancholisch und unweigerlich auf die Speisetafeln an der Küchenwand: zu sehen der „last order before shutdown“. In Coronazeiten ist der normale Konzertbetrieb eingestellt und alles verwaist. Alles? Nicht ganz, denn in solchen Zeiten sind Alternativen und Innovation gefragt!
Gedacht, überlegt, konzipiert, getan!
Seit über 50 Tagen ist der Jazzclub mittlerweile geschlossen und geplante Konzerte mussten, wie überall sonst auch, abgesagt werden. Was tun in diesen besonderen Zeiten, wo Booking und Reisen ein unmögliches Unterfangen ist? Zum Glück ist München eine Stadt mit einer ausgesprochen hohen Dichte an professionellen Musikern. Was liegt da näher, als lokale Jazzheroes einzuladen und Streaming-Konzerte, die ja sowieso in aller Munde sind, zu veranstalten? Gedacht, überlegt, konzipiert, getan! Den Auftakt bestritt die Münchner Sängerin Jenny Evans, die traditionell seit Jahren regelmäßig am Ostersamstag in der Unterfahrt auftritt. Um Mindestabstände einzuhalten, wurde die eigentliche Besetzung auf ein Trio verkleinert und unter dem treffenden Motto „too close for comfort“ ging das erste Unterfahrt Streaming-Konzert planmäßig am Ostersamstag über die Bühne und ins Netz. Überwältigt vom Zuspruch der Zuschauer, die das Konzert am Tablet, Handy oder Computer etc. verfolgten, spielte am Wochenende darauf das Trio LBT, die ihr neues Album „Stereo“ präsentierten. Weiter im Programm ging es eine Woche später dann mit dem Trio Brändle-Schwager-May und am letzten Wochenende folgte Chris Gall mit einem tief bewegenden Piano-Solo-Konzert, das der Bayerische Rundfunk parallel zum Stream mitgeschnitten hat (Sendetermine mit Ausschnitten des Abends am 08.05.2020 & das ganze Konzert am 10.07.2020 in BR Klassik).
Feinjustierung
Was man nicht unterschätzen darf ist der Aufwand eines Streaming-Konzertes, zumindest so wie es in der Unterfahrt veranstaltet wird. An Vorbereitung gehen da mal eben 3-4 Stunden drauf, bevor der erste Ton erklingt. Dann folgt, wenn die Musiker vor Ort sind, der gewohnte Soundcheck auf der Bühne, am Mischpult wird geregelt, das Licht eingestellt und letztlich an den Kameras feinjustiert. In der Unterfahrt sitzt der Vorstand selbst am Pult: während Michael Stückl Regie führt, regelt Robert Huber souverän wie immer den Sound und Valentin Stückl bedient die Kameras. Anna Schluifelder bereitet am Laptop alles vor und wird während des Streams die Online-Kommunikation im Chat übernehmen. Was für ein organisatorischer Aufwand, aber der lohnt sich! Schon während der ersten Übertragung mit Jenny Evans haben über 1000 Zuschauer laut Statistiken von YouTube und Facebook in das Konzert reingeschaut, Tendenz steigend mit den Folgekonzerten. Bei Chris Gall letzten Samstag haben ca. 450 Zuschauer auf YouTube das ganze Konzert verfolgt, bei insgesamt 2400 Zugriffen, Facebook noch nicht einmal mit eingerechnet. Die Rechnung geht auf. Nicht nur für den Club, sondern auch für die Musiker. Denn sie spielen nicht – wie leider oft in diesen Zeiten bei Streaming-Events – umsonst, sondern erhalten für den Auftritt eine ordentliche Gage, die online durch Spenden aufgestockt werden kann. Wie groß die Bereitschaft ist, für ein professionelles Streaming-Konzert als Zuschauer zu spenden, ist beeindruckend: Insgesamt wurde durch Spenden der Unterfahrt-Zuschauer und -Fans so die reguläre Gage der Musiker in etwa verdoppelt!
Unterfahrt-Wohnzimmer
Das alles ist mehr als nur ein guter Ansatz. Mit der Zeit bekommt man Übung in der Kameraführung, dem Schnitt, im Handling mit Online-Medien und wer weiß, was die Zukunft noch so alles mit sich bringt. Wenn alles wieder seinen normalen Gang geht, könnte man zukünftig vielleicht zusätzlich zum Live-Erlebnis, parallel oder im Nachgang, einen Stream anbieten (nur so als Idee). Aber das wird aller Voraussicht nach noch dauern. Bis dahin kann man sich das fehlende Live-Erlebnis durch weitere Live-Stream-Konzerte aus dem Jazzclub Unterfahrt-„Wohnzimmer“ verkürzen.
Den Link zum Konzertstream findet man auf dem Unterfahrt YouTube-Channel und der Unterfahrt Facebookseite. Die Konzerte beginnen immer ab 20:30, gespielt wird ein langes Set (ca. 70 min). Der Eintritt, respektive das Zuschauen, ist frei, Spenden sind natürlich willkommen.
Am kommenden Samstag um 20:30h wird Fiona Ground im Trio zusammen mit Moritz Stahl und Philipp Schiepek ihr aktuelles Programm „INTERSPACES“ präsentieren.
Weitere Konzerttermine (Details dazu auf der Website unter www.unterfahrt.de )
- Wolfgang Schmid‘s „KICK OFF RELOADED“ am 16.05.2020
- Geoff Goodman’s „CRISS CROSS“ am 23.05.2020
- Le Bang Bang „Ten years Jubilee“ am 27.05.2020
- Organ Explosion am 30.05.2020
- Jakob Manz Quartett „Natural Energy“ am 06.06.2020
Text & Fotos: Thomas J. Krebs