Tag der Musik. Till Brönner spielt für Wolfgang Schäuble. Foto: Hufner
Tag der Musik 2012. Till Brönner spielt für den damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble. Foto: Hufner

Mit alter Münz‘ bin ich Dein Prinz, oder: Da House of Stress in Berlin

Ein Zentrum für die freie Musikszene, ein Haus für die Musik des 21. Jahrhunderts sollte diese Immobilie in Berlin werden. Im Moment produziert sie, die „Alte Münze“, allerdings Unbehagen, Unglück bei Vielen und dürfte sich nur scheinbar für Wenige jetzt als Glücksfall für den Jazz in Berlin, Deutschland und der Welt herausstellen.

Hochtrabende Konzeptideen

Wenn drei sich streiten, verlieren sie alle. So geschehen in Berlin. Zur Debatte stand die Nutzung eines Gebäude-Areals im Herzen der Stadt: Die Alte Münze. Jetzt soll in diesem aufwändig bis 2026 zu sanierenden Komplex das „House Of Jazz“ seine Bleibe finden, so hat es der Kultursenat(or) Klaus Lederer entschieden. Ausgedacht hatten sich die Jazzidee einmal Till Brönner und Tim Renner. Weiter verfolgt wurde es jetzt von der IG Jazz und der Deutschen Jazzunion (pdf). Deren Vorsitzender, Nikolaus Neuser freut sich „jetzt darauf, gemeinsam mit Bund und Land dieses innovative Zentrum für Musik zu entwickeln und dabei einen spannenden, offenen und diskursiven Jazz-Begriff zu leben.“ Alles prima, oder?

Nö, gar nicht prima sagt da die Initiative Neue Musik Berlin (inm berlin), die letztes Jahr ein Konzept zur Nutzung des Areals unter dem Titel „Q4 – Haus der freien Musikszene!“ (pdf) vorgelegt hatte, für das Gerhart Baum (Bundesminister a. D.), Electric Indigo, Péter Eötvös, Vladimir Jurowski, Olga Neuwirth die Schirmherrschaft übernommen haben. Ein drittes Konzept (pdf) stammt von den „Spreewerkstätten“ und verstand das „Produktionsgebäude als interdisziplinäres Haus für Musik & Kultur.“

The Winner is: Da House Of Jazz

Beim Rennen der armen und benachteiligten Musikszenen haben Till Brönner und sein Team nun also das Rennen gemacht. Nicht zuletzt, weil sie offenbar einen guten Draht in die Politik hinein hatten, denn das „Konzeptpapier ist mit der Beauftragten für Kultur und Medien abgestimmt“ wie sie schreiben. Brönner, der ja auch schon mal zum Besuch des amerikanischen Präsidenten Barack Obama im Kanzleramt 2016 ein Ständchen gab oder am Tag der Musik 2012 im Finanzministerium die Ohren des damaligen Ministers Wolfgang Schäuble betäubte betörte, hat eben einen Promi-Bonus, mit dem Péter Eötvös oder Olga Neuwirth nicht aufwarten können. Und seit 2008 wissen wir aus der Berliner Morgenpost, dass der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier sonntags beim Frühstücken ebenfalls auf Till Brönner zurückgreift. Eine Praxis, die er sich in seinem neuen Amt gewissermaßen erhalten konnte, wenn er Jazz im Belevue zelebrieren lässt. (Siehe auch „Der Jazzpräsident und die Jazz-Geschichte„.)

Tag der Musik. Till Brönner spielt für Wolfgang Schäuble. Foto: Hufner
Tag der Musik. Till Brönner spielt für Wolfgang Schäuble. Foto: Hufner

„Aus kulturfachlicher Sicht wird die Entwicklung einer Ankerinstitution für den Jazz befürwortet, da hier besondere Bedarfe für eine strukturelle Stärkung der Szene vorliegen,“ heißt es da in der Pressemitteilung des Berliner Senats. Mit anderen Worten, die Berliner Jazzszene darbt so sehr und ist gleichzeitig so international von Bedeutung („Jazz aus Deutschland genießt seit Jahrzehnten einen Ruf von Weltrang“ – Till Brönner), dass man einen Platz braucht, an dem man das darstellen kann, wie toll der Jazz ist und wie schlecht es ihm eben geht.

Verlierer*innen: Politikverständnis und musikalische Vielfalt?

Die inm berlin ist dagegen schwer sauer. „Der vorliegende Vorschlag leugnet die pluralistische Realität des Berliner Musiklebens und sieht unverständlicherweise davon ab, unsere Stadt als Referenzraum für musikalische Vielfalt und Innovation zu erhalten und zu positionieren,“ kritisiert der Vorstand der inm berlin die Entscheidung und bemängelt weiter die Art und Weise der politischen Entscheidungsfindung empfindet man ebenfalls als hochproblematisch. Nämlich willkürlich, wo nicht gar kritisch: Es sei „ein Zeichen der Geringschätzung gegenüber der eingebrachten Expertise und dem ehrenamtlichen Engagement sowohl der Beteiligten des partizipativen Verfahrens als auch den Verbänden der Koalition der Freien Szene Berlin.“

Leuchttürme statt Graswurzeln

Der Schaden ist groß. Groß nicht nur, was zerstört wurde in Sachen Respekt gegenüber partizipativen Entscheidungsprozessen, sondern am Ende auch gegenüber dem Jazz und der improvisierten Musik allgemein, deren Szenen jetzt wie Politikstreber*innen wirken müssen, die heulend zu Mama Grütters laufen, wo es doch darum ginge, gemeinsam mit der umfassenderen Institution „inm“ nicht nur im maritimen semantischen Umfeld (Anker, Leuchtturm) zu agieren, sondern auch derjenigen der sich stetig wandelnden musikalischen Stadtkultur, die eben von der Alten Musik bis zur KI-Musik aus der Zukunft reicht. (Siehe Bild aus dem Konzeptpapier der inm berlin.)

Musik in der Alten Münze Berlin. Skizze aus dem Konzeptpapier der inm Berlin.
„Identitäten und die Entwicklung neuer Schnittmengen am Beispiel der zeitgenössischen Musik.“ Skizze aus dem Konzeptpapier der inm Berlin.

In eigenen Worten: „Die freien Musikszenen Berlins agieren in den Bereichen der zeitgenössischen Musik, des Jazz, des zeitgenössischen Musiktheaters, der experimentellen Club- und Popmusik, der transtraditionellen/transkulturellen Musik wie auch der Alten Musik. Besonderheit der Berliner Musikszenen ist der permanente Austausch untereinander und die dadurch entstehenden neuen, visionären Musikgenres. Haus 4/5 bildet diese Diversität ab und gibt gleichzeitig Raum für alle genreübergreifenden Formate.“ Das hat der Jazzszene offenbar nicht gereicht.

In Schönheit Scherben

Umgekehrt scheint es der inm nicht gereicht zu haben, was die Jazzenden in einem Eckpunktepapier mit dem Titel „Ein Haus für die Musik des 21. Jahrhunderts“ im Februar 2017 umsetzen wollten: „Eine zentrale Spielstätte bietet auch die Möglichkeit der Vernetzung der Verbände. Das Haus kann Raum für flexibel nutzbare Büroräume für die IG Jazz Berlin und die Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ), aber auch genreverwandter Berliner Verbände wie der Initiative Neue Musik und des DACH Musik bieten.“ Was allerdings, man muss es zugeben, auf das zweite Lesen hin nach Gewährung einer Besenkammer klingt.

Der inm wird man ihrerseits den Vorwurf nicht ersparen können, dass sie zu wenig mindestens Vertreter*innen aus der Szene der improvisierten Musik in ihr Konzept miteinbezogen hat (Ausnahme: Trickster Orchestra), die ja mindestens vom Prinzip her sowohl der Jazz wie der Neuen Musikszene angehören. Wo ist beispielsweise ein Axel Dörner, der hier Wogen glätten könnte, zumal er auch Trompete kann wie Till Brönner? Wo wäre ein Anthony Braxton, Fred Frith oder Heiner Goebbels, die den Scherbenhaufen wegkehren könnten. Ein trauriges Bild der „Avantgarden“ in allen Musikbereichen. Freude kann da auch bei Jazzfans eigentlich nicht aufkommen.

Geschwisterzwist

Wenn man es genau nimmt, geht dann der Riss bis durch die Institutionen hindurch. Bei den Berliner Festspielen (unter)stützt das Jazzfest Berlin das House Of Jazz, die Maerzmusik dagegen „Q4 – Haus der freien Musikszene!“.

Zukunftsungewissheiten

Die Sache bleibt damit schmuddelig. Bis 2026 (nach Erfahrungen mit anderen Bau- und Sanierungsprojekten eher 2035) ist noch lange Zeit hin. Hoffen wir mal, dass bis dahin der Jazz noch lebt und nicht das Ganze zum Trötibrötiseum für von örtlichen Jazzclubs gelangweilten Touris mutiert. Vielleicht wird es aber tatsächlich doch noch eine Brutstätte lebendiger aktueller städtischer Musikkulturen.

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